Zweieinhalb Jahre Corona, die geplante Impfpflicht scheiterte im April dieses Jahres. Über Schutzmasken gibt es wohl ebenso viele Studien, die deren Nutzen im Einsatz gegen Corona belegen, wie Studien, die mittlerweile zum gegenteiligen Ergebnis kommen. Eine nicht zu ignorierende Anzahl Menschen wird gezählt, die nach einer dritten oder vierten Impfung zum zweiten oder dritten Mal an Corona erkranken.
Immer mehr Menschen, die sich in dieser Zeit an alle Maßnahmen – Lockdowns, Quarantäne, Impfungen, Abstände, Schutzmasken – gehalten haben, kommen zu dem Schluss, dass sie das nicht mehr weiter mitmachen möchten. Das europäische Ausland beendet sukzessive alle Maßnahmen, Bestrebungen und Vorhaben, während in Deutschland immer wieder Anläufe für neue Einschränkungen und vereinzelt auch erneut für eine allgemeine Impfpflicht genommen werden. Was ist in Deutschland so signifikant anders als bei allen Nachbarländern?
Das Erinnerungsvermögen der Ausgegrenzten
In dieser Zeit sorgen nun zwei Hashtags (#ichhabemitgemacht und #ichhabeausgegrenzt) für heillose Aufregung, unter denen die radikalsten Aussagen und Beleidigungen der letzten Jahre zusammengefasst werden, die sich von Befürwortern einer Impfpflicht und rigiden Corona-Maßnahmen (ZeroCovid) gegen Skeptiker dieser Maßnahmen und gegen Kritiker richteten. An den so noch einmal zusammengetragenen Aussagen zeigen sich übelste Ausgrenzung, Diffamierung, Beleidigungen, Diskriminierungen und der vielfach zum Ausdruck gebrachte Wunsch, Kritiker und Gegner in einer Mehrklassengesellschaft an das unterste Ende zu bugsieren, ihren Wert daran zu bemessen, wie oft sie sich haben impfen lassen.
So reichten zwei Impfungen schon sehr bald nicht mehr aus, um den Zorn derer zu verhindern, denen keine Maßnahme weit genug ging. Absolute Konformität oder raus aus dem Kreis. Fragen nach der Effizienz des Ganzen hatten oftmals die umgehende Exkommunikation zur Folge. Ruhige und sachliche Nachfragen wurden mit einem Verschieben der Person ins rechtsextreme Schwurbellager goutiert. Immer und immer wieder. So gingen mit der Zeit auch immer mehr einstige Befürworter von Lockdowns, Impfungen und Maßnahmen über Bord. Menschen wurden aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen und durch den erzeugten, immer weiter anschwellenden öffentlichen Druck aus ihren Arbeitsverhältnissen gedrängt. Wenn der Begriff „Hass und Hetze“ einmal angebracht ist, dann hier: Noch selten, wenn noch nie haben diese Menschen zu ihren Lebzeiten mehr Hass und Hetze erlebt und erfahren, als in diesen zwei Jahren.
Es sind Aussagen, an die die Beteiligten bei geänderter Nachrichtenlage heute nicht mehr gerne erinnert werden möchten. Dementsprechend dünnhäutig fallen die Reaktionen aus. Dasselbe Lager, das gar nicht oft genug Aufstellungen politischer Gegner mit Namen und Bildern teilen kann, das begierig belastende Cluster-Wimmelbilder verbreitet, die belegen sollen, welche Nutzer vor fünf Jahren den gleichen Tweet wie der Schwippschwager von Alexander Gauland retweetet haben, das Screenshots von unliebsamen Personen tausendfach zur Belustigung, zur Beleidigung – bis gesteigert hin zu konkreten Auslöschungsfantasien – teilt, das Hendrik Streeck verbal schon hundertmal gejagt, gevierteilt und mehrmals für Massenmord in die Verantwortung stellen wollte, das die Schauspieler der Aktion von #allesdichtmachen säuberlich zusammengestellt hat und feierte, wenn wieder eines der Videos von YouTube gelöscht oder von den Schauspielern durch den massiven Druck selbst zurückgezogen wurde, die das Erstellen von namentlichen Listen selbst ganz knorke fand – dasselbe Lager sieht in dem Zusammentragen der Zitate unter diesen Hashtags nun einen „Online-Pranger“.
Es geht um Aussagen wie diese:
„Na herzlichen dank an alle Ungeimpften. Dank euch droht der nächste Winter im Lockdown. Vielerorts wieder ohne Weihnachtsmärkte, vielleicht wieder ohne die Weihnachtsfeiertage im Familienkreis.“ (→)
„Diejenigen, die hier gegen die Impfung protestieren, haben dazu keinen Beitrag geleistet. Sie haben kein Recht, hier zu sein!“, weiter: „Sie haben keinen Beitrag geleistet, und ich finde es einen Unverschämtheit, dass Sie noch die Stirn haben, eine Demonstration derjenigen zu missbrauchen, die gearbeitet haben!“ – „Ihre Arbeit hat keinen Beitrag geleistet, ich will es hier ganz klar sagen.“ (→)
„Zuerst einmal müssen wir eine klare Botschaft an die Ungeimpften senden: Ihr seid jetzt raus aus dem gesellschaftlichen Leben.“ (→)
„Wer sich nicht impfen lässt, ist ein asozialer Trittbrettfahrer“ (→)
„Die Eliten sind gar nicht das Problem, die Bevölkerungen sind im Moment das Problem“ (→) und „Impfgegner sind Bekloppte“. (→)
„Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich um gesellschaftliche Nachteile für all jene ersuchen, die freiwillig auf eine Impfung verzichten. Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen.“ weiter: „Der Staat hat schon umstrittenere Sachen durchgepaukt!“ (→)
„Kein Impfgegner wird wie ein Staatsfeind behandelt. Er darf nur, hoffentlich bald, nicht mehr unter Leute gehen, weil er ein gefährlicher Sozialschädling ist.“ (→)
„Ungeimpfte dürfen nicht als Minderheit die Mehrheit terrorisieren.“ (→)
„Wer nicht geimpft oder genesen ist, kann dann nur noch zur Apotheke, in den Supermarkt und zum Arzt“, „Kein Ungeimpfter mehr im Büro, kein ungeimpfter Fußballspieler mehr auf dem Rasen, kein ungeimpfter Abgeordneter mehr im Bundestag, kein ungeimpfter Student mehr im Hörsaal.“ (→)
„Wäre die Spaltung der Gesellschaft wirklich etwas so Schlimmes? Sie würde ja nicht in der Mitte auseinanderbrechen, sondern ziemlich weit rechts unten. Und so ein Blinddarm ist ja nicht im strengeren Sinne essentiell für das Überleben des Gesamtkomplexes.“ (→)
„Stoße mich daran, dass kleine Richterlein sich hinstellen und 2G im Einzelhandel kippen“ (→) – „Tyrannei der Ungeimpften“ (→)
Einer der Initiatoren der schnell trendenden Hashtags, Mic de Vries, FDP-Mitglied, fordert in einem weiteren Tweet die Follower auf, doch Fotos zu den Zitaten zu stellen, woraus sofort abgeleitet wird, dass dort „Feindeslisten“ erstellt werden sollen. Weitere FDP-Politiker teilen den ersten Tweet von de Vries (aus einer Reihe von 25) und geraten umgehend mit in den Strudel der persönlichen Anfeindungen und Angriffe. Ebenso werden FDP-Politiker von Grünen und SPD-Anhängern aufgefordert, dazu umgehend Stellung zu nehmen und sich davon zu distanzieren. „Der Herr unterstützt eine Prangeraktion, die ich für schwer kritikwürdig halte. Das hat m.E. mit sachlicher Kritik nichts zu tun. Das ist unreflektiertes und stumpfes Draufhauen. „Weil man jetzt mal so richtig sauer sein möchte“, schreibt Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) auf Twitter. Weiter: „Der Herr hat weder Amt, noch Funktion, noch spricht er für uns. Weder Partei noch Fraktion unterstützen so etwas. Es widerspricht unserem Leitbild.“
Befürworter von ZeroCovid-Maßnahmen erinnern teils unter erneuter Zuhilfenahme von „Covidioten-„, Schwurbler-“ und „Pack“-Termini noch einmal daran, dass sich an ihrer Einstellung nichts geändert habe. Juristen sehen im Tweet von de Vries den Tatbestand der Erstellung einer Feindesliste als gegeben an und rufen nach dem Staatsanwalt. Weitere Juristen widersprechen. Man kennt es: zehn Anwälte, fünfzehn Meinungen. Wir werden bald erfahren, wann eine Sammlung von Zitaten dann einen Straftatbestand erfüllt.
Die Erinnerung an diese tiefe und lustvoll betriebene Spaltung fällt in eine Zeit, in der sich Journalisten und Politiker fragen, wo nur das „Wir-Gefühl“ beim Strom- und Gassparen geblieben ist. Was bleibt, ist ein schales Gefühl: Deutschland ist tief gespalten. Wenn von Hass und Hetze geredet wird, gilt: Die Anhänger der Regierungslinie haben sich vielfach im Ton vergriffen, Kritiker beleidigt und denunziert, wohl auch Karrieren zerstört und Rufschädigung betrieben. Mit dem faktischen Zusammenbruch der Linie Lauterbachs und seiner ZeroCovid-Fraktion erhalten die Gescholtenen nachträglich Recht – und erinnern ihrerseits daran.
Die politische Praxis, Gegner zu diffamieren und abweichende Meinungen sofort grotesk ausschließen und kriminalisieren zu wollen, fällt jetzt auf die Verursacher zurück. Corona war nicht das erste Thema, das so gehandhabt wurde. Auch Kritiker des Atomausstiegs, dann der Einwanderungspolitik Merkels oder neuerdings des Transsexuellen-Gesetzes wurden und werden ganz ähnlich angegangen.