Während Baerbock schweigt, schielt Aserbaidschan bereits auf Armenien
David Boos
Kurze Zeit nach Beginn des Angriffs auf Bergkarabach einigte sich die dortige Führung mit Aserbaidschan auf einen Waffenstillstand, der wohl die Aufgabe der Unabhängigkeit beinhaltet. Während Präsident Alijew keine Zweifel an weiteren Ambitionen aufkommen lässt, schweigt das Außenministerium.
Nach etwas über einem Tag, 32 armenischen Todesopfern und über 200 Verletzten, erklärte der aserbaidschanische Präsident Alijew den „Anti-Terroreinsatz“ in der Region Bergkarabach für beendet. Die lokale Führung der Armenier in Bergkarabach akzeptierte einen von Russland vermittelten Waffenstillstand, der allerdings die Entwaffnung aller armenischen Streitkräfte in der Region beinhaltet und mit Verhandlungen über die Eingliederung Bergkarabachs in Aserbaidschan fortgesetzt wird.
Wenngleich damit das Blutvergießen erstmal gestoppt ist, zeichnet sich bereits jetzt ab, dass die Vertreibung der Armenier aus der Region nun ihren Anfang nimmt. Allgemein wird davon ausgegangen, dass das Waffenstillstandsabkommen einer Kapitulation gleichkommt.
Nagorno-Karabakh (Artsakh) gov has agreed in a ceasefire deal brokered by RU peacekeepers to fully disband & disarm its armed forces &remove all heavy equipment &weaponry from Artsakh.
Aber nicht nur der Schutz der armenischen Bevölkerung in Bergkarabach kann nun nicht mehr gewährleistet werden, auch Armenien selbst muss nun um seine Zukunft bangen, denn in einer Ansprache nach Beendigung des Angriffs auf Bergkarabach machte Präsident Alijew die Ambitionen Aserbaidschans unmissverständlich deutlich, als er die territorialen Ansprüche auf „Westaserbaidschan“ untermauerte und damit unmissverständlich klar machte, dass eine Landbrücke zur aserbaidschanischen Exklave im Westen sowie zum großen Bruder, der Türkei, ganz oben auf seiner Agenda stehen.
Damit spricht Alijew eine deutliche Drohung an Armenien aus, dessen Appeasement-Politik der Aufgabe der Region Bergkarabach gescheitert sein dürfte. Armeniens Präsident Paschinyan steht somit unter Druck, denn die traditionelle Schutzmacht Russland signalisierte im jetzigen Konflikt wenig Bereitschaft, den Angriff Aserbaidschans – das ebenfalls gute Kontakte nach Moskau unterhält – aufzuhalten. Doch der Schutz, den Paschinyan im Westen suchte, blieb ebenfalls aus. Außer billigen Beileidsbekundungen aus Deutschland und der EU gab es wenig Greifbares, ein eindeutiges Signal sowohl für die Armenier, als auch für Alijew.
Wenn leere Worte feministischer Außenpolitik wirkungslos verpuffen
Vor der UN-Generalversammlung nannte Kanzler Scholz zwar die „erneuten militärischen Aktivitäten“ Aserbaidschans eine „Sackgasse“, von konkreten Konsequenzen für den Aggressor, der seit 2022 als „vertrauenswürdiger Partner“ der EU in Sachen Gaslieferungen gilt, aber keine Spur. Viel weiter kam auch Außenministerin Annalena Baerbock nicht, die – nachdem sie reichlich Kritik für ihr wiederholtes Schweigen zur Blockade der Region Bergkarabach erntete – sich immerhin dazu durchrang, vor der UNO ebenfalls die Einstellung der „militärischen Aktionen“ zu fordern. Doch wo die Außenministerin im Falle Russlands noch sofort mit Sanktionen drohte, muss im jetzigen Fall der strenge Tonfall genügen, um Präsident Alijew von der Durchsetzungsfähigkeit feministischer Außenpolitik zu überzeugen.
Immer mehr entpuppt sich Deutschland – und im erweiterten Maßstab auch die EU – als außenpolitisch gebunden durch seine energetische Abhängigkeit. Im Überschwang der Absage an Russland war man gezwungen, sich an die zweite Reihe zwielichtiger Energielieferanten zu wenden und verkehrt nun in einer Situation, in der die eigene Hypermoral zur Lachnummer wird, wenn man sie jedes Mal zur Seite schieben muss, wenn eine energiereiche Regionalmacht eigene Großmachtphantasien auf dem Rücken eines anderen Volkes austragen möchte. Ein Spagat, mit dem die situationselastische Ampelregierung offensichtlich gut leben kann, das absehbare Dilemma führt bereits seit über einem Jahr zu keinem Lösungsansatz, der Deutschlands außenpolitische Souveränität wiederherstellen würde.
Unangenehme Fragen über den „vertrauenswürdigen Partner“ Aserbaidschan
Das Versagen nicht nur Deutschlands, sondern auch der Europäischen Kommission, wurde mittlerweile auch im Europäischen Parlament zum Thema. Zahlreiche EU-Parlamentarier quer durch das Parteienspektrum verurteilten die Zurückhaltung der EU, die damit das aggressive Vorgehen Aserbaidschans nicht nur ermöglichte, sondern sogar mitfinanzierte. Die französische Abgeordnete Nathalie Loiseau formulierte das Problem unmissverständlich:
„Wir waren nicht in der Lage, einen Angriff zu verhindern, den wir kommen sahen. Die Vermittlungsbemühungen sind völlig gescheitert. Wir haben den Aggressor nie beim Namen genannt. Wir haben den armenischen Ministerpräsidenten ignoriert, als er um Hilfe bat. Unsere Schwäche und Passivität haben uns zu Komplizen gemacht“, so Loiseau.
Bei einem Pressebriefing in Brüssel wichen am Mittwoch Kommissionsvertreter den Nachfragen von Journalisten über Ursula von der Leyens Position zu Aserbaidschan wiederholt aus. Stattdessen verwies man, auch auf Anfrage von TE, auf eine Stellungnahme des Vizepräsidenten Josep Borrell, der – ähnlich der deutschen Außenministerin – den Ausbruch der Kampfhandlungen bedauerte, zu deren Ende aufrief und eine diplomatische Lösung unter Vermittlung der EU forderte. Vor allem letzteres dürfte wohl tiefen Eindruck in Baku hinterlassen haben. Denn während man in Europa noch den rhetorischen Eiertanz um die Bezeichnung Aserbaidschans als „vertrauenswürdigem Partner“ aufführt, hat Alijew bereits Tatsachen geschaffen und schickt sich an – gestärkt von seinem widerstandslosen Erfolg – das nächste Kapitel seiner Expansionspläne aufzuschlagen.
Nur in einer Sache kann man sich wohl sicher sein: Die EU und Deutschland werden wohl auch diese bedauern und mit gesenktem Haupt darauf warten, dass das Thema möglichst bald abgeschlossen ist, um endlich wieder in Ruhe Gas aus Aserbaidschan beziehen zu können.
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