Zur politischen Begründung der deutschen Energiewende gehört an erster Stelle deren Vorbildfunktion für den Rest der Welt. „Wer, wenn nicht wir, soll denn zeigen, dass man dem Klimawandel etwas entgegensetzen kann“, sagte Merkel kürzlich im Bundestag. Diese Formulierung ist zu einem Mantra Merkelscher Politik geworden. Nur so ist angesichts eines Anteils von rund zwei Prozent an den menschengemachten CO2-Emissionen der Total-Umbau der deutschen Energieversorgung im Dienste des Weltklimas zu rechtfertigen. Aber sieht denn überhaupt der Rest der Welt Deutschland als energiepolitisches Vorbild, dem man nacheifern wird?
Kaum. Das ist jedenfalls das Ergebnis einer Studie des Weltenergierates Deutschland, des deutschen Teils eines schon 1923 gegründeten globalen Netzwerks der Energiewirtschaft (World Energie Council). Bezeichnend ist, dass Deutschlands Energiewende gerade von den unmittelbaren Nachbarn in Europa nicht als nachahmenswert betrachtet wird. Je weiter weg (und damit wohl auch weniger informiert über die deutsche Energiewirklichkeit), desto größer das energiepolitische Ansehen Deutschlands.
Wie sich die Energiewende in Deutschland auf die Wirtschaftskraft auswirkt, ist umstritten: Laut Umfrage erwarten 67 % der europäischen Experten eine Abschwächung der Wirtschaftskraft Deutschlands aufgrund der Energiepolitik bis 2030. Demgegenüber steht eine Mehrheit von Experten aus dem außereuropäischen Ausland, die mittelfristig bis 2030 (57 %) bzw. langfristig bis 2050 (84 %) eine Stärkung der Wirtschaftskraft erwarten. „Die Ergebnisse zeigen, dass noch offen ist, wie sich die Energiepolitik auf die Wirtschaftskraft Deutschlands auswirkt. Erst wenn die Energiewende einen positiven wirtschaftlichen Effekt hat, werden insbesondere auch Länder außerhalb Europas sich stärker ein Beispiel nehmen“, kommentiert der Geschäftsführer des Weltenergierates, Carsten Rolle.
Auch die Bereitschaft, für Klimaschutz höhere Energiepreise zu akzeptieren, wird in Europa zumindest für Haushalte höher eingeschätzt. Die Hälfte der europäischen Experten glauben, dass die Bevölkerung bis zu 20 % höhere Energiepreise für mehr Klimaschutz akzeptieren würde. Im Rest der Welt ist man skeptischer: Die Mehrheit glaubt nicht, dass eine Bereitschaft für höhere Energiepreise für Klimaschutz für Haushalte (66 %) und Industrie (57 %) vorhanden ist. Zugleich sehen über 80 % aller Befragten eine CO2-Bepreisung als wichtige Maßnahme für den Klimaschutz.
Der Widerspruch macht sichtbar, dass offenbar die Bereitschaft für den Klimaschutz Einbußen an Kaufkraft hinzunehmen, die den Deutschen nun zugemutet werden, im Rest der Welt nicht vorhanden ist. Oder anders gesagt: Man wartet lieber erst mal ab, wie es den Deutschen mit der Energiewende ergeht, ehe man ihnen folgt.