Haben Sie schon einmal den Faktencheck von Hart aber fair gelesen? Kaum, oder? Nun ist so eine Nachverfolgung von Behauptungen zur besten Sendezeit sicher lobenswert. Noch besser wäre es aber wohl, wenn auch die Medien bei nachgewiesenen Falschbehauptungen oder willfährigen Verdrehungen nachhaken würden.
Nun sind immerhin die sozialen Medien dann besonders wirkmächtig, wenn es um solche Widersprüche geht. Sie sind schnell, sie sind spontan, sie sind sofort zur Stelle, wie jetzt in der Nachlese der letzten Anne Will-Sendung, als sich im letzten Drittel der Sendung abzeichnete, das es der Moderatorin und einem Teil ihrer Gäste darum ging, antisemitische Übergriffe islamistischer und muslimischer Menschen in Deutschland zu relativieren oder gleich ganz unter den Tisch fallen zu lassen.
Und eben dieser Bericht stellt fest, dass fremdenfeindliche und antisemitische Straftaten generell immer dann dem Phänomenbereich „Politisch motivierte Kriminalität Rechts“ zugeordnet werden, „wenn keine weiteren Spezifika erkennbar“ und „keine Tatverdächtigen bekannt geworden sind“. So würde beispielsweise ein Schriftzug wie „Juden raus“ in der Kriminalitätsstatistik als „rechtsextrem“ geführt, obwohl er auch in islamistischen Kreisen benutzt werde. „Damit entsteht möglicherweise ein nach rechts verzerrtes Bild“, schrieben die Autoren des Expertenberichts.
Nichtsdestotrotz mahnte die bei Anne Will eingeladene Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli in der Sendung davor, einen neuen Antisemitismus bei muslimischen Migranten überzubewerten. Immerhin seien 90 Prozent der Übergriffe solche von Rechtsradikalen. Geht es nach dem Westfalen-Blatt, sehen das die Opfer dieser Angriffe freilich ganz anders, und die müssten es ja wissen: Acht Prozent der Juden in Deutschland gaben demzufolge an, „dass Angehörige oder Bekannte im Laufe des vergangenen Jahres Ziel von körperlichen Angriffen gewesen seien. Weitere 36 Prozent wurden beschimpft oder beleidigt. 81 Prozent der Angriffe und 62 Prozent der Beleidigungen seien von Muslimen gekommen.“
Wodurch also ist jüdisches Leben in Deutschland stärker bedroht: durch Rechtsextremismus oder durch islamisch motivierten Judenhass? Anne Will hat die Frage schnell beantwortet. Die Moderatorin sprach über „vielleicht zugewanderten Antisemitismus“. Sie sagt „vielleicht“ und fragt nur noch pro Forma, ob da ein neues Problem auf uns zukäme, für das wir noch keinen Umgang gefunden hätten.
Sawsan Chebli nahm es als Stichwort und gab Entwarnung. Nun haben sich die sozialen Medien der Sache angenommen. Der digitale Faktencheck kam beispielsweise von Fabian Weißbarth, Politikwissenschaftler aus Berlin (er koordiniert in einer NGO die Kommunikations- und Kampagnenarbeit gegen
Antisemitismus und Extremismus) als er twitterte: „Selbst Vorfälle bei Islamisten-Demos wurden bereits als „PMK rechts“ eingruppiert.“ Das würde übrigens auch der Antisemitismus-Report so sehen. Und Weißbarths Fazit zur Anne Will Sendung fällt vernichtend aus: „AnneWill hat Chance vertan über aktuelle Formen des Antisemitismus zu sprechen. Wer über Judenhass reden will ohne die jüngsten Hassdemos zu erwähnen, kann das Problem nicht bekämpfen.“
Zur Hilfe kam ihm sogar der grüne Volker Beck, der twitterte: „Offizielle Kriminalitätszahlen stehen im Widerspruch zu Erfahrungen von Juden Antisemitismus: Zweifel an Statistik.“
Das wiederum rief dann die quasi angegriffene Sawsan Chebli auf den Plan, denn sie twittert natürlich auch. Zunächst allerdings so: „Es war eine so unglaublich bereichernder Abend. Danke für die Einladung.“ Timo Lokoschat, dem leitende Redakteur der Bild-Zeitung ging es ebenfalls wie Weißbarth, als er kritisch bemerkte: „Wo Antisemitismus herrsche, herrsche auch Islamfeindlichkeit: Die Parallelisierung passt zum Hirngespinst, dass Muslime „die neuen Juden“ seien und angeblich vergleichbar diskriminiert würden wie jene im DE der 1930er. Auch das ist Antisemitismus.“ Frau Cheblis empörte Gegenfrage an den Redakteur ging dann so: „Dann ist der israelische Botschafter ein Anitsemit?“
Die Zeitung Der Westen hatte nun allerdings schon mit dem Botschafter gesprochen, und von ihm erfahren: „Natürlich beobachten wir mit größter Sorge den wachsenden Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft und in Europa“ Ebenso, wie die Redakteure mit Deidre Berger, dem Direktorin des American Jewish Committee (AJC) in Berlin sprachen. Der stellte klar: Der Zuzug hunderttausender Migranten vor allem aus Ländern wie Syrien, in denen der Antisemitismus Staatsdoktrin sei, verschärfe dieses „Gefühl der Unsicherheit“. Nicht wenige jüdische Gemeinden zeigten sich „besonders besorgt“ über Antisemitismus „in muslimischen Milieus“, so Berger.
Und sogar Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), sagte an selber Stelle, dass er die Sorgen der Juden in Deutschland vor Übergriffen etwa von Flüchtlingen aus arabischen Diktaturen teile, die „zum Teil leider antijüdisch sozialisiert“ seien.
Dazu gibt es jetzt keine Fragen mehr, höchstens vielleicht diese hier: „antijüdisch“ – ist das das neue antisemitisch?