Tichys Einblick
Neue Symbole

„My body, my choice“ – Anti-Impfpflicht-Proteste am Samstag im Aufwind

Erneut ziehen Zehntausende am Samstag durch Deutschland, um gegen Impfpflicht & Co. zu demonstrieren. Dabei entwickeln sich neue Symbole und Protestformen. Seit inzwischen 11 Wochen sind „Corona-Spaziergänger“ auf deutschen Straßen unterwegs.

IMAGO / Eibner

Am Samstag haben sich erneut zehntausende Bürger auf die Straßen Deutschlands begeben, ein Ende der Corona-Maßnahmen gefordert – und dabei ganz neue Protestformen und Symbole entwickelt.

Trotz sehr begrenzter „Lockerungen“ ist an ein Ende der „Spaziergänge“ nicht zu denken. Seit inzwischen 11 Wochen sind „Corona-Spaziergänger“ auf deutschen Straßen unterwegs. Die tatsächliche Dimension des Protests ist dabei kaum zu überblicken. Zu großflächig ist der Protest und zu vereinzelt und unzuverlässig sind die Meldungen über Teilnehmerzahlen.

Vor allem aus Sachsen und Thüringen hört man an den Montagen von großen Menschenansammlungen. Das NRW-Innenministerium zeigt nun aber, dass auch im Westen die Proteste ein anderes Ausmaß haben, als manche mediale Berichterstattung vermuten ließe. 2.300 Corona-Proteste dokumentierten Polizei und Ordnungsämter zwischen Mitte Dezember und Mitte Februar. Insgesamt 380.000 Bürger (Gegendemonstranten miteinberechnet) sollen an den Demonstrationen in NRW teilgenommen haben. Dabei stieg die Zahl der wöchentlichen Versammlungen im Zeitverlauf.

Diesen Samstag strömten wieder Zehntausende auf die Straßen. Unter dem Motto „Niedersachsen steht auf“ kamen in der 40.000-Einwohner Stadt Gifhorn 2.500 Menschen zusammen. Zu sehen waren etwa Flaggen mit dem Slogan „Wir sind die rote Linie“.

In Reutlingen demonstrierten nach offiziellen Angaben 6.000 Bürger und forderten „Finger weg von unseren Kindern“. Die tatsächliche Teilnehmerzahl könnte jedoch noch höher sein, da sich hier schon in der Vergangenheit die von der Polizei und der Versammlungsleitung veröffentlichten Angaben stark unterschieden. Bei einer früheren Versammlung wurde von von 100 Teilnehmern berichtet, während es tatsächlich mindestens 7.000 waren. In Freiburg demonstrierten rund 3.000 Bürger und griffen mit dem Slogan „My body, my choice“ die linke Forderung nach körperlicher Selbstbestimmung auf – diesmal bezogen auf die Impfpflicht. In Stuttgart demonstrierte unter anderem die Organisation „Studenten stehen auf“ und forderte „Bildung ohne Ausgrenzung“. Vergangenen Montag demonstrierten in Baden-Württemberg bereits über 30.000 Bürger.

Voll war es auch in Frankfurt. Teilnehmer berichten gegenüber TE von 10.000 Teilnehmern mindestens – sie zelebrierten ihr Anliegen eindrucksvoll mit dem durch die isländischen Fans bei der EM 2016 bekannt gewordenen „Huh!“-Schlachtruf. Außerdem wurde die kanadische Nationalhymne gesungen und sich so mit den Trucker-Protesten solidarisiert. Bei der Demonstration galt keine Maskenpflicht, die Polizei forderte jedoch die Teilnehmer mehrmals auf, Abstand zu halten. Andernfalls gefährde man die Durchführung der Demonstration.

Düsseldorf nahm sich ebenfalls ein Beispiel an den Isländern. Ansonsten stand die Versammlung ganz unter den Zeichen des Karnevals. Insgesamt 6.000 Bürger konnten mobilisiert werden.

Auch in Bayern mobilisierte der Protest stark – teils deutlich stärker als in der Vorwoche. In Augsburg zählte die Polizei ca. 4.200 Versammlungsteilnehmer, in Aschaffenburg sollen es 2.700 gewesen sein.

In Wien demonstrierten am Samstag Tausende. „Freiheit braucht Bewegung“, plakatierten die Demonstranten. Das dürfte jedoch nur die Ruhe vor dem Sturm gewesen sein, denn für die Versammlung am Sonntag werden 20.000 Teilnehmer erwartet.

Die Versammlung in Gifhorn zeigte auch die, abseits der Corona-Frage, politische Heterogenität der Proteste. Bodo Schiffmann, Mitbegründer des Parteiversuchs „Widerstand 2020“, sendete hier etwa eine Videobotschaft und sagte der Ukraine-Krieg sei nicht die Schuld Russlands, sondern eine „false flag operation“. Später rief der Moderator der Versammlung aber zu einer Schweigeminute für die Menschen in der Ukraine auf und erntete dafür viel Applaus, aber auch vehementen Widerspruch. Innerhalb der Protestbewegung könnte die Russland-Frage noch Konflikte hervorrufen.

Der Demonstranten wandten sich erneut gegen restriktive Corona-Maßnahmen und den drohenden Arbeitsplatzverlust von tausenden Bürgern im medizinischen Bereich. Besonders im Fokus der Kritik steht nach wie vor die allgemeine Impfpflicht. Diese ist noch immer nicht vom Tisch. Erst kürzlich wurde vom schleswig-holsteinischen Ministerpräsident Daniel Günther gefordert, diese einzuführen. Die „Spaziergänge“ werden wohl erst aufhören, wenn die Bundesregierung bzw. die Landesregierungen ihre Corona-Politik vollständig revidieren und politische Verantwortungsträger persönliche Konsequenzen ziehen.

Trotz der widrigen Umstände scheint die Bewegung jedenfalls ungebrochen, teils sogar weiter im Aufwind.


Aus Frankfurt berichtet uns ein Augenzeuge:

„Markus Heintz war heute Gastredner. Er hat die sonst übliche Kuschelrhetorik ein wenig aufgebrochen und die Leute aufgefordert, sich nicht mehr die Maske oder die Abstandsregeln aufzwingen zu lassen. Es sei einfach absurd, wenn auf einer Demonstration für die Freiheit 20.000 Leute brav die Maske tragen. Er hat also einen aggressiven Ton angeschlagen und sich pessimistisch zum weiteren Verlauf der Coronakrise geäußert. 

Die Polizei hat ihre üblichen Auflagen per Lautsprecher durchgegeben, nämlich Abstand von mindestens 1,5 Metern, sonst gefährde man die Demonstration etc.

Es war sehr friedlich – darauf wird hier wirklich extrem Wert gelegt, dass man den die Demo nicht unter Extremismus-Verdacht bringen kann. Das Publikum bestand aus dem üblichen mittelalterlichen Frankfurter Intellektuellenpublikum. Fast ausschließlich Hornbrillen, Frauen mittleren Alters, schick gekleidete Männer mit offensichtlich künstlerischen Berufen oder Rechtsanwälte. Also eigentlich keine Demo aus der Mitte der Gesellschaft, sondern schon vom oberen Mittelstand. Weil das heute auch eine Friedens-Demo war, war es erlaubt, ohne Maske zu gehen – wie gesagt unter der Auflage den Abstand einzuhalten. Das Polizei Aufgebot war relativ hoch, wie aber in den letzten Wochen auch schon, bleiben die Beamten passiv. So bewegte sich ein Demonstrationszug von circa 20.000 Teilnehmern durch Frankfurt, und zwar auch durch die zentralen Einkaufsgebiete. Die Frankfurter Demonstration wächst jede Woche. Interessant wird es am Rosenmontag sein, wenn der hier auch übliche Spaziergang stattfinden wird.“

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