Tichys Einblick
Panorama-Recherche

Auswärtiges Amt umging Asylrecht für mutmaßlichen syrischen Folterchef

Obwohl dem Auswärtigen Amt Informationen vorlagen, erhielt ein syrischer mutmaßlicher Folterchef ein Visum für Deutschland, Flüchtlingsschutz und politisches Asyl. Er soll Verbrechen an der Menschheit begangen haben, was eindeutig Asyl ausschließt.

Screenprint: ARD/Panorama

Nach den Recherchen des ARD-Magazins Panorama handelt es sich um den syrischen hochrangigen Geheimdienstmitarbeiter Anwar R. Anwar R. war Vernehmungschef in der für seine Folterpraktiken berüchtigten Geheimdienstabteilung 251, zu der auch das Gefängnis Al-Khatib in Damaskus gehört. Im April begann in Koblenz der weltweit erste Prozess gegen zwei mutmaßliche Handlanger des Diktators Bashar al-Assad; In diesem Prozess steht auch der Hauptangeklagte Anwar R. Laut Anklage wurden über 4.000 Menschen bei Verhören gefoltert, unter anderem durch Elektroschocks, Peitschenhiebe oder Prügel mit Kabeln. Zudem werden Anwar R. Vergewaltigung, schwere sexuelle Nötigung und in 58 Fällen Mord zur Last gelegt.

Zum Schein der Opposition angeschlossen

Nach eigenen Angaben desertierte Anwar R. Ende 2020 vom syrischen Geheimdienst und setzte sich nach Jordanien ab. Bei dieser Flucht half ihm laut Panorama-Recherchen die syrische Opposition. So habe Anwar R. sich mutmaßlich zum Schein der Opposition angeschlossen. Im Gegenzug wollte R. offenbar Informationen über den Verbleib inhaftierter Assad-Gegner liefern, dies bestätigte der Regimegegner Wael Elkhaldy gegenüber Panorama. R. habe versprochen, 22.000 Dokumente über Assad-Gegner liefern würde. Als Zeuge vor dem Oberlandesgericht Koblenz sagte der syrische hochrangige Oppositionelle Riad Seif aus, dass dieses Versprochen von Anwar R. Der Grund war, wieso er dem Auswärtigen Amt die Aufnahme von Anwar R. empfahl.

Laut den Recherchen von Panorama waren die deutschen Behörden, darunter auch das Auswärtige Amt (AA), über die früheren Tätigkeiten des mutmaßlichen Folterchefs informiert. Das Auswärtige Amt bestätigte gegenüber Panorama, es sei bekannt gewesen, dass Anwar R. für den syrischen Geheimdienst gearbeitet habe. Doch trotzdem lägen „zu dem Zeitpunkt […] keine Erkenntnisse zu Anwar R. vor, die gegen die Einreise und Visumerteilung gesprochen haben“, so das AA.

Das Auswärtige Amt beschleunigte sogar Asylverfahren

Trotz einer Warnung an der deutschen Botschaft in Jordanien und dem Kenntnisstand des Auswärtigen Amts über Anwar R. hat das Auswärtige Amt scheinbar dessen Asylverfahren sogar beschleunigt. So erhielt Anwar R. 2014 das Visum nach nur 6 Tagen, welches er in der deutschen Botschaft Jordaniens beantragt hatte. Hinzu kommt, dass er sogar in das Bundesaufnahmeprogramm für „besonders schutzbedürftige syrische Flüchtlinge“ aufgenommen wurde, obwohl er ein hochrangiger Geheimdienstmitarbeiter des brutalen Assad-Regimes war, dem oben beschriebene Verbrechen zur Last gelegt werden.

So konnte Anfang Juli 2014 Anwar R. zusammen mit seiner Familie problemlos nach Deutschland einreisen. Panorama berichtet, dass der mutmaßliche Folterchef nach der Aufnahme in das Schutzprogramm weitere Vorzüge erlangte: Er bekam sowohl Flüchtlingsschutz als auch politisches Asyl, ohne dass er zuvor zu seinen Fluchtgründen befragt wurde. In dem Asylbescheid hieß es: Auf die gesetzlich vorgeschriebene „persönliche Anhörung wurde […] verzichtet“. Vor Gericht sagte R. selbst aus, dass er ausführlich Stellung zu seinen Asylgründen nehmen wollte, doch die BAMF-Beamtin habe gesagt, dass der Fall bekannt sei, alles läge in der Akte vor.

Auswärtiges Amt umging das Asylrecht

Der Flüchtlingsschutz für Anwar R. verstößt gegen das Asylgesetz, in welchem unter §3 Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft Absatz 2.1 geregelt ist:
„Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er 1. ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen“. Die Causa Anwar R. fällt eindeutig unter ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wegen diesem Tatbestand er auch vor Gericht steht.

Dass das Auswärtige Amt „unter anderem“ wegen der „Empfehlung eines hochrangigen Oppositionsvertreters“ Anwar R. nach Deutschland geholt habe, so auf eine weitere Anfrage, ist keine ausschlaggebende Erklärung dafür, wieso eine Ausnahme hinsichtlich des Asylgesetzes gemacht wurde. Das Auswärtige Amt hat das Asylgesetz umgegangen. Es stellt sich die Frage, inwiefern das Auswärtige Amt überhaupt beurteilen konnte, ob Anwar R. tatsächlich über den Verbleib inhaftierter Assad-Gegner Informationen liefern könnte und werde. Wie wahrscheinlich war es wirklich, dass Anwar R. wichtige Informationen als hochrangiger Geheimdienstmitarbeiter des Assad-Regimes freigeben würde?

Gab es innerhalb des Auswärtigen Amts überhaupt Experten, die sich vorher über die Glaubwürdigkeit von Anwar R. sowie dessen Vergangenheit beraten hatten? Der oppositionelle Wael Elkhaldy sagte zu Panorama: „Er hat uns nie Informationen gegeben, er hat uns verarscht.“

Deutscher Staat bietet Funktionären des Assad-Systems Schutz

Noch peinlicher für den deutschen Rechtsstaat ist es, dass gegen Anwar R. nur Ermittlungen eingeleitet wurden, weil er sich selbst bei der Polizei meldete, da er sich verfolgt fühlte. Er erzählte den Ermittlern freimütig, welche Position er einst im Geheimdienstapparat Syriens inne hatte. Erst seine Schilderungen hatten Ermittlungen und dann die Anklageerhebung zur Folge. Und die Ermittlungen, die wurden erst vier Jahre nach seiner Ankunft in Deutschland, im Jahr 2018, eingeleitet. Hätte Anwar R. sich nicht verfolgt gefühlt, könnte der mutmaßliche Folterchef sich in Deutschland wahrscheinlich auch weiter ohne Probleme frei bewegen. Es ist grotesk, dass der deutsche Staat einen Funktionär und schweren Verbrecher des Assad-Regimes Asyl und Flüchtlingsschutz gibt. Und das, obwohl in Deutschland ehemalige verfolgte, vergewaltigte und gefolterte Menschen genau vor solchen Menschenrechtsverbrechern Schutz suchen, vor denen sie unter anderem geflüchtet sind. Laut Tagesspiegel habe sogar ein syrischer Flüchtling Anwar R. eines Tages in Berlin auf der Straße erkannt.

In Syrien sind seit der Revolution im Frühjahr 2011 128.000 Menschen verschwunden und 14.000 durch Folter getötet. Anwar R. ist durch seine Funktion Teil des Assad-Systems gewesen, welches für sein Fortbestehenden einen brutalen Vernichtungskrieg führt und dafür Staatsfolter einsetzt. Der zweiten syrischen Angeklagten, Eyad A, vor dem Oberlandesgericht in Karlsruhe wird Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Eyad A. setzte sich Ende 2012 nach Jordanien ab. Auch er schloss sich der syrischen Opposition an. Ebenfalls reiste er im Jahr 2014 mit seiner Familie und ausgestattet mit einem Visum der deutschen Botschaft in Amman nach Deutschland ein. Angeblich soll er in dieser Zeit intensiv vom Bundesnachrichtendienst (BND) befragt worden sein. Eyad A. war in einer Unterabteilung des Geheimdiensts tätig und soll Mitglied eines Greifkommandos gewesen sein, das Verhaftete in das Gefängnis von Anwar R. überstellte.

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