Laut einem Bericht der Welt am Sonntag sind die Zahlen, die in der Visa-Affäre rund um das Auswärtige Amt unter Annalena Baerbock kursieren, wohl noch deutlich untertrieben, jedenfalls wenn man das Phänomen Asylantrag nach Visumserteilung erfassen will. Es geht also um Asylbewerber in Deutschland, die nicht den beschwerlichen Weg über die Schlepperrouten auf sich nehmen mussten, sondern vom Auswärtigen Amt praktisch gratis nach Deutschland eingeladen wurden. In 37.329 Fällen geschah das im letzten Jahr laut Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf), aus denen die Welt am Sonntag zitiert. Das sind mehr als ein Zehntel aller Asylanträge im Jahr 2023. Im aktuellen Jahr soll das Verhältnis sogar noch ungünstiger ausfallen: 8.411 von 65.419 Erstanträgen im ersten Quartal (Januar bis März) wurden von mit einem Visum eingereisten Zuwanderern gestellt, darunter mehrheitlich Syrer (2.281), dann auch Türken (812), Afghanen (662) und Iraner (661). Auch 2023 dominierten diese Nationalitäten.
Es handelt sich dabei, Experten zufolge, nicht um Verwandte von Asylberechtigten in Deutschland, auch nicht um sogenannte Kontingentflüchtlinge. Denn beide Gruppen müssten gar keinen Asylantrag in Deutschland stellen, sie stünden bereits unter unserem Schutz. Es kann daher im wesentlichen nur um Einreisen per Familienbesuchs-, Tourismus- oder Arbeitsvisa gehen. Es kann also sehr wohl um Visa gehen, die (pro forma) für den Besuch entfernterer Verwandter ausgestellt werden, obwohl die Antragsteller ganz anderes im Sinn haben.
Dass das Auswärtige Amt und seine Außenstellen offenbar nicht dafür gerüstet (oder nicht willens) ist, diese Fälle zu unterscheiden und im Zweifel ein Visum zu verweigern, ist der Kern des Problems. Die allgemeine Politik müsste eine der Vorsicht sein. Die bekannten Fälle, Dokumente und Informationen belegen aber, dass die allgemeine Politik ganz im Gegenteil von größtmöglicher Permissivität geprägt ist. Auf Deutsch: So viele Visa wie möglich sollen vergeben werden, auch wenn dem eigentlich rechtliche oder denklogische Hürden entgegenstehen.
Das Bamf weiß wohlgemerkt nicht, durch welche Visagründe die späteren Asylbewerber nach Deutschland kamen. Das ist ja auch im Grunde unerheblich. Erheblich wäre die genannte Striktheit bei der Gewährung von Visa, das heißt, die unbedingte Vermeidung von Visa-Erteilungen, so weit irgend möglich. Das wäre eine Maßnahme, die jede Regierung durchführen könnte, ohne international-rechtliche Bedenken anführen zu müssen. Genauso war es bisher möglich, das genaue Gegenteil zu tun. Unter Annalena Baerbock dürfte dieser „linke“ Konsens im Auswärtigen Amt noch bestärkt und im One-World- und No-Borders-Sinne grün radikalisiert worden sein.
Familiennachzug kommt hinzu und wurde erweitert
Zu den Asylanträgen nach Visums-Erteilung kommen dann noch Asylanträge von Zuwanderern hinzu, für deren Herkunftsstaaten Visumsbefreiung gilt. Dazu zählen etwa Georgien, Nordmazedonien, Venezuela, Serbien und Kolumbien. Zusammen sorgten diese Länder im letzten Jahr nochmals für ein Zehntel aller Asylanträge, nämlich 34.952 Erstanträge. Das bedeutet, dass etwa 20 Prozent aller Asylanträge durch Visumserteilung oder -befreiung zustande kamen. Wiederum ist zu sagen, dass jede Bundesregierung diesem Schauspiel mit sofortiger Wirkung einen Riegel vorschieben könnte – wenn sie es wollte. Natürlich sind auch die mehr als 33.000 Afghanen nicht zu verachten, die die Bundesregierung in ihren obskuren Ortskräfte- und Gefährdeten-Aufnahmeprogrammen nach Deutschland einfliegen ließ.
Kurzum: Die Asylkrise in Deutschland ist zu einem großen Teil alles andere als ein passiv erduldetes Schicksal und auch nicht die Schuld unserer direkten Nachbarn, die die Antragsteller einfach durchwinken. Die Bundesregierung – in vielen Fällen das Auswärtige Amt – trug im letzten Jahr für rund 70.000 Anträge eine direkte Verantwortung durch Handeln und Unterlassen, was die Visumsvergabe angeht. Unter Annalena Baerbock wurden Visumserteilung und -befreiung endgültig zu Instrumenten einer Verschärfung der Zuwanderungs- und Asylkrise. Anstatt an dieser Stelle für eine Entlastung der Kommunen und der öffentlichen Haushalte zu sorgen, steigerte die Außenministerin die Notlage an beiden Stellen. Und der Familiennachzug von mehr als 130.000 Zuzügen pro Jahr (wiederum dank erteilten Visa) kommt noch hinzu.
Wie gut, dass die Regeln für den Familiennachzug für „Fachkräfte“ kürzlich nochmals gelockert oder erweitert wurden: „Ab dem 1. März 2024 können Fachkräfte auch ihre Eltern und – wenn die Ehegattin oder der Ehegatte auch dauerhaft im Bundesgebiet ansässig sind – Schwiegereltern zu sich holen, wenn sie ihre Aufenthaltserlaubnis erstmals am oder nach dem 1. März 2024 erhalten“, kann man etwaauf der Seite der deutschen Botschaft in Belgrad lesen. Ähnlich beim Bamf: „Als Eltern oder Schwiegereltern einer in Deutschland tätigen Fachkraft besteht für Sie unter Umständen die Möglichkeit, nach Deutschland zu kommen.“ Oder wieder definitiv bei den deutschen Vertretungen in Vietnam: „Seit 1. März 2024 ermöglicht Deutschland den Familiennachzug für Eltern von Fachkräften, die ihren Aufenthaltstitel als Fachkraft erstmals ab dem 1. März 2024 erhalten haben. Wenn der Ehepartner oder die Ehepartnerin der Fachkraft dauerhaft mit dieser in Deutschland lebt, dann kann ein Visum nach dieser Kategorie auch für die Schwiegereltern der Fachkraft beantragt werden.“ Neue, schöne Fachkräftewelt.
Baerbock nimmt Stellung und klagt die „Mehrheit“ an
Annalena Baerbock nahm nun sehr indirekt zum Skandal in ihrem Haus und unter ihrer Leitung Stellung. Bei einem Besuch der Handwerkskammer in Potsdam sagte die Potsdamerin: „Es gibt eine Stimmung und Mehrheiten in unserem Land, die sagen: ‚Die müssen alle abgeschoben werden‘.“ Mehrheiten sogar? Wie gut, dass man die ignorieren kann, wie ein Zitat Baerbocks zum Ukraine-Krieg schon vor Zeiten klar machte („egal was meine Wähler sich wünschen…“).
Baerbock sucht derweil Widersprüche in den ungefestigten Ansichten dieses ihres Volkes. Denn es brauche doch immer mehr „Fachkräfte“ im Land, und Unternehmer sollten doch nicht selbst dazu gezwungen sein, dieselben im Ausland zu suchen. Besser ist es, sie werden fertig geliefert, schien Baerbock in Potsdam zu denken. Und eben deshalb kann sie es nicht verstehen, dass viele im Land die von ihr begünstige Zuwanderung Ungelernter und anders Zivilisierter so sehr ablehnen. „Wenn man beides übereinanderlegt, ist das ein absoluter Widerspruch.“ Und da werde eben vieles zu „plakativ schwarz und weiß gemacht“. Dabei scheint die Zuwanderung von Syrern, Afghanen und so weiter in Baerbocks Augen doch eine gewaltige Erfolgsgeschichte zu sein. Es brauche mehr Differenzierung, wird sie von der Deutschen Presse-Agentur zitiert (etwa hier im Tagesspiegel ). Das Volk oder die Bürger verlangen aber manchmal gar nicht nach Differenzierung, sondern seltsamerweise nach einer klaren Sicht auf die Probleme des Landes, die durch die von ihr unterstützte Massenzuwanderung insgesamt größer, nicht kleiner werden.