Tichys Einblick
Realismus oder Sirenengesänge?

Annalena Baerbock und die Bundeswehr: späte Erkenntnis bei den Grünen

Die Grünen-Vorsitzende hat nichts mehr gegen eine Erhöhung des Bundeswehr-Etats und spricht ganz unbefangen über Auslandseinsätze und Gewehre, mit denen man schießen können muss. Ob solche Sätze ein größeres Potential haben als das zur Wählertäuschung, muss sich erst noch zeigen

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock bekennt sich zu mehr Investitionen in die Bundeswehr, selbst robuste Militäreinsätze haben für sie ihren Schrecken verloren. Ist das nun lediglich ein Tribut an das Superwahljahr 2021 mit der Bundestagswahl im September und sechs Landtagswahlen? Oder zieht Realismus ein in eine Partei, für die einst Anti-Atom- und Ökothemen im Mittelpunkt standen?

In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung fielen immerhin erstaunliche Äußerungen der Co-Parteivorsitzenden: „Es fehlen Nachtsichtgeräte zum Üben, von Flugstunden ganz zu schweigen. Wir müssen uns da ehrlich machen. Ja, in manchen Bereichen muss man mehr investieren, damit Gewehre schießen und Nachtsichtgeräte funktionieren“. Baerbock spricht von Offenheit dafür, mehr Geld in die Bundeswehr zu stecken.

Späte Erkenntnis: Bundeswehr unterfinanziert

Die Erkenntnis der Unterfinanzierung der Bundeswehr ist bis auf linke Pazifisten mehr oder weniger zum Allgemeingut geworden. Entsprechende Äußerungen sind – lieber spät als nie – nun also auch von grünen Realos zu vernehmen. Auch Bündnisgrüne entkommen auf Dauer nicht der Realität, dafür gibt es ein prägnantes Beispiel aus der rot-grünen Schröder-Fischer-Regierung. Grüne Spitzenpolitiker mussten sich als Kriegstreiber und Mörder beschimpfen lassen, nachdem der eigene Außenminister für eine Intervention im Kosovo eingetreten war. Im Zentrum der Kritik stand bei einem Sonderparteitag der Grünen am 13. Mai 1999 in Bielefeld Joschka Fischer. „Ich habe aus der Geschichte nicht nur gelernt: Nie wieder Krieg. Ich habe auch gelernt: Nie wieder Auschwitz“ war eine der Formulierungen, für die er während seiner Rede mit einem Farbbeutel attackiert wurde.

Soweit so schlecht. An diesem Beispiel ist abzulesen wie eng es werden kann, wenn eine Parteilinie verlassen werden soll. Der grüne Parteitag hatte damals nur mit knapper Mehrheit dem Antrag des Bundesvorstandes zugestimmt. Die Verhinderung einer humanitären Katastrophe im Kosovo musste bemüht werden, um über das grüne Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit – um nicht zu sagen zum unilateralen Pazifismus – hinweg zu kommen.

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In der gegenwärtigen Vorwahlphase gären die Auseinandersetzungen zwischen grünen Fundis und Realos unter der Oberfläche. Man hält sich bedeckt, um die eigenen Wahlchancen nicht zu gefährden. Friede, Freude, Eierkuchen wurde allerorten als Parole ausgegeben. Baerbock und ihrem Pendant Habeck gelingt es bisher erstaunlich gut, in Anbetracht guter Umfragewerte eine Wohlfühlatmosphäre zu verbreiten und Kritiker ruhig zu stellen. Dass das nicht das letzte Wort ist, kann sich vorstellen, wer die Positionen von Fundamentalpazifisten kennt. Man darf gespannt sein, wie lange diese Kräfte unter der Decke gehalten werden können.
Robuste europäische Militäreinsätze

Dies gilt umso mehr, als Annalena Baerbock noch ein zweites extrem heißes Eisen angefasst hat. Die Grünen-Chefin kündigte an, für den Fall einer Regierungsbeteiligung auch Gespräche mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron über robuste europäische Militäreinsätze führen zu wollen. „Einfach wird das nicht. Aber wir dürfen uns nicht wegducken“, äußerte sie wohl mit Blick auf das grüne Innenleben. Selbst für ein stärkeres gemeinsames Engagement Europas in der Verteidigungspolitik trat Baerbock im Hinblick auf den Präsidentenwechsel in den USA ein: „Europa kreist seit Jahren um sich selbst, die Trump-Administration hat der Welt den Rücken zugekehrt. Die Lücke, die entstanden ist, füllen autoritäre Staaten.“

Gut gebrüllt Löwin, dürfte manch einem hierzu als Kommentar einfallen. Ihre Äußerungen gehen in die richtige Richtung, es darf schließlich jeder klüger werden. Zumindest für Abstimmungen im Deutschen Bundestag zu Einsätzen der Bundeswehr in Afghanistan oder dem Irak gibt es aber bisher keine geänderte Parteilinie: Grüne Bundestagsabgeordnete sagen überwiegend Nein.

Die Prophezeiung fällt daher leicht, dass sich grüne Mandatsträger auch künftig denkbar schwer tun werden, mit Franzosen beispielsweise über robuste europäische Militäreinsätze zu verhandeln. Auf den grünen Parteitag darf man gespannt sein, auf  dem über eine offensive Militäroperation (das steht hinter dem Begriff robust) unter französischer Führung (dazu sind die Deutschen weder willens noch in der Lage) abgestimmt werden soll. Und dies möglicherweise gar ohne UN-Mandat. Dafür plädierte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt beim letzten Grünen-Bundesparteitag. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass ein Mandat der Vereinten Nationen blockiert werden kann und dann wichtige Hilfe in Kriegsregionen mitunter nicht möglich wäre“, sagte Göring-Eckardt der Düsseldorfer Rheinischen Post.

Für Aufmerksamkeit ist gesorgt

Es tut sich also was an der grünen Parteispitze. Die letzten vernehmbaren Äußerungen sorgen für Aufmerksamkeit. Das ist auch der Zweck der Übung. Inwieweit daraus tatsächlich ein realpolitiktaugliches Wahlprogramm, später gar ein entsprechender Koalitionsvertrag auf dem Sektor Außen- und Sicherheitspolitik werden kann, müsste sich zeigen. Deutschland die Bündnisfähigkeit zu erhalten, ist der Mühe wert. Auch wenn es keiner demokratischen Partei in Deutschland darum geht, mit Soldaten die Welt zu verbessern. Das sollte ein für alle Mal vorbei sein. Dennoch irrt, wer glaubt, den militärischen Faktor von vornherein ausschließen zu können.

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Die aktuellen grünen Absichtserklärungen dürften aber schon mal beim Wunschkoalitionspartner SPD befremden auslösen. Für deren Fraktionsvorsitzenden im Bundestag Rolf Mützenich sind Militäreinsätze und erhöhte Rüstungsausgaben Teufelszeug. Von den Linken erst gar nicht zu reden. Mit Hintertürchen weiß aber auch Anna Lena Baerbock umzugehen: „Wir müssen erst über eine strategische Neuaufstellung sprechen, dann über die Ausgaben. Es muss auch um die Fähigkeiten der NATO und die konkrete Lastenverteilung gehen. Ein theoretisches Zwei-Prozent-Ziel hilft da nicht wirklich weiter“ so die Chefin der Grünen in oben genanntem Interview.

Womit wir bei einer besonderen deutschen Fähigkeit angelangt wären, nämlich jahrelang bis zum Verdruss der Bündnispartner in unzähligen Tagungen und Konferenzen über Grundsätzliches zu palavern, anstelle mit realpolitischen Entscheidungen die Schwächen der Bundeswehr zu beheben. Oder mit den Partnern über konkrete Maßnahmen zu verhandeln, damit das strategische Unvermögen der Europäer wenigstens nicht immer noch größer wird. Daran wurden wir von Noch-US-Präsident Trump (wie auch seinen Vorgängern) gemessen und für zu leicht befunden. Daran werden wir nicht zuletzt auch von der eigenen Bevölkerung gemessen werden, wenn wir in einer großen Krise nichts auf die Beine bringen. Den französischen Präsidenten hat man mit seinen diesbezüglichen Mahnungen lange im Regen stehen lassen. Ob die strammen grünen Sätze ein größeres Potential haben als das zur Wählertäuschung, muss sich erst noch zeigen. Mit Sirenengesängen allein ist in einer Welt im Umbruch kein Staat zu machen.


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