Tichys Einblick
Von der Energiefront der Parteien

Der politische Streit um die Atomenergie in Deutschland geht weiter

Die Grünen haben einen neuen Propagandamix entdeckt: Gegen Atomkraft und Energieabhängigkeit von Russlands Uran-Brennelemente zugleich. Die Grünen fordern, die EU-Sanktionen gegen Russland auf dessen Atomindustrie auszudehnen.

Foto: Atomkraftwerk (über dts Nachrichtenagentur)

Der frühere Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) griff den Koalitionspartner FDP für seine Vorschläge zur Atomenergie an: „Der FDP-Vorschlag, die AKWs als Reserve zu behalten, verstößt gegen das Gesetz und würde sehr viel Steuergeld vernichten, weil der Staat die Kosten für Personal und Wartung übernehmen müsste“, sagte Trittin der „Bild am Sonntag“.

Längere Laufzeiten für die Kernkraftwerke würden Deutschland in die erneute Energieabhängigkeit von Russland treiben, kritisierte Trittin. „Wenn die FDP Atom-Laufzeiten verlängern will, redet sie faktisch davon, dass wir Uran aus Russland kaufen sollen. Atomenergie in Europa läuft nicht ohne Russland“ (dts Nachrichtenagentur).

Als Beispiele nannte Trittin die osteuropäischen Länder, die extrem abhängig von den Brennelementen von Rosatom, Putins Atomagentur, seien. Auch Frankreich produziere seine Brennstäbe aus Uranhexafluorid, das aus Russland komme. Trittin forderte, den Atomausstieg konsequent zu Ende zu führen: „Der Rückbau der AKW muss unverzüglich beginnen. Das schreibt das Gesetz vor. Die AKW-Flächen müssen, wie den Anwohnern versprochen, zügig für eine andere Gewerbenutzung bereitgestellt werden.“

Söder will eine Länderzuständigkeit für Atomenergie

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schlug unterdessen ebenfalls in der „Bild am Sonntag“ vor, dass das bayerische Atomkraftwerk Isar 2 in Landesverantwortung weiter betrieben wird.

„Bayern fordert deshalb vom Bund eine eigene Länderzuständigkeit für den Weiterbetrieb der Kernkraft. Solange die Krise nicht beendet und der Übergang zu den Erneuerbaren nicht gelungen ist, müssen wir bis zum Ende des Jahrzehnts jede Form von Energie nutzen. Bayern ist bereit, sich dieser Verantwortung zu stellen.“
Zugleich wolle Bayern als Vorreiter in die Forschung zur Kernfusion einsteigen, so Söder, „und den Bau eines eigenen Forschungsreaktors – gerne in Zusammenarbeit mit anderen Ländern“.

Zudem brauche es dringend eine nationale Forschungsstrategie für eine Nutzbarkeit des Atommülls. Der CSU-Vorsitzende: „Wir sind es unseren künftigen Generationen schuldig, nicht nur über ein Endlager in ferner Zukunft zu diskutieren, sondern innovative Pläne für eine verantwortungsvolle und technologische Lösung zu entwickeln.“

Der Vorstoß des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken in die Landesverantwortung zu übergeben, ist bei anderen Länderchefs auf Ablehnung gestoßen. „Nachdem sich Bayern jahrelang gegen den Ausbau von Netzen und erneuerbaren Energien gewehrt hat, wirkt diese Idee wie skurriles CSU-Wahlkampfgetöse“, sagte die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) der „Rheinischen Post“ (Montagsausgabe). Wenn Söder ein bayerisches AKW weiter betreiben wolle, dann werde er „sicher auch den Atommüll in Bayern entsorgen“, fügte die SPD-Politikerin hinzu.

Ähnlich äußerte sich auch der Thüringer Regierungschef Bodo Ramelow: „Wer die Zuständigkeit für den Betrieb von AKWs in Landeshoheit überleiten will, der muss dann auch alleine die Endlagerung in seinem Bundesland absichern“, schrieb der Linken-Politiker am Sonntag bei Twitter. „Konsequent sein bitte, denn dann ist Thüringen aus der Endlagersuche raus.“ Auch vonseiten der Grünen wird Söders Vorstoß erwartungsgemäß abgelehnt: „Da wirft sich Söder mit großer Geste hinter einen abgefahrenen Zug“, sagte der frühere Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) dem „Tagesspiegel“ (Montagsausgabe).
Er folge dabei dem Motto: „Das fordere ich, weil die Ablehnung gesichert ist.“ Dabei sei seit Samstag die Berechtigung zum Leistungsbetrieb „unwiderruflich erloschen“, so der Grünen-Politiker. „Das kann auch eine nachträgliche Änderung des Atomgesetzes nicht heilen. Die Zuständigkeit für die Kernenergie liegt nach dem Grundgesetz beim Bund.“ Die Länder führten das Atomgesetz nur im Auftrag des Bundes aus, sagte Trittin. „Das gilt auch in Bayern – selbst zu Wahlkampfzeiten. Wenn eine Änderung von Gesetzen Sinn macht, dann wäre es ein Zusatz zur Bayerischen Landesverfassung, wonach in Bayern produzierter Atommüll in Bayern endgelagert werden muss.“ Söder hatte zuvor erklärt, er würde gerne weiter Atommeiler in Eigenregie betreiben.

Hofreiter will EU-Sanktionen gegen russische Atomindustrie

Die Grünen fordern, die EU-Sanktionen gegen Russland auf dessen Atomindustrie auszudehnen. „Es ist völlig inakzeptabel, dass europäische Firmen weiterhin Atomgeschäfte mit dem russischen Staatskonzern Rosatom machen“, sagte der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter, dem „Tagesspiegel am Sonntag“. Das nächste Sanktionspaket müsse auch den Atombereich umfassen.

Zuvor hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gesagt, dass sich die Bundesregierung gegenüber der EU-Kommission für die Einbeziehung des zivilen Nuklearsektors in Russland in die EU-Sanktionen ausgesprochen habe. Hofreiter fordert, dass geschäftliche Beziehungen zwischen der EU und Rosatom untersagt werden müssten. „Rosatom-Manager, die sich in den Betrieb ukrainischer Kernkraftwerke einmischen und die nukleare Sicherheit Europas gefährden, gehören auf die Sanktionsliste“, verlangte er.

Die EU solle umgehend mit der westlichen Industriestaatengruppe der G-7 „eine gemeinsame Taskforce bilden, die den Ausstieg aus der Zusammenarbeit mit Rosatom vorbereitet“. Gegenwärtig wird in Brüssel ein elftes EU-Sanktionspaket gegen Russland vorbereitet. Sanktionen müssen im Kreis der 27 EU-Staaten einstimmig beschlossen werden.

„Es ist bisher sehr schwierig, den nötigen politischen Rückhalt dafür zu gewinnen“, hieß es aus EU-Diplomatenkreisen mit Blick auf die Diskussion unter den EU-Mitgliedstaaten über eine mögliche Begrenzung der russischen Uranimporte. Denn Länder wie Frankreich seien besonders abhängig von den Importen, hieß es.

Trittin fordert Ende der Brennelemente-Produktion im Emsland

Nach dem Abschalten des Kernkraftwerks Emsland in Lingen sollte nach Meinung von Grünen-Politiker Jürgen Trittin auch die dortige Produktion von Brennelementen eingestellt werden. „Robert Habeck fordert zu Recht, den Import von Uran aus Russland im Rahmen des Sanktionsregimes zu unterbinden, in Lingen sollten nicht länger Brennelemente produziert werden“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ). Darüber hinaus spricht sich Trittin für eine schnellere Suche nach einem Atommüll-Endlager in Deutschland aus.

„Wir brauchen auch bei der Suche nach einem Endlager in Deutschland eine Beschleunigung des Verfahrens“, so der Grünen-Politiker. Man dürfe die Geduld der Menschen nicht „überstrapazieren“. Es werde nach dem Ausstieg „immer schwieriger“ werden, Menschen zu vermitteln, warum vor ihrer Haustür ein Endlager für radioaktiven Müll entstehen sollte.
„Es kann nicht sein, dass wir erst 2060 ein Endlager haben, wir müssen deutlich früher eine sichere Lösung haben“, so Trittin.

FDP fordert Kernfusionsgesetz

FDP-Fraktionschef Christian Dürr fordert ein eigenes Kernfusionsgesetz. „Die Kernfusion fällt derzeit unter das Atomrecht – obwohl überhaupt keine hoch radioaktiven Abfälle entstehen“, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Sonntagausgaben). Die Kernfusion könne eine wichtige Säule der Stromproduktion werden.

Sie produziere umweltfreundliche Energie, unabhängig von Wind und Sonne. Darin sehe er „eine große Chance“, so Dürr. Länder wie Frankreich und Großbritannien seien hier „schon einen Schritt voraus“.
„Das zeigt, dass wir schnell tätig werden müssen, es wäre mehr als ärgerlich, wenn bei der Großanwendung zur echten Stromproduktion andere Länder das Rennen machen“, so der FDP-Politiker. Er wolle, dass in Deutschland „einer der ersten Kernfusionsreaktoren entsteht“. Dazu solle der Einsatz der Kernfusion „entbürokratisiert“ werden.

Ob das erste Kernfusionskraftwerk „in zehn oder in 20 Jahren“ entstehe, lasse sich noch nicht absehen. Jedenfalls sei die Kernfusion „eine grundlastfähige Stromproduktion, der die Zukunft gehören kann“, so Dürr. Der Nachteil bei Wind und Sonne sei, dass es immer noch keine ausreichenden und vor allem preisgünstigen Speichermöglichkeiten gebe.
Staatliche Förderung soll es allerdings nicht geben. Private Investoren seien „schon bereit, bei der Kernfusion ins Risiko zu gehen“. Das sei „immer ein gutes Zeichen“, so Dürr.

„Wir wollen ja keine staatlichen Kernfusionsreaktoren bauen – und auch keine Subventionen verteilen“, fügte er hinzu. Zugleich forderte Dürr erneut, die letzten drei Atommeiler – die am Samstag abgeschaltet werden – bis auf Weiteres betriebsbereit zu halten. „Es wäre falsch, sofort mit dem Rückbau der Kernkraftwerke zu beginnen, die derzeit noch sicher laufen“, sagte er.

„Wir sollten die drei Meiler in Reserve halten für den Fall, dass wir bei der Energieversorgung in eine dramatische Situation geraten, wie wir sie im vergangenen Herbst hatten.“ Der FDP-Fraktionschef rief dazu auf, den Kauf von Brennstäben vorzubereiten: „Spontane Blackouts dürfen gar nicht erst eintreten, wir müssen reagieren, wenn sich abzeichnet, dass es keine ausreichenden Stromkapazitäten in Europa gibt.“ Man sollte sich „jetzt in Gesprächen mit anderen Ländern die Option auf Brennstäbe sichern, damit wir imstande sind, die drei Kraftwerke schnellstmöglich wieder hochzufahren“, so Dürr.

Neubauer kritisiert Grüne und Scholz

Klimaistin Luisa Neubauer von der Bewegung „Fridays for Future“ wirf den Grünen vor, die Klimaschutzziele der Bundesregierung für den eigenen Machterhalt zu opfern. „Momentan bekommen wir zu spüren, dass Teile der Grünen ein Oder zwischen echtem Klimaschutz und Machterhalt sehen“, sagte sie dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Sonntagausgaben). Der ewige Druck der nächsten Wahl stehe dem klimapolitischen Fortschritt im Weg, weil man stets davon ausgehe, dass Klimaschutzmaßnahmen Prozente kosten würden.

Das rücke die Partei und die Klimabewegung auseinander, so Neubauer. Sie fügte hinzu: „Teile der Grünen-Spitze haben in dieser Legislaturperiode die Tendenz entwickelt, Zugeständnisse zu mehr Klimazerstörung mit staatsmännischer Politik zu verwechseln.“ Das sei fatal.
Gleichzeitig warnte Neubauer davor, die Klimakrise zu einem „Privatproblem der Grünen“ zu machen. „Auch alle anderen Parteien verspielen ihr Potenzial, in dem sie zulassen, dass man unsere Lebensgrundlage als Verhandlungsmasse in den Raum stellt“. Am Ende des Tages müsse man sich fragen, warum Bundeskanzler Olaf Scholz den Klimaschutz nicht zur Chefsache mache.

Die SPD kann ihren Vorsprung vor den Grünen ausbauen. Im Sonntagstrend, den das Meinungsforschungsinstitut Insa wöchentlich für die „Bild am Sonntag“ erhebt, kommen die Sozialdemokraten auf 21 Prozent, das ist ein Prozentpunkt mehr als in der Vorwoche. Die Grünen hingegen verlieren einen Punkt und kommen nur noch auf 15 Prozent.
Auch die Union notiert um einen Prozentpunkt tiefer und kommt in dieser Woche auf 27 Prozent. Die FDP bleibt bei 8 Prozent, die AfD bei 16 Prozent. Die Linke hat einen Punkt mehr und kommt auf 5 Prozent.
Die sonstigen Parteien würden 8 Prozent der Stimmen auf sich vereinen (+/-0). Für die „Bild am Sonntag“ hatte Insa 1.204 Personen im Zeitraum vom 11. bis zum 14. April befragt (TOM). Frage: „Wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre, wie würden Sie wählen?“

Die TE-Redaktion weiß natürlich, dass ein Prozentpunkt demoskopisch rauf oder runter seriös nicht interpretierbar ist, klar ist aber auch, dass damit medial Stimmung gemacht werden kann, weshalb politische Umfragen praktisch nur noch von Medien in Auftrag gegeben und bezahlt werden.

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