Tichys Einblick
Wie die Krise 2.0 heruntergespielt wird

Asyl im Herbst 2023: Geschönte Rekorde in Deutschland, Verschnaufpause in Österreich

Deutschland erreicht bei der illegalen Zuwanderung alte Rekordwerte. Dagegen bekam Österreich eine deutliche Senkung gewährt – vor allem dank dem ungarischen und neuerdings serbischen Grenzschutz. Daneben wandern viele einfach weiter nach Norden, zum Teil auch schon im Reisebus.

Symbolbild - Ankunft von Flüchtlingen am Flughafen Berlin Schönefeld

IMAGO / Jochen Eckel

Der November 2023 hat Deutschland einen Rekord an illegalen Einreisen gebracht, der vielleicht noch nicht einmal korrekt in der Antrags-Statistik des zuständigen Bundesamtes (BAMF) angezeigt wird. Gab es im November offiziell mehr als 35.000 Erstanträge und mehr als 37.000 Asylanträge insgesamt, so kursierten für die Vormonate inoffizielle, aber von höchster Stelle stammende Zahlen von über 50.000 Neuzugängen im Monat, die – aus verschiedenen Gründen – noch nicht in die offizielle Statistik eingingen.

„Diese Zahlen geben den tatsächlichen Asylzugang nicht wieder“, gab auch BAMF-Chef Hans-Eckhard Sommer im November zu. Gemeint waren damit knapp 28.000 Erstanträge im September und fast 32.000 im Oktober. „Die Länder haben mittlerweile erhebliche Registrierungsrückstände, sodass wir es tatsächlich im September mit rund 50.000 und im Oktober mit rund 55.000 Zugängen zu tun hatten.“ Schon Ende Oktober wurden laut dem Brandbrief von Sommer 49.000 Erstanträge verheimlicht, wie etwa der Münchner Merkur schrieb. Das ist in der Summe nicht mehr weit weg vom August 2016 mit 90.000 Erstanträgen.

Wieviele waren es also im November real? Man mag es kaum vermuten. Damit zeichnet sich ab, dass es vermutlich einen Übertrag von Anträgen ins neue Jahr geben wird, so wie es schon 2015/2016 geschah. Die Migrations-, eigentlich ja Invasionskrise 2.0 und das öffentliche Eingeständnis von ihr wird vertagt und in die Länge gezogen.

Das BAMF war so überlastet, dass sogar die Innenministerin den Beamten einen Dispens erteilte: Sie mussten nicht mehr zwischen den verschiedenen Großdialekten des Arabischen unterscheiden, sollten weniger Pässe und Ausweise prüfen. Auch andere Hinweise (etwa der Inhalt des Handys) sollten nicht mehr in Betracht gezogen werden, wenn man die Nationalität eines Antragstellers nicht feststellen konnte. Sogar das digitale Schengener Informationssystem der EU und anderer beteiligter Länder sollte seltener zu Rate gezogen werden. Der Bildungsgrad der Beteiligten interessierte auch nicht mehr. Das alles gibt ein bestürzendes Bild von Inkompetenz und gewolltem Unwissen, das der Überlastung des BAMF (und der zuständigen Ministerin) auf dem Fuße folgt. Kontrollverlust bedeutet eben Kontrollverlust, könnte man simplistisch anfügen.

Ganz anders sieht die Lage im Nachbarland Österreich aus, und diese Nachrichten hängen vor allem mit einem noch weiter im Osten gelegenen Nachbarn zusammen. Die Aufgriffe illegaler Zuwanderer im Grenzland Burgenland sind demnach seit Ende Oktober stark zurückgegangen, wie ORF und Kronenzeitung unisono berichten. Im gesamten November seien nur 84 Personen im Burgenland und damit an der Grenze nach Ungarn aufgegriffen worden. Der Grund für diese Entwicklung wird in „rigorosen Maßnahmen“ an der serbisch-bulgarischen wie der ungarisch-serbischen Grenze gesehen. So strahlt Orbáns Grenzschutz – neben dem des serbischen Präsidenten Vučić – also inzwischen bis in das Alpenland aus.

Die Belastungen wachsen stetig an

In Ungarn hatten sich Regierung und Parlament allerdings zuletzt alarmiert gezeigt über die Zunahme der Gewalt an den EU-Außengrenzen. Von einer Talibanisierung und dem Einfluss anderer Terrorgruppen auf das illegale Schlepperwesen war die Rede. In Ungarn folgen auf derartige Verdachtsmomente, die teilweise auch österreichische Grenzschützer bestätigt haben, eine verstärkte Grenzjagd auf die Gesetzesbrecher, worin sich die Ungarn von ihren Nachbarn im Westen unterscheiden.

Und so sind die österreichischen Antragszahlen im November erneut gesunken – ganz im Gegenteil zu ihren deutschen Pendants, die sich auf einem Sieben-Jahres-Rekord befinden. Seit September 2016 wurden nicht mehr so viele Schutzersuchen in einem Monat in Deutschland gestellt wie de facto seit diesen September jeden Monat. In Österreich gab es in diesem November 2.537 neue Anträgen – gegenüber 12.000 im Vorjahresnovember 2022. Insgesamt gab es einen Rückgang der Anträge um 47 Prozent bis Ende November im Jahresvergleich. Aber auch diese deutliche Senkung kann nicht das endgültige Ziel einer an den Bürgern orientierten Politik sein. Die würde die Senkung der illegalen Zuwanderung auf Null bedeuten. Denn die Belastungen (finanziell, ökologisch, kriminologisch) gehen nicht zurück, sondern steigen durch den unendlichen Zuzug ins Unermessliche.

Die Erklärungen für diesen Kurzzeit-Erfolg der Österreicher sind dabei vielfältig. Einerseits reisen in Österreich nach wie vor viele Asylanten weiter, um ihr Glück anderswo zu versuchen: 28.700 Personen haben sich laut ORF in diesem Jahr, bis Ende November, einem Asylverfahren in Österreich entzogen. Sie dürften allesamt in die große Bundesrepublik im Norden weitergereist sein. Das ist vor allem die Schuld der deutschen Politik, die immer neue Pull-Effekte setzt, und der sie unterstützenden Wählerschichten.

Die realen Pull-Effekte für Asylbewerber und niedrig Qualifizierte

Die österreichischen Gesamtzahlen sind dabei nicht so rasant gefallen wie die burgenländischen Aufgriffe. Man darf sich also fragen, woher die rund 2.500 Antragsteller kamen, wenn nicht aus Ungarn. Die Antwort ist einfach: Aus dem Grenzschutz im Osten ergab sich eine Verlagerung der Wanderungsrouten. Angesichts der „rigorosen“ Schutzmaßnahmen Ungarns und Serbiens wählen die vorgeblichen „Flüchtlinge“ lieber eine neue Route, um sich im Kompetenzgewirr dieser EU in das für sie vorteilhafteste Land zu schmuggeln.

Die neuen Routen führen über Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Slowenien. Von Italien aus können sich die Illegalen dann nach Norden wenden und versuchen oft, über die Schweiz nach Deutschland zu gelangen. Die neue Route kann aber auch durch Österreich wieder nach Norden führen. So haben in diesen Tagen 16 Syrer versucht, im Flixbus über die österreichische Grenze und möglicherweise bis nach München zu gelangen – das war die Endstation des Busses. Österreichische Polizisten stoppten den Bus am Grenzübergang Karawankentunnel und stellten fest, dass die Syrer ohne gültige Papiere reisten. Diese stellten einen Asylantrag in Österreich und wurden entsprechend behandelt. Der bosnische Busfahrer hatte seine Fahrt fortgesetzt, wurde aber noch in Österreich ausfindig gemacht und wegen des Verdachts der Schlepperei angezeigt. Das waren zwar korrekte Grenzkontrollen, die aber keinen der 16 Asylanträge verhindert haben. Es braucht offenbar etwas mehr Aktivität der Regierenden, um eine nachhaltige Senkung der illegalen Zuzüge zu erreichen.

Die Ursprünge dieser alternativen Balkanroute liegen allerdings immer noch in Serbien, wohin die Migranten teils per Flugzeug gelangen. Das gilt etwa auch für die türkischen Antragsteller, die zuletzt zweimal den zweiten Platz in der Monatsstatistik des BAMF eingenommen haben. Daneben ist auch die Landroute über Griechenland und Bulgarien nicht aus dem Spiel, wie die serbischen Kontrollen zeigen. So ist auch die Türkei als Transit- und Herkunftsland immer noch von zentraler Bedeutung und wird es wohl bleiben. Von nicht geringerer Bedeutung sind die Pull- oder Sog-Effekte, die von Mitteleuropa durch zu laxe Regeln für Asylbewerber und niedrig qualifizierte Zuwanderer gesetzt werden.

Zu dem Brandbrief des BAMF-Chefs in Deutschland hatte es übrigens auch eine Bundestagsdebatte mit dem Titel „Die richtigen Lehren aus dem Brandbrief des BAMF ziehen – Irreguläre Migration stoppen“ am 15. November geben sollen. Die Aktuelle Stunde wurde allerdings auf Wunsch der antragstellenden Union abgesagt. Warum nur? Befürchtete man am Ende doch zu viel Wasser auf die Mühlen der Zuwanderungskritiker? Aber auf Dauer werden sich auch schwierige Themen nicht mehr in dieser Weise ignorieren lassen.

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