Tichys Einblick
In der Ex-FDJ-Zeitung "Junge Welt"

Partei „Die Linke“ ehrt Mauerschützen mit einer Zeitungsanzeige

Eine von der Linkspartei aufgegebene Anzeige bezeichnet die Flucht eines Jungen im Jahr 1962 im DDR-Jargon als "Grenzdurchbruch". Grenzsoldaten der DDR werden wie vor 1989 glorifiziert.

Grenzsoldaten der DDR in Berlin 1961

imago images / ZUMA/Keystone

Am 13. August 1989, im letzten Sommer der Honecker-DDR, kurz vor dem Beginn der großen Ausreise-Welle, feierte das Neue Deutschland (damals Zentralorgan der SED, heute als nd eine „sozialistische Tageszeitung“) auf mehreren Seiten den „Tag X“, der im Westen als Tag des Mauerbaus in Erinnerung blieb. Dem Neuen Deutschland von 1989 zufolge brachte jener 13. August 1961 „Ruhe, Stabilität und Sicherheit für unseren sozialistischen Aufbau“ und: „Aus heutiger Sicht läßt sich mit Fug und Recht sagen: Für die DDR und ihre Bürger wirkten sich die Maßnahmen am 13. August 1961 positiv aus.“ Zu dieser heute nur mit Schaudern lesbaren Ausgabe des Neuen Deutschland gehörte auf Seite 9 auch eine ganzseitige Galerie mit Bildern von Grenzsoldaten unter der Überschrift: „Sie gaben ihr Leben für Ihr Vaterland“. Genannt ist da auch Peter Göring, geboren am 28. Dezember 1940, von Westberliner Polizisten erschossen am 23. Mai 1962.

Jener Peter Göring wird nun 30 Jahre später, am 28. Dezember 2020, zu seinem 80. Geburtstag wieder geehrt, mit einer Anzeige in der Zeitung „Junge Welt“ (bis 1990 das „Zentralorgan“ der DDR-Jugendorganisation FDJ). Es sind nicht etwa Angehörige des im Alter von nur 21 Jahren getöteten Grenzsoldaten, die um ihn trauern. Das „ehrende Gedenken“ spenden ihm vielmehr Gliederungen der Partei die Linke (einst SED genannt), darunter der Ortsverband Chemnitz, die Landesarbeitsgemeinschaft Deutsch-Russische Freundschaft beim Landesverband der Linken Sachsen und die „Kommunistische Plattform“ der Partei in Chemnitz.

Der Text der Linken-Anzeige von 2020 ist gruselig. Er wirkt wie eine Zeitreise zurück in den real existierenden Sozialismus der DDR und ihren Propaganda-Journalismus. Er wirkt, wie dem oben zitierten Neuen Deutschland von 1989 entnommen.

Peter Göring hat, bevor er erschossen wurde, selbst auf einen aus der DDR fliehenden 14-jährigen Jungen geschossen. In der „Chronik der Mauer“ heißt es dazu: „Weil die Kugeln der Grenzposten auf West-Berliner Gebiet einschlagen, geben Polizeibeamte dem Flüchtling Feuerschutz. Dabei wird der 21-jährige Grenzer Peter Göring von einem Querschläger getroffen und tödlich verletzt.“ In der bizarren Anzeige der Chemnitzer Linken heißt es jedoch: „…versah vorbildlich den Grenzdienst. Er wurde 1962 durch Westberliner Polizisten beim Versuch erschossen, einen Grenzdurchbruch zu verhindern.“ Die Flucht eines Menschen aus der DDR in den Westen wird hier also in DDR-Diktion als „Grenzdurchbruch“ kriminalisiert. Nicht die Ursache der Flucht und der Schüsse wird skandalisiert, nämlich das Grenzregime der DDR, sondern die Erlaubnis für Westberliner Polizei- und Zollbeamte, bei Fluchtversuchen „über die Grenze hinweg zu schießen“. 

Hier offenbart sich ein erschreckender Ungeist der Unbelehrbarkeit, wie man ihn vergleichbar sonst allenfalls in den revisionistisch-rechtsradikalen Medien der frühen Bundesrepublik kannte, etwa in der „Soldaten-Zeitung“ des späteren DVU-Gründers Gerhard Frey.

Über die individuelle Schuld des Peter Göring sollte jemand, der die moralischen Dilemmata für Befehlsempfänger in Unrechtsregimen nicht kennt, vielleicht nicht allzu vorschnell urteilen. Auch er war womöglich nicht nur Täter, sondern auch ein Opfer des DDR-Regimes. Juristisch ist der Fall übrigens nach beiden Seiten hin in den 1990er Jahren aufgearbeitet worden – was die Anzeige der Linken durch die Vokabel „ungesühnt“ zu verschleiern versucht.

Unzweifelhaft mehr Schuld als DDR-Grenzsoldaten wie Göring haben zumindest moralisch jene auf sich geladen, die die politischen Entscheidungen trafen, die zur Errichtung jenes verbrecherischen innerdeutschen Grenzregimes führten. Und jene, die diese Politik in perfider Weise publizistisch rechtfertigten und auch dreißig Jahre nach deren Ende immer noch glorifizieren. In der Partei die Linke wird dies offen betrieben und die Anzeige in der Jungen Welt ist kein Einzelfall, wie etwa ein vergleichbarer Eintrag über den Grenzpolizisten Siegfried Apportin auf der Website des Ortsvereins Chemnitz zeigt.  

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