Tichys Einblick
Jargon einer Kanzlerin

Angela Merkel: „Wenn ich mal auspacke…“

In der Konferenz mit den Länderregierungschefs soll die Bundeskanzlerin einen Satz gesagt haben, der auf der Gesprächsebene demokratisch gewählter Volksvertreter nichts zu suchen hat. Angela Merkel offenbart hier mehr als schlechten Stil.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Michael Kappeler

Immer wieder fällt die Kanzlerin durch patzige Formulierungen auf, die es am Respekt vor dem Bürger und vor der Demokratie fehlen lassen. Wenn die Bürger nicht so wollen, wie die Kanzlerin es möchte, dann ist dies nicht mehr ihr Land. Wenn eine demokratische Wahl nicht in ihrem Sinne verläuft, muss sie rückgängig gemacht werden. Es mag sein, dass Angela Merkel sich durch „Diskussionsorgien“ in ihrer erhabenen Höhe belästigt fühlt, vielleicht empfindet sie, der die Gabe verliehen wurde, alles vom Ende her zu bedenken, den Bundestag als überflüssig, denn sie hat ja nun am Parlament vorbei eine dritte Kammer gebildet, nämlich die Versammlung der Ministerpräsidenten.

Der Verweis auf die Krise verfängt nicht, denn die Größe der Krise ist teils objektiv durch das Virus, das wohl aus China stammt, teils subjektiv durch das Versagen der Bundesregierung gegeben. Doch noch bevor dieses Versagen der Öffentlichkeit in ganzer Dimension deutlich wird, schwärmen schon Merkels Öffentlichkeitsarbeiter in den Redaktionen aus, um dieses Desaster in eine staatsmännische Leistung der Bundeskanzlerin umzuschreiben und umzuframen. Der Merkur titelt beispielsweise: „Angela Merkel nimmt sich Kritiker der Impfstoff-Beschaffung zur Brust“. Sind also die Kritiker schuld daran, dass Angela Merkel für Deutschland darauf verzichtet hat,  Impfstoff  zu erwerben, und die Beschaffung in die Hände der EU-Bürokratie gelegt hat, mit dem Ergebnis übrigens, dass obwohl Impfstoff von einer deutschen Firma produziert wird, Deutschland nicht die erforderlichen Mengen erhält? So regierungstreu war man nicht einmal zu DDR-Zeiten im Neuen Deutschland, möchte man fast spotten. 

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Laut Bericht der Bild-Zeitung soll Merkel am Dienstag in der Runde mit den Ministerpräsidenten den Chefs der SPD-geführten Länder mit den Worten gedroht haben: „Wenn ich mal auspacke, was hier in dieser Runde für Fehler gelaufen sind, wenn ich das mal öffentlich machen würde …“ Ganz davon abgesehen, dass die Wendung „auspacken“ Jargon ist, der aus Krimis bekannt ist, aber auf der Gesprächsebene demokratisch gewählter Volksvertreter nichts zu suchen hat, würde diese Äußerung wieder einmal Merkels Missachtung der Demokratie indizieren. Denn genau das, was sie da androht, wäre ihre Pflicht: den Bürger zu informieren, nicht wie einen Unmündigen zu gängeln, nicht darüber zu befinden, was er wissen darf und was nicht. „Auspacken“ bedeutet: über Gesetzesbrüche oder Betrügereien, an denen man beteiligt war, Auskunft zu geben, entweder, um sein Gewissen zu erleichtern oder um einen Strafnachlass auszuhandeln. „Auspacken“ bedeutet Verantwortung tragen – im Wortsinne von „antworten“.

Doch wir reden hier nicht über Geständnisse, auch nicht über Spionageaktionen oder andere Staatsgeheimnisse, sondern über Fragen des öffentlichen Lebens. Nur in Diktaturen wird vor allem aus den Fragen des öffentlichen Lebens ein Geheimnis gemacht, denn die Realität ist ihr stärkster Kritiker. Wenn dieserart Äußerungen auf höchster Regierungsebene gefallen sein sollen, wie muss man sich dann die Kommunikation in der Regierung vorstellen? 

Die Bundeskanzlerin hat die Pflicht, die Bürger wahrheitsgemäß über alle Fragen des öffentlichen Lebens, der res publica, zu informieren, über Fehler, über Bewertungen, auch über den aktuellen Kenntnisstand, und vollständig über die Gründe für die von der Regierung beschlossenen Maßnahmen Auskunft zu geben. Andernfalls setzt ein Vertrauensverlust ein, der gerade in einer Krise gefährlich wird. Vertrauen jedoch kann man nicht befehlen, sondern Vertrauen muss man sich erarbeiten – und es ist schneller verspielt als gewonnen. Auch der Versuch, durch Öffentlichkeitsarbeit, sprich Propaganda, Vertrauen herbei zu schreiben, wird nur eine Weile funktionieren. Im Grunde haben die Medien, die sich das Ziel gesetzt haben, als assoziierte Regierungssprecher zu agieren, große finanzielle Unterstützung seitens der Regierung verdient, denn die Arbeit, Regierungsversagen in Regierungserfolge umzuschreiben, wird immer komplizierter. Den Dank der Kanzlerin bekamen sie auch schon in ihrer jüngsten Neujahrsansprache

Es stellt sich immer deutlicher die Frage: Liegen die Nerven in der Regierung blank? Weiß sie, was sie tut? Es ist hohe Zeit, die Bürger ins Vertrauen zu ziehen, solange sie noch der Regierung vertrauen. 

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