Jetzt wird wieder ein Begriff hervorgeholt, der so schön – und so verlogen ist wie kaum ein Zweiter: Solidarität. Die ZDF – Anstalt fordert die Lokführer auf, aus Solidarität lieber für 25 Prozent Lohnsteigerungen zu streiten, „bis es kracht“. „Zeit-Online“ fordert das Bundesverdienstkreuz für Claus Weselsky, den Chef der Lokführer. Es müsse endlich mehr gestreikt werden – Streik für alle. Müssen wir solidarisch mit den Lokführern sein?
Solidarität bezeichnet, so Wikipedia „eine, zumeist in einem ethisch–politischen Zusammenhang benannte Haltung der Verbundenheit mit – und Unterstützung von – Ideen, Aktivitäten und Zielen anderer. Sie drückt ferner den Zusammenhalt zwischen gleichgesinnten oder gleichgestellten Individuen und Gruppen und den Einsatz für gemeinsame Werte aus (vgl. auch Solidaritätsprinzip).“
Nun geht es ja beim Streik nicht um Löhne – sondern um das Interesse der Gewerkschaft, ihren Aktionsradius auch um Schaffner zu erweitern. Wer, außerhalb der GDL, aber teilt diesen gemeinsamen Wert? Sind doch Schaffner nicht auch bei der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft gut aufgehoben und gut vertreten – und zwar sogar mit höheren Tarifverträgen?
Offenkundig wird hier Solidarität für ein Organsisationsinteresse und im Zweifel für das Gehalt des Vorsitzenden Claus Weselsky missbraucht. Gemeinsamen Werte teilen eher die Bahnkunden – die frierend am Bahnsteig oder verspätet im Auto im Stau stehen, die wirtschaftliche Probleme dadurch erhalten oder deren Arbeitsplatz durch die GDL gefährdet ist.
Die Arbeitnehmer sind der eigentliche Gegner der GDL. Der Bahn ist das alles egal. Dies ist ein 100-prozentiges Staatsunternehmen. Aus höheren Verlusten folgen höhere Steuern für alle, so lautet die ökonomische Logik von Staatsunternehmen. Deswegen sind sie notorisch unwirtschaftlich. Wenn die GDL die Bahn blockiert, leiden zwei Gruppen: Steuerzahler und Bürger. Mit Privatisierung der Bahn hat das wenig zu tun. Allerdings träumen die Lokführer davon, wieder Beamte zu werden, wie früher, als es so schön war. Das würde tatsächlich ihre Altersversorgung um das Dreifache erhöhen. Das finanzieren wieder normale Arbeitnehmer mit niedriger Rente über Steuern. Solidarität ist eben, wenn einige sehr viel mehr auf Kosten der Mehrheit kassieren?
Die Streikhanseln von der GDL sind aber nicht einmal innerhalb des Arbeitnehmer-Lagers solidarisch. Der wirtschaftliche Druck des Streiks geht ja nicht gegen die Bahn, die dem Steuerzahler in die Tasche greift. Es geht gegen die Unternehmen, die auf die Bahn als Transportunternehmen angewiesen sind. Wenn also Unternehmen Pleite gehen, Aufträge verlieren, Kunden nicht beliefern – dann schadet es den Beschäftigten. Der Streik der GDL richtet sich gegen Arbeitnehmer, die ihre Arbeitsplätze nicht erreichen oder gleich verlieren.
Ach ja, die Solidarität. Ein schönes Wort, aber leider nur ein Kampfbegriff für eine kleine Clique von Machthabern. Bezeichnend, wie Wikipedia seinen Eintrag illustriert: Mit einer Solidaritäts-Briefmarke der DDR. Merke: Solidarität ist, wenn alle eingesperrt und drangsaliert werden. Glücklicherweise leben wir nicht in der DDR, die von vielen Solidariäts-Bekundern herbeigesehnt wird. Wir können der GDL ausweichen, auch wenn sie uns auf Bahnsteigen und Zügen einsperrt und die wirtschaftliche Entwicklung Richtung DDR treiben will. Bezeichnenderweise blockiert der Bahnstreik ja auch die Wiedervereinigungsfeiern. Es soll ja weh tun. Die DDR war doch schön, da waren alle Beamte, oder? Aber wir können uns dagegen wehren – indem wir kommentieren und auch mal mit den Lokführern ein ernstes Wort reden und deren Solidarität mit der Vernunft einfordern. Und wenn GDL-Pöbel-Boss Claus Weselsky angesichts der Proteste gegen seine Ego-Kampagnen die Polizei ruft, dann ist das scheinheilig: Er stört die Privatsphäre von Zigtausenden die reisen wollen, jetzt auf Bahnhöfen oder in fremden Städten stranden – aber für sich nimmt der feine Herr natürlich die üblichen sozialistischen Sonderrechte in Anspruch.