Tichys Einblick
Da hört der Spaß auf

Flüchtlingsheim in Wiesbadener Villengegend – Anwohner wehren sich

„Wir haben Platz“ sieht schnell anders aus, wenn Flüchtlinge in eine wohlhabendere Villengegend ziehen sollen. Das täglich neu auszuhandelnde Miteinander soll gefälligst woanders stattfinden. Kreise, die vorwiegend schwarz-grün wählten, stellen verwundert fest, dass grüne Politik dann auch wirklich kommt.

Symbolbild - ein Villenviertel in Wiesbaden, aufgenommen vom Neroberg

picture alliance / imageBROKER | Michael Zegers

In diesen Tagen sorgt das beschauliche Wiesbaden für Schlagzeilen. In einer wohlhabenderen Gegend, deren Anwohner 2021 in einer Ortsbeiratswahl laut Wikipedia (gerundet) mit 31 Prozent Grüne, 24 Prozent CDU und 19 Prozent SPD wählten, bei der Landtagswahl 2023 dann Schwarz-Grün dominierte, sollen nun auch in den Genuss dessen kommen, was sie oft gern dem weit entfernteren Plebs zumuten: Ein Flüchtlingsheim soll gebaut werden. Die Bürger möchten aber kein Flüchtlingsheim vor der eigenen Haustüre. Geht es darum, den „Refugees Welcome!“- und „Wir haben Platz“-Rufen konkrete Taten folgen zu lassen, hört der gute Wille schnell auf.

Der Merkurist hatte darüber berichtet: „Seit vielen Monaten bereits kämpfen einige Anwohner in Wiesbaden-Südost gegen die Pläne der Stadt, im ehemaligen Didier-Gebäude in der Lessingstraße geflüchtete Menschen unterzubringen.

Nachdem die Bürgerinitiative kürzlich einen zweiten Eilantrag beim Verwaltungsgericht (VG) Wiesbaden eingereicht hatte, teilte dieses am Mittwoch (8. Mai) seine Entscheidung mit: abgelehnt. Der genehmigte Umfang der Unterkunft sei mit den Vorgaben des Bebauungsplans, der ein Wohngebiet vorsehe, vereinbar, heißt es aus der 7. Kammer des VGs. Somit sei es zulässig, in diesem Wohngebiet eine große Zahl an Menschen zu unterzubringen – vor allem, da es in der näheren Umgebung bereits mehrere größere Mehrfamilienhäuser gebe.“

In den sozialen Medien wird die Meldung aus Wiesbaden denn auch nicht ohne gewisse Schadenfreude verbreitet.

Auch in besser situierten Vierteln anderer Städte

Aber sieht es in anderen Städten besser aus? Immer wieder kommt es zu juristischen Auseinandersetzungen, wenn es darum geht, dass (oftmals moralische) Bessermenschen in ihren Villengegenden doch eher nicht behelligt werden möchten mit dem ungebremsten Zuzug. Die Melodien über Klima-, Welt- und Flüchtlingsrettung klingen dann am besten, wenn sie ohne Folgen für einen selbst bleiben. Klopft es an der eigenen Haustür, kratzt die Schallplatte.

An diese Grenzen zwischen Traumwelt und Realität kommen viele besser betuchte Wähler der Grünen, der CDU und der SPD immer öfter. Vor drei Tagen schreibt die MOPO über Hamburgs wohlhabendere Gegenden:

„Harvestehude, Blankenese, Flottbek: Wenn in Hamburgs ‚besseren‘ Stadtteilen Flüchtlinge untergebracht werden sollen, formiert sich schnell und zuverlässig Widerstand eines Teils der Anwohnerschaft. Im Fall des inzwischen stadtweit berühmten Parkplatzes am Loki-Schmidt-Garten kündigt die örtliche Bürgerinitiative eine Klagewelle an, sobald die Baugenehmigung für die vergleichsweise kleine Unterkunft vorliegt. Die Stadt, die kaum mehr weiß, wo sie noch Platz für geflüchtete Menschen findet, trifft auf gutsituierte Anwohner, die für sich in Anspruch nehmen, doch nur im Sinne der Flüchtlinge zu handeln.“

Alle Kommunen melden eine Überforderung bei der Unterbringung von Geflüchteten, verfügbarer Raum ist knapp. Zu immer horrenderen Summen werden Unterkünfte angemietet, Hotels frequentiert, Flüchtlinge auf Schulgeländen untergebracht.

In solchen Zeiten werfen dann auch Meldungen wie diese vom Dezember 2023 (!) aus Hamburg Blankenese ein ganz besonderes Scheinwerferlicht:

„Flüchtlingsheim aus Blankenese steht plötzlich zum Verkauf“ – „So ungewöhnlich wie ihre Entstehung ist nun auch das Ende der Flüchtlingsunterkunft am Björnsonweg in Blankenese. Seit Kurzem steht der ganze Wohnpark zum Verkauf. Alle Gebäude samt Küchen, Duschen und Beleuchtung, die 192 Personen Platz bieten, werden zusammen für 1,71 Millionen Euro angeboten. Anlieferung und Aufbau ist möglich, kostet aber extra. Hamburg. Mitten in einer Zeit, in der in Hamburg doch so dringend Wohnraum für Geflüchtete gebraucht wird, trennt man sich nicht nur von dem etablierten Standort, sondern eben auch von den Gebäuden. Wie es kommt, dass eine komplette Unterkunft in Hamburg zum Verkauf steht?“

Ja, es ist schon komisch. Es finden sich allerlei merkwürdige Begründungen, warum es in Blankenese dann halt doch nicht klappen soll, was woanders aber offenbar kein Problem darstellt.

„Nach juristischem Tauziehen entstand die Unterkunft dann ab 2017 auf dem städtischen Grundstück am Björnsonweg. Dem war eine Einigung mit den klagenden Anwohnern vor Gericht vorausgegangen. Demnach musste die Unterkunft ab April 2023 wieder abgebaut werden. Also ausgerechnet zu einer Zeit, in der in Hamburg wieder dringend Plätze zur Unterbringung von Flüchtlingen gebraucht werden.“

Im schwarz-grün dominierten Blankenese wehrt man sich juristisch immer wieder vehement, so auch gegen den Bau von Sozialwohnungen, die aber dann doch gebaut werden.

„Die Proteste der An­woh­ne­r*in­nen in Blankenese erregten 2016 und 2017 bundesweit Aufmerksamkeit. Der Stadtteil ist ein Symbol für das betuchte Hamburger Bürgertum und dort bleibt man gern unter sich: Die An­woh­ne­r*in­nen protestierten gegen die Fällung der Bäume auf dem Grundstück – selbstverständlich allein aus Gründen des Naturschutzes. Sie schickten ihre Anwälte und schreckten auch nicht davor zurück, die Baustelle für die Unterkunft mit ihren Autos zu blockieren“, schreibt die taz im Jahr 2022. Die Wohnungen werden jetzt dann gebaut und sind erst einmal mit 12 Millionen Euro veranschlagt – für 38 (!) Sozialwohnungen.

Ebenfalls in Hamburg hat sich die „Bürgerinitiative Hamburg für adäquate Flüchtlingsunterkünfte“ im Stadtteil Flottbek organisiert. Sie bekämpft die Unterbringung von 144 Migranten auf dem Besucherparkplatz des Botanischen Gartens. Natürlich engagieren sich die Hamburger nur deswegen, um den Flüchtlingen ein besseres Leben zu ermöglichen. Schließlich existiere in der Nähe keinen Discounter. Es gebe außerdem keine Spiel- und Begegnungsflächen. Viel besser wäre es deswegen, die Flüchtlinge im nahe gelegenen Holmbrook unterzubringen. Mit fallenden Grundstückspreisen, so reagiert die Sprecherin empört, habe das sicher nichts zu tun. Zitat: „Das sind viele Menschen, die sagen, wir sind einverstanden, dass die Geflüchteten kommen, wir möchten auch helfen, aber lasst uns nach einem optimalen Platz suchen.“ Refugees Welcome, aber eben nicht bei uns.

Auch Bürger, die die Union gewählt haben, stellen verwundert fest, dass sie alle Freuden grüner Politik vor die Nase gesetzt bekommen sollen. Im deutlich besser situierten schwarz-grün umgebenen München-Solln wehren sich Anfang des Jahres Bürger gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft:

„Im vergangenen Oktober waren Anwohner in Solln von der Ankündigung der Stadt München über den geplanten Bau einer Flüchtlingsunterkunft an der Schultheißstraße/Ecke Sörgelstraße regelrecht überrumpelt worden: Bis 2025 sollen 126 Bettplätze für die Dauer von mindestens fünf Jahr entstehen – auf dem Warnberger Feld, einem gern genutzten Naherholungsgebiet. Und mit nur wenigen Metern Abstand zu den Gärten der angrenzenden Häuser (wir berichteten). Seitdem regt sich massiver Widerstand“, berichtete der Merkur im Januar 2024.

Auch interessant dieser Auszug aus einer Sitzung in München-Bogenhausen über die Suche neuer Standorte für Flüchtlingsunterkünfte (überspitzt): Hier? Nah, nicht so optimal … Dort? Naah, nicht so optimal …

„Die Frage vom Bezirksausschuss-Vorsitzenden Florian Ring ‚Wo passt es?‘ blieb nämlich (erneut) unbeantwortet. CSU-Lokalpolitikerin Peggy Schön brachte es anhand einer München-Karte auf den Punkt: ‚Es gibt eine hohe Konzentration von Unterkünften im Osten. Im Bereich Nymphenburg sehe ich zum Beispiel gar nichts.‘ Sie forderte wie viele Anwesende ‚eine gleichmäßige Verteilung in der Stadt, der Osten muss entlastet werden, es müssen kleinere Standorte geprüft werden.‘ Ein Mann ergänzte: „Damit’s funktioniert, muss es aufgeteilt werden. Man kann nicht alles an den Stadtrand knallen.“ 

Ja, ja. Wir haben Platz – aber dann doch lieber woanders.

Besonders interessant ist es auch immer wieder zu beobachten, wie alternative Naherholungs- und „Eigentümer enteignen“-Anhänger bei etwaigen (gleich welchen) Bebauungsplänen an der großen Fläche des Tempelhofer Felds in der an Wohnraum immer knapper werdenden Großstadt Berlin reagieren. Aber das ist nochmal eine ganz eigene Klientel …

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