Dass die Wirklichkeit in Deutschland bisweilen die absurdesten Gedankenspiele übertrifft, ist keine neue Erkenntnis. Der Fall eines brutalen antisemitischen Angriffs auf einen Juden in Hamburg vor zwei Wochen (TE berichtete) stellt das einmal mehr unter Beweis. Denn wie jetzt bekannt wurde, ist der mutmaßliche Schläger ein 16-jähriger Araber mit deutschem Pass aus Berlin, an dem deutsch-ungarischen Film „Evolution“ beteiligt, der am Freitag beim Filmfestival in Hamburg gezeigt wurde. Dieser dreht sich um drei Generationen einer jüdischen Familie – von der Shoa bis in die Gegenwart – und behandelt auch die Frage „des wachsenden Antisemitismus in einer scheinbar liberalen Gesellschaft“.
Der Fall ist geradezu eine Karikatur des Umgangs mit Antisemitismus hierzulande: Während das Problem in salbungsvollen Reden, in staatlich geförderten Projekten oder eben in Filmen durchaus immer wieder eine Rolle spielt, ändert sich in der Praxis nichts.
In dem Interview wiederholte der Betroffene auch seine Kritik, dass bei Tätern mit ausländischem Hintergrund oftmals weggeschaut werde. Ein Blick in eine Polizeimeldung vom Dienstag unterstreicht das Problem: Dort heißt es lediglich, bei dem aufgefundenen Tatverdächtigen handle es sich „um einen 16-jährigen Deutschen“. Weitere Hintergründe zum Täter finden sich nicht. Der Antisemitismusbeauftragte des Hamburger Senats, Stefan Hensel, appellierte jüngst: „Antisemitismus muss endlich von der Politik als die dramatische Bedrohung für Deutschlands Juden benannt werden, die er ist.“ Vielleicht sollte der Senat einmal bei sich selbst anfangen: Der Regierende Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hat sich immer noch nicht wahrnehmbar zu dem Fall geäußert.
Sandro Serafin (22) studiert Geschichts- und Kulturwissenschaften in Gießen.