„Aufbruch“. Mit dieser Metapher haben FDP und Grüne bis zum Erbrechen deutlich gemacht, welchen Anspruch sie an die erste Bundesregierung nach Angela Merkel stellen: Gewohnheiten sollen aufgebrochen werden, Probleme nicht weiter ungelöst bleiben und auch unbequeme Einschnitte gemacht werden. Der Aufbruch wäre somit vor allem ein Bruch mit dem Stil Merkels.
Das Versprechen Merkels an ihre Wähler war: Es solle sich möglichst wenig ändern. Entsprechend handelte die Bundeskanzlerin am liebsten gar nicht. Und wenn dann nur, wenn ihr Meinungsumfragen große Zustimmung signalisierten. Ob die einzelnen Schritte dann einen Weg ergeben und ob der zu einem erstrebenswerten Ziel führen würde, spielte dabei keine Rolle.
So war es auch in Sachen Laufzeitverlängerung. Merkel war dafür und setzte sie im Herbst 2010 durch. Dann kam es im darauf folgenden Winter in Japan zu einem Tsunami und als dessen Folge zu einem Gau in Fukushima. In Deutschland bekam die Antiatomkraftbewegung Auftrieb – und Merkel Schiss, die anstehenden Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zu verlieren. Also nahm sie über Nacht nicht nur die Laufzeitverlängerung zurück, sondern beschleunigte obendrein den Ausstieg aus der Atomkraft.
Soweit zur Geschichte. Nun ist die FDP zurück und will einen Aufbruch. Alles soll anders werden als bei Merkel. Deswegen greifen Christian Lindner und Volker Wissing die Initiative der Arbeitsgruppe gerne auf und bringen das Thema Laufzeitverlängerung in die laufende Koalitionsverhandlung ein. Das war natürlich nur ein Witz, eine ironische Zuspitzung. Denn in Sachen Laufzeitverlängerung merkeln Lindner und Wissing weiter wie bisher. Sprich: Sie lassen das unangenehme Thema einfach rechts liegen.
Eine Laufzeitverlängerung ist mit den Grünen nicht drin. Eine große Mehrheit ihrer alten Mitglieder ist mit dem Kampf gegen Atomkraft groß geworden. Dieses Feindbild lassen sie sich so wenig nehmen wie ein Vierjähriger den Glauben an den Weihnachtsmann. Die SPD-Fraktion wird seit dieser Wahl von einem starken Juso-Flügel geprägt. Dessen Mitglieder schwärmen lieber von Karl Marx, als Adam Smith zu lesen oder auch nur ein Sachkundebuch über wirtschaftliche Zusammenhänge. In ihrem in Gut und Böse simplifizierten Weltbild kommt Atomkraft nur als Feindbild vor, nicht als Faktor.
Zudem steht die Versorgungssicherheit zur Diskussion. Dafür gibt es eine Merkel-Lösung. Eine, die auf Stimmungen statt auf Fakten setzt: Wind- und Solarenergie ausbauen. Und was passiert, wenn keine Sonne scheint und kein Wind weht? Wind- und Solarenergie noch mehr ausbauen. Das ist wie ein Auto, dem der Kraftstoff ausgegangen ist – und der Besitzer löst das Problem, indem er sich ein neues Auto kauft. Eine Antwort auf das Schließen von Versorgungslücken, die ohne Atom, Kohle und mit teurem Gas entstehen.
Für die FDP wird die Atomenergie zur Gretchenfrage: Sag, wie hältst du es mit dem Regieren? Greifen die Liberalen auch heiße Eisen an und formen sie? Oder regiert die Ampel im Bund, so wie sie es in Rheinland-Pfalz tut: Strittige Probleme in Arbeitskreise abschieben, diese mit chicen Namen wie „Task Force“ oder „Ovaler Tisch“ anhübschen und sich dann darauf verlassen, dass kein Journalist mehr nachfragt, womit sich das Problem bis zur nächsten Wahl erledigt hat. Das funktioniert in einem Land, dessen wirtschaftliche Kraftzentren außerhalb der Landesgrenzen liegen. Etwa in Luxemburg oder im Rhein-Main-Gebiet. Aber nicht auf Bundesebene. Die Explosion der Gaspreise wird aber selbst dann nicht aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwinden, wenn keiner mehr darüber berichtet.