„Es sieht aus wie nach dem Krieg“, sagt einer der Schaulustigen, die immer noch ab und an mit der Handy-Kamera durch die Stadt ziehen. Bewohner sind kaum zu sehen in der Fußgängerzone von Bad Münstereifel. Mehr als fünf Monate nach der Flutnacht am 14. Juli 2021 gleicht die Innenstadt tatsächlich immer noch einem Schlachtfeld. Das hatte ich mir anders vorgestellt. Im Sommer war ich dabei, als das Unglück passierte. Ich selbst war in Sicherheit auf einem Hügel in einem benachbarten Dorf. Lange hatte ich mich nicht getraut, Bad Münstereifel zu besuchen. Ich wollte keine Schaulustige sein.
Es war die kleine Erft, die sich eigentlich tief eingebettet durch den Ort schlängelt, die in jener Nacht alles auseinandergerissen hat in Bad Münstereifel, samt Kopfsteinpflaster, Stadtmauer und Brücken. Die Fußgängerzone, die parallel zu dem Fluß läuft, war mein Schulweg für viele Jahre. Meine alte Schule hat gerade erst wieder die Türen geöffnet. Erst die Pandemie, dann das. Für Lehrer und Schüler ein hartes Brot.
Immer wieder neu anfangen
Noch immer fehlen Handwerker und Materialien
Handwerker sind seit Jahren knapp in Deutschland, ihre Arbeit ist gut bezahlt. Sie kommen jetzt aus Köln und anderen Bundesländern, um Bad Münstereifel wieder aufzurichten. Aber es fehlen immer noch die Materialien und die Maschinen, selbst nach so vielen Monaten. Die Wände vieler Fachwerkhäuser sind immer noch nicht trocken. Die Krise der Lieferketten und die Rohstoffknappheit hilft dabei nicht. Alles wird zudem viel teurer als gedacht. Für den sporadischen Besucher von Bad Münstereifel sind bisherige Aufbauarbeiten, von denen die CDU-Bürgermeisterin Sabine Preiser-Marian gerne spricht, deswegen kaum sichtbar. Es hakt hier überall, auch bei den Staatshilfen. Die Versicherungen kämpfen um jeden Pfennig.
Am schnellsten kamen die privaten Spenden bisher bei den Betroffenen an. Die Solidarität ist enorm. Moderatorin Bettina Böttinger mobilisierte durch ihre TV-Auftritte weitere Hilfen für die Heimat. Und der in der Nähe von Bad Münstereifel lebende Heino gab spontan ein kleines Weihnachtskonzert auf dem improvisierten Weihnachtsmarkt. Der Zusammenhalt ist wohl das schönste, was Eifler in diesen grauen Tagen erleben. Leute verzichten sogar auf ihre Urlaubstage zugunsten eines schnellen Neuaufbaus der Fachwerkstadt.
Wenn Deutschland nicht schnell aufbaut, wie soll es Haiti schaffen?
Dennoch: Auf Antrag der SPD und der Grünen wurde ein Ausschuss eingesetzt, um mögliche Versäumnisse, Fehleinschätzungen und etwaiges Fehlverhalten der Landesregierung zu sondieren. Einige Bürger erklären die Verzögerungen damit, dass zuerst Rohre und Elektroleitungen ersetzt werden müssten. Im Oktober hatte der Stadtrat beschlossen, dass in der Stadt Pflaster aus Grauwacke verlegt werden soll, dann wurde aber klar, dass das Material nicht komplett lieferbar ist.
Derweil versucht Bürgermeisterin Preiser-Marian für gute Stimmung zu sorgen und verkündet große Pläne für die Touristen-Stadt: Sie soll digitaler werden und sicherer gegen erneute Umwelt-Katastrophen. Damit versucht sie, viele zu vertrösten und auch die Kosten zu rechtfertigen, die auf die Stadt zukommen. Laut aktuellem Sachstandsbericht kostet der Wiederaufbau fast 24 Millionen Euro und das sind nur die direkten öffentlichen Schäden an Gebäuden und Sportplätzen. Wer für das ganze private Elend der Einzelhändler und Gastronomen aufkommt, ist noch unklar. Staatshilfen kommen auch hier nur zögerlich an, mit den Versicherungen wird verhandelt und gestritten.
Die Solidarität der Eifler ist die größte Stütze
Aber die Hoffnung stirbt zuletzt, nirgendwo ist das so spürbar wie in dem Ort, wo Heino ein Café hat und im Sommer noch Angela Merkel und Armin Laschet mit Gummistiefeln durch die Fußgängerzone stapften, mit großen Versprechen auf den Lippen. Vieles ist in diesem Sommer 2021 kaputt gegangen, auch weil viele an falscher Stelle lachten. Aber eins hat überlebt: die Solidarität und die rheinische Frohnatur.
Davon war auch die Wahl-Eiflerin Miriam Nölkensmeier überrascht. Sie will auch deswegen ihren Modeladen bald wieder aufmachen. Katastrophen wie diese beleben verlorene Überlebensinstinkte und machen kreativ. Nölkenmeier verkauft erstmal provisorisch aus einem Bus heraus. Eine Friseuse aus dem Ort schneidet in einem kleinen Alternativlokal, bis sie wieder in ihren Traditionssalon in die Innenstadt kann. An Weihnachten 2022 wird Bad Münstereifel zweifellos wieder aufgebaut sein, aber einige kommen nicht damit klar, dass es dann vielleicht nicht mehr ihr Städtchen, ihr Laden und ihr Haus sein wird, sondern einfach etwas anderes. Es ist ein Neuanfang.