Plötzlich gilt bei der AWO Rosa Luxemburgs Mahnung – „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“ – ganz und gar nicht mehr. Dabei sollte Freiheit und sozialistische Demokratie notwendige Voraussetzungen für eine erfolgreiche revolutionäre Entwicklung sein, so die Sozi-Vordenkerin. Einst gegründet von der SPD wurde die Revolution von der AWO eingestellt für eine selbst verordnete und unverrückbare Haltung. Abweichler unerwünscht.
So geschehen mit Mitgliedern aus der Arbeiterschaft in Nordrhein-Westfalen. Ins Visier der AWO-Sittenwächter geriet 2016 Guido Reil – Bergbaukumpel, Schlosser, Gewerkschafts- und Betriebsratsmitglied. Nach 25 Jahren AWO-Mitgliedschaft durfte der frühere Landtagskandidat für NRW und heutige AfD-Europaabgeordnete Reil nicht mehr für die Arbeiterwohlfahrt bei einem ehrenamtlichen Seniorenfahrdienst aktiv sein. Der 49-Jährige Ex-SPD-Mann, nun in Diensten der AfD, wurde von der AWO Essen für kritische Bemerkungen über Zuwanderer und kriminelle libanesische Clans kritisiert und stigmatisiert. Wenn Reil sich nicht ändere, werde ein Ausschluss aus der AWO „unvermeidbar und geradezu zwingend geboten sein“, warnte ihn das Schiedsgericht. Im Oktober 2017 bekam der AfD-Politiker es schriftlich vom AWO-Gremium. Arbeiter Guido Reil darf den AWO-Seniorenbus in Essen-Karnap nicht mehr fahren.
Im Moralisieren ist die Arbeiterwohlfahrt Spitze, vor allem ihre Spitzen. Doch im Schatten der immer kleiner werdenden SPD hat sich auch deren Vorfeldorganisation Arbeiterwohlfahrt genauso wie die Mutterpartei immer mehr vom Arbeiter entfernt.
AWO-Chef kassierte 390.000 Euro zu viel
Auch mit zu viel Geld fürs Spitzenpersonal hat die AWO immer wieder Probleme – selbst in Kreisverbänden. So musste Ex-AWO-Chef Peter Olijnyk 390.000 Euro an die AWO Müritz in Mecklenburg-Vorpommern zurückzahlen. Das Oberlandesgericht Rostock hatte im März diesen Jahres die Berufung von Olijnyk weitgehend abgewiesen: Jetzt muss er zu viel erhaltenes Geld an seinen alten Arbeitgeber zurückzahlen, wie der Nordkurier berichtet. Ex-AWO-Chef Olijnyk soll sich unverhältnismäßig hohe Gehälter über den Ex-Kreisvorsitzenden Götz-Peter Lohmann zugeschanzt haben. Es ging um 150.000 Euro im Jahr, 35.000 Euro Tantiemen und eine lebenslange Betriebsrente von 2.000 Euro. Vor drei Jahren war Olijnyk entlassen worden, als der Skandal in großen Teilen des Kreisvorstandes bekannt wurde.
Zu wenig Lohn für kleine Leute bei der AWO Bremen
Die Arbeiterwohlfahrt Bremerhaven musste im Februar vier Beschäftigten mehrere hundert Euro Lohn nachzahlen. Das hatte das Arbeitsgericht Bremerhaven entschieden. Aus Sicht des Gerichts fielen mehr Urlaubstage und eine Sonderzahlung als Weihnachtsgeld an, die von der AWO nicht berücksichtigt wurden.
Ausgrenzung der AfD wird bei der AWO zum Grundprinzip
„Wer die Ideen der AfD vertritt, der kommt unserer Ansicht nach für bestimmte Positionen bei uns nicht infrage, zum Beispiel als Leiter einer Flüchtlingsunterkunft oder einer Jugendeinrichtung“, verkündete eine Sprecherin des Bundesverbandes der AWO von ganz oben. Die Basis folgt. So setzt auch die Arbeiterwohlfahrt in Frankfurt auf Ausgrenzung. Deren Mitarbeiter und Mitglieder dürfen nicht in der AfD und ähnlichen Parteien organisiert sein. Der Kreisvorstand beschloss 2016, eine Doppelmitgliedschaft sei unvereinbar mit den Statuten des Wohlfahrtsverbands. Die AfD habe „ihre hässliche Fratze entblößt“, äzte der AWO-Vorsitzende Ansgar Dittmar. Taktvoller kann man ein Berufsverbot nicht aussprechen. Es sollte jedem klar sein, dass es sich bei ihr nicht nur um eine Protestpartei handele. Dasselbe gelte für die Liste „Bürger für Frankfurt“ (BFF), stellte Dittmar klar. Vor kurzem habe man sich von einem Mitglied der BFF getrennt. Die Frankfurter AWO beschäftigt nach eigenen Angaben 1.150 Mitarbeiter.
Tiefschläge bei der Frankfurter AWO
Gleichzeitig boxt die Frankfurter AWO ihre selbst verordnete politische Haltung mit legalen wie illegalen Mitteln brutal durch. Für den Fluss finanzieller staatlicher Hilfen muss man nur politisch gewünschte Ideen entwickeln. Kanzlerin Angela Merkels (CDU) grenzenlose Flüchtlingspolitik kam der AWO dabei gerade recht. 23 Millionen Euro zahlte die Stadt Frankfurt an den AWO-Kreisverband für den Betrieb zweier Asylbewerberheime. Darunter auch 201.461 Euro für ein Sport- und Wellnessprogramm. Muskelentspannung, Massagen, Meditation, Aerobic und Autogenes Training: Den Bewohnern der Frankfurter AWO-Heime muss es gut gegangen sein. Das Geld dafür floss großzügig im Rahmen von Kooperationsverträgen über „das Angebot physiotherapeutischer Betreuung und Sportangebote für Geflüchtete“ an eine Altenhilfe-Stiftung der AWO. Doch es gibt erhebliche Zweifel, welche Gegenleistungen dafür tatsächlich erbracht worden sind. Das angebliche Wellnessprogramm für Asylbewerber hat womöglich nur auf dem Papier stattgefunden, wie die Frankfurtern Neue Presse (FNP) jetzt aufdeckt.
Kassenprüferin des AWO-Kreisverbands Frankfurt ist die Bundestagsabgeordnete Ulli Nissen, SPD. Sie wollte sich gegenüber der Lokalzeitung jedoch nicht zu den Ungereimtheiten bei der Asylbewerberbetreuung äußern.
Eine Ehrenamtliche, die bis Ende 2018 in einem der beiden AWO-Flüchtlingsheime in Frankfurt tätig war, sagte der FNP: „Um Sportangebote haben wir Freiwillige uns gekümmert. Wir haben zum Beispiel Fußball mit den Asylbewerbern gespielt, aber von einem professionell organisierten Sportprogramm oder einem physiotherapeutischen Angebot für Flüchtlinge habe ich in all der Zeit nichts mitbekommen. Das kann ich mir nicht vorstellen, dass es dort so etwas gab.“ Auch interne Dokumente der AWO deuten auf Ungereimtheiten hin. So heißt es im Protokoll einer Mitarbeiterbesprechung vom 30. Januar 2018: „Bei der Erstellung der Übersicht ist aufgefallen, dass es nur sehr wenig interne Angebote gibt, insbesondere im Bereich Sport.“ Doch in den Monitoring-Berichten, die quartalsweise an die Stadt geschickt werden mussten, sind zahlreiche angebliche Sport- und Physiotherapie-Angebote mit Dutzenden von Teilnehmern aufgelistet. Eine Erklärung dafür liefert ein weiteres AWO-internes Dokument: die erste Version eines solchen Monitoring-Berichts, wie er von Mitarbeiterin von Ort ausgefüllt wurde. In dieser Liste tauchen die zahlreichen angeblichen Fitness-Angebote nämlich gar nicht auf. Stattdessen steht darin nur: „Sport für Männer“, „Sport für Frauen“ und „Physio-Therapie“ – mit jeweils 15, 7 und 4 Teilnehmern. Der AWO-Kreisverband behauptet gegenüber der FNP: „Alle Angebote fanden, wie auch der Stadt gegenüber nachgewiesen, statt. Die Behauptung, dass es in den beiden Einrichtungen keine organisierten Sportprogramme gegeben haben soll, ist schlichtweg falsch.“
Allerdings hat die AWO ihre beiden Frankfurter Flüchtlingsheime inzwischen aufgegeben. Diakonie und Caritas sind in die Lücke gesprungen. Die AWO behauptete, sie habe das Geschäft mit den Asylbewerbern aufgegeben, um sich auf ihre Kernaufgabe, die Seniorenbetreuung, zu konzentrieren. Angeblich geschah dieser Rückzug aus der Flüchtlingshilfe im besten Einvernehmen mit der Stadt. Doch das ist nicht ganz richtig, wie die FNP berichtet. Vorangegangenen war eine Auseinandersetzung zwischen Stadt und AWO, bei der es um verschiedene finanzielle Angelegenheiten ging. So hatte die AWO einen eigenen Sicherheitsdienst gegründet: die als gemeinnnützige GmbH angemeldete AWO Protect. Den millionenschweren Auftrag für die Bewachung der beiden Awo-Asylbewerberheime in Frankfurt vergab der AWO-Kreisverband dann an diese Tochtergesellschaft. Das Geld dafür kam, genauso wie das für Sport und Physiotherapie, von der Stadt.
Nachdem die Hintergründe für das Aus der AWO-Flüchtlingsheime durch einen ersten Bericht der FNP Anfang März bekannt geworden sind, kündigte der Geschäftsführer des AWO-Kreisverbands, Jürgen Richter, seinen Rücktritt an. Er werde zum 1. Juli in den Vorruhestand gehen, hieß es. Als einer seiner Nachfolger wurde der Geschäftsführer der Sicherheitsfirma AWO Protect vorgeschlagen. Er leitet derzeit auch die Abteilung Kindertagesstätten des AWO-Kreisverbands.
Richter selbst reagierte auf die jüngsten Berichte der FNP, in denen es um das angebliche Wellness-Programm ging, ziemlich betroffen. Der Chef der AWO Frankfurt veröffentlichte auf seinem privaten Facebook-Profil zwei Einträge, deren Wortwahl an Pegida und Co. erinnern. „Gibt es das wirklich: Fake-News und Lügenpresse?“, fragte er. Und gab gleich die Antwort: „Manchmal schon!“ Einen Tag später legt er nach: „Woher stammt wohl die Redewendung ‚Der lügt, wie gedruckt?‘“
Hart und brutal gegen Andersdenkende, weinerlich bei eigenen moralischen Verfehlungen: so präsentieren sich AWO-Funktionäre. Dabei hatte sich der Frankfurter AWO-Kreisverband unter Richter sehr deutlich und aggressiv gegen einen vermeintlichen Rechtspopulismus positioniert. Richter startete dazu eine Foto-Kampagne, in der AWO-Leute in kämpferischen Posen zum Einsatz gegen Rechts aufrufen. Dass die AfD nun den Skandal um Asyl-Wellness statt Arbeiter-Wohlfahrt bundesweit ausschlachtet, sieht Richter als Beleg dafür an, dass die Recherchen der Lokalzeitung Teil einer „offenbar politisch motivierten Kampagne“ seien. Und er verkündete, deshalb nun doch weiter Chef der AWO Frankfurt bleiben zu wollen: „Die weitere Übernahme von Verantwortung ist die einzig politisch richtige Antwort auf einen derartigen verleumderischen Angriff auf die AWO und meine Person, auch wenn meine persönliche Planung anderes vorsah.“