Nur fünf Jahre nach dem Flüchtlingsherbst von 2015, der trotz allem Gerede von Angela Merkel und anderen Regierungspolitikern über eine „europäische Lösung“ weitestgehend ein deutscher Herbst war, bahnt sich offenbar eine Wiederholung der Lage an. Wieder prescht Deutschlands Regierung – vor allem die offizielle Regierungspartei SPD und die informelle Agenda-Setting-Mitregierungspartei Grüne – wieder mit weltweit vernehmbaren Signalen der Aufnahmebereitschaft vor.
Dutzende Abgeordnete, darunter die Vorsitzende der SPD und ihr Generalsekretär verpflichten sich öffentlich bei der 13.000-Stühle-Aktion, sich dafür einzusetzen. Es scheint erneut einen Überbietungswettbewerb der Willkommenstugend zu geben: Entwicklungshilfeminister Gerd Müller von der CSU will 2.000 Migranten aus Moria aufnehmen, 16 andere Unionsabgeordnete wollen der SPD nicht nachstehen und fordern, 5.000 Migranten aus Moria aufzunehmen. Zu den Unterzeichnern des Briefes gehört unter anderem Norbert Röttgen, der sich derzeit für den CDU-Vorsitz bewirbt. Man kann sich vorstellen, was dann mit dem 5001. passiert. Und viele Kommunen, die seit Jahren nur noch mit Unterstützung des Bundes und der Länder die Migranten auf gewohntem Niveau versorgen und unterbringen können, machen sowieso ihre eigene Einwanderungspolitik, die letztlich auch nur darin besteht, unbedingte Willkommenssignale zu senden.
Wo man sich sonst um eine Milliarde Euro mehr oder weniger für irgendwelche Rentenerhöhungen monatelang streitet, scheint das Geld für die in den meisten Medien immer noch konsequent „Flüchtlinge“ genannten Zuwanderungswilligen aus dem globalen Süden überhaupt kein Argument zu sein. Und die Erinnerung daran, was seit 2015 aus dem inneren Frieden in Deutschland wurde, auch nicht. Es ändert sich nichts. Wie schon 2015 sind Deutschlands Obere zugleich beseelt von humanitärem Eifer und außenpolitischer Blindheit.
Vermutlich schüttelt man gerade in den Hauptstädten Europas wieder fassungslos die Köpfe. Denn nicht nur demonstrierende NGO-Aktivisten, sondern auch die CDU-Abgeordneten unter Federführung des Möchtegern-Bundeskanzlers und Außenpolitikers Norbert Röttgen haben schon im Vorhinein jeglichen Druck von ihnen genommen, indem sie an Seehofer schreiben: „Wir bitten Sie darum, dass Deutschland möglichst gemeinsam mit anderen EU-Staaten, aber notfalls auch alleine, 5.000 Flüchtlinge vom griechischen Festland aufnimmt.“ Und wie (in)konsequent Seehofer in dieser Frage zu handeln pflegt, weiß schließlich seit 2018 jeder. Seehofer gefällt sich offenbar in der Rolle des Bettvorlegers besser als des Tigers.
Die Regierungen zweier Nachbarländer, die potentiell ähnlich attraktiv für Armutszuwanderer sind, aber offenbar die Lehren aus der Erfahrung von 2015 gezogen haben, haben unzweideutig klar gemacht, dass Migranten aus Moria bei ihnen nicht willkommen sind. Es sind dies übrigens die beiden Länder, die traditionell innerhalb der EU auch die engsten wirtschafts- und währungspolitischen Verbündeten waren, bevor Merkel sie im Stich ließ: die Niederlande und Österreich.
„Die Niederlande haben immer den Standpunkt vertreten, dass wir keine Menschen übernehmen“, sagte die Staatssekretärin im Justizministerium, Ankie Broekers-Knol gegenüber einem Fernsehsender. Die Regierung in Den Haag hatte Griechenland zuvor humanitäre Hilfe zugesagt, „aber Flüchtlinge zu übernehmen, wie Deutschland das tun will, da ist die Antwort: nein.“ So einfach kann es sein, eigene Interessen zu vertreten.
Ähnlich die Regierung in Wien. Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg spricht einfach aus, was jeder weiß, der die Verantwortung für den eigenen Staat gegenüber der totalen Willkommensethik nicht ignoriert: „Wir müssen sehr vorsichtig sein, dass wir hier nicht Signale ausschicken, die dann eine Kettenreaktion auslösen, der wir vielleicht nicht mehr Herr werden“, sagte er gegenüber dem ORF.
Mit der Kettenreaktion ist natürlich das gemeint, was 2015 passierte. Daran erinnert der parteilose Diplomat Schallenberg dezent Angela Merkel und ihre Mitregierenden in deutschen Parteien. Es gibt eben Politiker, die aus Erfahrung klug werden. Und es gibt deutsche Politiker. Denen ist es im Ernstfall weiterhin letztlich egal, wenn Deutschland in Europa sogar von seinen engsten Verbündeten allein gelassen wird – sofern nur die so genannte Zivilgesellschaft der NGOs und ihre Moral der unbedingten Offenheit an ihrer Seite stehen.