Tichys Einblick
Affäre ohne Ende

Neue Baerbock-Weisung aufgetaucht: Botschaften müssen Visa auch ohne Dokumente ausstellen

Nachdem TE besonders auf eine Weisung von 2022 aufmerksam gemacht hat, wonach Urkunden für ein Visum nicht mehr nötig seien, gibt es eine neue Weisung, die genau das zur allgemeinen Regel erhebt. Visastellen sollen den Antragstellern eben glauben, so einfach ist das. Ein „heikler Sonderweg“.

picture alliance / Metodi Popow | M. Popow

Im letzten Bericht hat TE vor allem die Dokumente aufgegriffen, die Business-Insider und Cicero zur Visa-Affäre um Außenministerin Baerbock vorgelegt haben und die in Berlin zirkulieren. Der dort geäußerten Einschätzung des Verfassers nach war es vor allem eine Weisung des Auswärtigen Amts – also letztlich Baerbocks – vom 28. März 2022, die es kurz gesagt in sich hatte. In dieser vertraulichen Weisung an alle Visastellen, die aus dem Visa-Grundsatzreferat stammte, wurde eindeutig dazu aufgerufen, den „formelhaften Griff“ zu „bewährten Instrumenten wie der Urkundenüberprüfung“ zu überdenken und zu „ergänzen“. Das letzte Wort erweist sich im Gesamtkontext als reines Zugeständnis. Eigentlich war gemeint, dass das bisherige sachdienliche und an Tatsachen ausgerichtete, auf ihnen errichtete System durch ein willkürliches System der Einschätzung von Glaubwürdigkeit ersetzt werden sollte.

Baerbock und das praktische Leben

Künftig sollte es ausreichen, wenn die Voraussetzungen für den Visa-Erwerb – zum Beispiel Verwandtschaftsverhältnisse – nicht mehr im strengen Sinne bewiesen werden, sondern nur mit einem „für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit“ glaubhaft gemacht werden. Und dieser „Grad von Gewissheit“ sollte dabei zwar „Zweifeln Schweigen gebieten“, ohne diese aber „völlig auszuschließen“.

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Und diese Methode spielte dann auch wirklich im Oktober 2022 eine große Rolle in einem Sitzungssaal des Berliner Verwaltungsgerichts: Ein vermeintlicher Afghane erzählte von seinem angeblichen Bruder in Islamabad, der keinen ordnungsgemäßen Pass besaß. Khan G. erzählte eine rührselige Geschichte von einem obdachlosen, kranken jungen Mann. Der leitende Referent Henning G. schlug vor, Khan G. schlicht zu glauben, dass der andere Mann (Mohammad Ali G.) wirklich sein Bruder war.

Das war der erste öffentlich gewordene Akt von Behördenwillkür im Auswärtigen Amt, der zum Visa-Skandal führte, veröffentlicht vom Cicero (hinter Bezahlschranke). Gegen den zuständigen Referenten Henning G. ermitteln inzwischen Staatsanwaltschaften in Berlin bzw. Cottbus. Kriminalpolizisten sind dabei, tausende Fälle durchzusehen und zu überprüfen, in denen es zu Unregelmäßigkeiten bei der Visumsvergabe gekommen sein mag.

Was passiert, wenn die Leitungsebene für das Ausleiern eintritt?

Nun berichtet Business Insider exklusiv, dass es in der Tat großen Druck auf Botschaftsmitarbeiter in Visa-Angelegenheiten gebe (hinter Bezahlschranke). „Der Druck ist enorm“, sagen Beamte aus drei Botschaften. Denn nun scheint es eine neue Anweisung aus der Berliner Zentrale zu geben. Jetzt sollen regelmäßig Visa auch dann vergeben werden, wenn keine Pässe vorliegen und „die Richtigkeit des Sachverhalts … nicht mit absoluter Gewissheit“ geklärt ist. Das ist schockierend, aber nicht ganz neu. Allenfalls der Grad, mit dem die Konformität mit den Vorstellungen der Zentrale eingefordert wird, ist neu. Nach dem ersten zaghaften Versuch mit der E-Mail-Weisung vom März 2022 wird nun das Mittel der „alternativen Glaubhaftmachung“ von Sachverhalten offiziell eingeführt. Das bedeutet im Klartext: Die Visastelle darf, ja soll dem Antragsteller auf Treu und Glauben vertrauen. Aber damit geht Deutschland laut Botschaftsmitarbeitern einen „heiklen Sonderweg“.

Die „alternative Glaubhaftmachung“ gibt es dabei schon länger, sie sei ein „im nationalen Recht“ laut Paragraph 26 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) „und von der Rechtsprechung vorgesehenes Instrument“. Bisher war sie in Ausnahmefällen möglich, was man schon kritikwürdig finden mag. Aber vielleicht war es damit möglich, Härten zu mildern, wo es nötig war. Solche Ausnahmeregelungen erfordern aber immer große Disziplin von den Vorgesetzten und der Leitung, die gewissermaßen darüber wachen müssen, dass sie nicht ausgenutzt und ausgeleiert werden. Was aber passiert, wenn die Leitungsebene genau für das „Ausleiern“ einer solchen Regelung eintritt?

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Das ist der vorliegende Fall und zugleich das Problem. In der neuen vertraulichen, nun aber ordentlich formatierten und ausgedruckten Weisung „nur für den Dienstgebrauch“ steht, dass auf die alternative Glaubhaftmachung ab sofort „immer dann zurückgegriffen werden“ soll, „wenn für bestimmte Länder oder Personengruppen feststeht, dass kein hinreichend zuverlässiges Urkundenwesen besteht“.

Diese Aussage müsste für weite Gebiete der Erde und große Teile ihrer Bevölkerung zutreffen – ganz im Sinne der grünen Amtsleitung und ihrer roten, vielleicht auch gelben und schwarzen Helfer. Den Visa-Antragstellern wird maximal entgegengekommen. Würde die Beschaffung oder Überprüfung von Urkunden „unzumutbar lange dauern“ oder auch nur, wenn dies „absehbar“ ist, soll sofort auf die alternative Glaubhaftmachung zurückgegriffen werden. Das scheint übrigens auch eine Blankovollmacht für jeden korrupten Botschafts- und Visastellenmitarbeiter zu sein: Er muss nur schreiben, dass ein Pass für den armen Antragsteller nicht zu besorgen sei oder aber die Prüfung zu aufwendig wäre, und schon darf er sich mit Mutmaßungen über eine sachlich fundierte Entscheidung hinwegretten. Die E-Mail von Henning G., Referent für „Verwaltungsstreitverfahren in Visumsachen“, zeigte, wie es geht: Afghanistan, so wild, so ungezähmt, da gibt es keine ordentlichen Pässe, wissen wir doch eh.

„Allein die Visastelle (und nicht etwa IOM oder externe Dienstleister oder ABHen) entscheidet aufgrund ihrer Landeskenntnisse“. Eben das. Mit den Abkürzungen sind die Internationale Organisation für Migration (IOM) der UNO und sind wohl Ausländerbehörden gemeint.

Druck auf Mitarbeiter: Keine Ausreden mehr möglich

Alternative Glaubhaftmachungen können sich stützen auf: „Fotos, Videos, Impfpässe, Schülerausweise“ aus irgendeinem Land der Welt, natürlich auch „deutsche amtliche Unterlagen“, zudem „Interviews und Befragungen ggfs. zusammen mit Ortskundigen“. Aber kann ein Interview, auch im Zusammenspiel mit Ortskundigen und Dolmetschern, im Ernstfall wirklich von Muttersprachlern amtlich ausgestellte Dokumente aus verlässlicher Quelle ersetzen? Nein. Das „Problem“ des Auswärtigen Amtes könnte man auch so bezeichnen, dass es hier ständig dem wenig und ganz und gar Unglaubhaften Glauben schenken will, wie es auch der Einzelfall Mohammad Ali G. gezeigt hatte, wo Visa-Referent Henning G. zugab, dass man jeglichen „Personenstandsdokumenten“ aus Afghanistan im Grunde misstraute, sie aber im Endeffekt dann wieder gut fand, vor allem wenn der Antragsteller oder seine Verwandten sich einig waren.

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Dann folgen in dem neuen Dokument, dass Business Insider veröffentlicht hat, ähnliche oder sogar identische Wortlaute wie schon in der Weisung per E-Mail vom 28. März 2022: Absolute Gewissheit über einen Sachverhalt sei „nicht erforderlich“. Es reiche vielmehr aus, wenn „die Visastelle mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit überzeugt ist, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne diese völlig auszuschließen“. Entscheidend sei die Gesamtschau – also der kennerische Blick des einzelnen Visa-Beamten, dem schon genügend Erfahrung zugebilligt wird, um einen Fall am Ende zum befriedigenden Abschluss zu bringen. Das bedeutet in Baerbocks Sinn: die Ausstellung eines Visums.

Krönung des Dokuments sind die warnenden Worte: „Eine Ablehnung allein aufgrund nicht vorliegender Belege ist nicht möglich.“ Es soll sich also kein Mitarbeiter darauf herausreden, es lägen ja gar keine Belege für eine Behauptung vor. Das wäre so etwa mit die schlimmste Art, in der sich die deutsche Bürokratie in die Leben einreisewilliger, vermutlich unbescholtener Antragsteller in anderen Ländern einmischen könnte. Und genau das sollte ja mit dem Amtsantritt Baerbocks im Dezember 2021 der Vergangenheit angehören. „Bürokratische Hürden“ sollten ab- nicht aufgebaut werden. Die Einreise gerade von „gefährdeten“ Afghanen, also Schutzsuchenden, aber sicher auch von Syrern, Nigerianern oder was auch immer solcher Art sollte – so wörtlich die Ministerin – „erleichtert“ werden. Mehrere „humanitäre Luftbrücken“ von Afghanistan, eigentlich aber aus aller Welt nach Deutschland sollten entstehen.

Baerbocks freiwilliger Aufnahmegürtel vom Inneren Afrikas bis nach Zentralasien

Knapp drei Jahre später hat Baerbock dieses Ziel beinahe erreicht. Sie lässt Dienstweisung auf Dienstweisung erteilen, damit die Botschaftsmitarbeiter, die in der Vergangenheit noch öfter protestierten, immer mehr nach ihrer Pfeife tanzen. Auch Business Insider resümiert: „Der vermeintliche Abbau von Hürden ging zulasten bestehenden Rechts.“ Staatsanwaltschaften in Berlin und Cottbus sind mit der Visa-Affäre rund um Ministerin Baerbock und ihr Amt befasst. Bisher geht es noch „nur“ um drei hochrangige Mitarbeiter und rund 20 erteilte Visa, bei denen die Bedenken offenkundig geworden sind.

Doch wie erst der Focus und dann die Welt am Sonntag berichtet haben, könnte sich das Ausmaß der Affäre bald ausweiten – geprüft werden derzeit vielleicht weit über 5.000 Visa-Vergaben in verschiedenen Botschaften („eine hohe vierstellige Zahl“). Die Weisungs-E-Mail vom März 2022 erging insbesondere an die Botschaften in „Addis Abeba, Amman, Ankara, Bagdad, Beirut, Damaskus, Doha, Duschanbe, Erbil, Islamabad, Istanbul, Khartum, Nairobi, Neu-Delhi, Taschkent und Teheran“. Das wäre also, ganz grob gesehen, Baerbocks freiwilliger Aufnahmegürtel für Visa-Immigranten, der sich vom Inneren Afrikas bis nach Zentralasien erstreckt. Zentren der aktuellen Asylmigration wie Ankara, Bagdad, Damaskus und Istanbul gehören mit zu dieser Perlenkette.

All das legt schon nahe: Die illegalen Einreisen über EU- und deutsche Grenzen reichen der grünen Außenministerin keineswegs. Sie möchte mehr tun für quasi-legale Einwanderungsrouten über deutsche Botschaften. Die Botschaftsmitarbeiter aber wehren sich zunehmend gegen die laxe Politik, die ihnen die Ministerin auferlegen will. So erklären sich auch Leaks und Durchstechungen, wie sie jetzt an Business Insider gingen.

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