Antonio Tajani ist diplomatisch. Zu diplomatisch. Bei der Pressekonferenz mit Amtskollegin Annalena Baerbock unterstreicht er die deutsch-italienische Freundschaft. Er verweist auf die Politik in den afrikanischen Herkunftsländern, verweist darauf, dass man sich vom Import Seltener Erden aus China verabschieden müsse und betont, Europa müsse mehr im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan vermitteln – Positionen, die Baerbock auch teilen würde.
Doch über dem Besuch zuckt ein doppeltes Damokles-Schwert. Da ist einmal der Migrationspakt, den die Grünen letztlich passieren lassen mussten. Baerbock macht auch an diesem Tag immer wieder deutlich, wie eng sie sich mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser abspreche. Heißt: eigentlich ist sie dagegen.
Das andere Thema ist das, was in der italienischen Öffentlichkeit seit ein paar Tagen die Schlagzeilen der politisch rechts stehenden Blätter dominiert, und Premierministerin Giorgia Meloni dazu brachte, einen Brief an Kanzler Olaf Scholz zu schreiben: nämlich die Finanzierung von NGO-Schiffen durch den Bundestag. Meloni hatte Antworten gefordert, Tajani versprochen, das Thema anzusprechen.
Wieder bleibt Tajani klar, aber versöhnlich, erklärt, dass die Finanzierung seiner Ansicht nach das Leid im Mittelmeer fördere. Italien habe Interesse daran, dass das Meer, das es umgebe, ein Meer des Friedens und des Handels sei, nicht ein Meer des Todes. Baerbock verteidigt ihren Punkt nicht nur, sondern erklärt, dass Deutschland die NGO-Schiffe auch weiterhin bezahlen werde. Obwohl Tajani zuvor betont hatte, dass die italienische Küstenwache gut alleine zurechtkomme, weiß es Baerbock besser: Deutschland leiste damit seinen Teil.
Tajani merkt indes an, dass die Leute, die bei Seeunglücken ums Leben kämen, gar nicht nach Italien wollten, sondern in andere Teile Europas. Unausgesprochen ist Deutschland gemeint. Bereits gestern hatte der italienische Außenminister wörtlich gesagt: „Deutschland finanziert Nichtregierungsorganisationen, die Migranten retten, aber anstatt sie nach Deutschland zu bringen, bringt sie diese nach Italien.“
Man möchte das Thema wechseln: beide Seiten. Während Tajani bemüht ist, die Freundschaft und das Bündnis mit Deutschland über G7, EU und Nato zu betonen, legt Baerbock Wert auf die gemeinsamen Werte. Und als ein italienischer Journalist anmerkt, dass das Vorgehen Deutschlands die Gemüter in Italien so erhitzt habe, dass Lega-Chef Matteo Salvini davon gesprochen hätte, dass Deutschland Italien vor 80 Jahren mit Soldaten zu besetzen versucht habe, und nun dasselbe mit Migranten tue, greift Tajani sofort ein, um zu betonen, dass dies Salvinis Privatmeinung sei, aber nicht die Position der italienischen Regierung.
Dennoch: obwohl beide versuchen, den Konflikt zu übertünchen – dabei gibt sich der Italiener deutlich mehr Mühe als die Deutsche – können sie die Klippe namens NGO-Finanzierung kaum umschiffen. Mindestens dreimal werfen italienische Journalisten das Thema auf, wohl unbefriedigt darüber, dass es die Deutschen so gar nicht schert, dass ihre Weltenretterallüre von einigen als Einmischung verstanden werden könnte.
Es kommt zu einer Szene, die vermutlich nicht nur Tajani, sondern auch der anwesenden italienischen Delegation das Blut gefrieren lässt – ob so viel ungerührter Unverfrorenheit. Neuerlich auf den Brief Melonis angesprochen und dessen Konsequenzen sagt Baerbock lachend: „Wenn ein Brief wegen NGO-Finanzierung unser einziges Problem sind …“
Das saß. Baerbock will die Sache herunterspielen. Für sie ist die italienische Regierungschefin und ein ernstes Anliegen der italienischen Bevölkerung ein nachrangiges Thema. Ginge es um deutsche Interessen, so könnte man es vielleicht noch verstehen. Doch es geht um grünideologische Interessen, die letztlich auch das Ansehen Deutschlands in der Welt ramponieren. Die Botschaft Baerbocks nach Rom: nicht in der Lage, Menschen zu retten, Deutschland kann das besser. Und: uns egal, was andere denken. Die oberste Diplomatin Deutschlands hat gesprochen. Die Italiener werden es sich merken.
Die Wertschätzung für den vermeintlich engen Partner zeigt sich auch in anderen Details. Während das italienische Außenministerium die Pressekonferenz live auf der eigenen Seite übertrug, hat das Auswärtige Amt nicht einmal eine Mitteilung herausgegeben. De facto existiert der Besuch, der die Italiener so aufgewühlt hat, gar nicht. Es bleibt also alles beim Alten: die Deutschen respektieren die Italiener nicht, und die Italiener lieben die Deutschen nicht.