Es war eine mühsame Lektüre, das von Anetta Kahane und drei ihrer Mitstreiter herausgegebene Buch „Nach Auschwitz“ von Anfang bis Ende zu lesen. Nicht nur, weil es auf irritierende Weise unprofessionell war, sondern auch, weil es vor Ideologie nur so triefte. Während wissenschaftliche Texte normalerweise dadurch bestechen, dass sie einen Gegenstand möglichst objektiv und genau ausleuchten, war in diesem Buch über weite Strecken das Gegenteil der Fall.
An das Buch war ich gekommen, weil mich ein geschätzter Kollege, Professor Uwe Walter, gefragt hatte, ob ich es für die Zeitschrift des Geschichtslehrerverbandes Deutschlands „geschichte für heute“ rezensieren wolle. Die Zeitschrift war mir bis dahin nicht besonders ins Auge gefallen, doch mit ihren über 3.000 Abonnenten ist sie vor allem an deutschen Schulen von Bedeutung. Nach zwei charmanten Erinnerungen machte ich mich also im vergangenen Sommer an die Arbeit und las die 330 Seiten.
Wie ich im Laufe der Lektüre feststellte, lag das vor allem daran, dass der hohe Anspruch von Frau Kahane und ihren Mitherausgebern nicht annähernd eingelöst wurde. Das Buch versammelte nämlich nur eine wilde Mischung von 21 Aufsätzen, von denen die meisten auf früheren Vorträgen fußten. Das Inhaltsverzeichnis reichte von so exotischen Themen wie der Rückkehr des Finnougristen Wolfgang Steinitz nach Deutschland im Jahr 1946 bis zu einer Darstellung der Diskussionen um das immer noch ungebaute Freiheits- und Einheitsdenkmal. Meine Rezension begann deshalb mit dem Satz: Der Berg kreißte und gebar eine Maus.
Hatte ich vorher schon Zweifel an der Seriosität der Arbeit von Frau Kahane als Chefin der Amadeu Antonio Stiftung, so wurden sie durch dieses Buch bestätigt. In ihrer Einleitung machten die Herausgeber nämlich deutlich, dass sie nicht auf einer ergebnisoffenen Suche nach wissenschaftlichen Erkenntnissen waren, sondern eine politische Mission verfolgten. Der von ihnen geforderte „Paradigmenwechsel in der DDR-Aufarbeitung“ meinte nichts anderes, als der DDR-Geschichte eine neue Deutung zu verleihen.
Worin dieser Paradigmenwechsel genau bestehen sollte, war allerdings weniger leicht zu erfassen. Der gestelzte Ton der Herausgeber erinnerte mich an Seminararbeiten besonders eifriger Studenten. Nicht zu überlesen war jedoch, dass ihnen „ein eher konservativ grundierter Antikommunismus“ zuwider war. Dazu passte, dass Frau Kahane und ihre Stiftung kurz nach dem Erscheinen des Buches eine Tagung über den „rechten Rand der DDR-Aufarbeitung“ durchführten, bei der Opferverbände und Gedenkstätten zur SED-Diktatur als rechtsextrem diskreditiert wurden.
In meiner Rezension versuchte ich die Ausführungen von Frau Kahane und ihren Mitherausgebern so zusammenzufassen: Die DDR erkläre sich nicht in erster Linie aus marxistischer Ideologie und kommunistischer Praxis, sondern aus den Nachwirkungen des NS-Regimes. Wie Österreich und die alte Bundesrepublik müsse man den SED-Staat deshalb als „postnationalsozialistische Gesellschaft“ verstehen. Wenn man die DDR kritisiert, so würde ich heute hinzufügen, darf man dies nicht antikommunistisch, sondern allenfalls antifaschistisch tun.
Die Behauptung der Herausgeber, dass ein neuer Blick auf die DDR erforderlich sei, wird in dem Buch nicht näher belegt. Schon bei oberflächlicher Betrachtung spricht gegen ihre These, dass sich Ideologie und politische Praxis in den übrigen Ostblockstaaten von denen in der DDR nur wenig unterschieden. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in der DDR wurde von den sowjetischen Machthabern und nicht von den Nationalsozialisten geformt.
Die Herangehensweise der Herausgeber war zudem in sich widersprüchlich. Während sie einerseits auf einer „kritischen Reflexion langer Linien deutscher Geschichte“ bestanden, wird eine Analyse eben solcher Verbindungen zwischen Kommunismus und Nationalsozialismus mehrfach rigoros abgelehnt. Die Totalitarismustheorie, die genau solche „langen Linien“ in den Mittelpunkt rückt, erscheint in dem Buch zuweilen fast wie eine Inkarnation des Bösen.
Am Ende meiner Rezension kam ich schließlich auf den biografischen Hintergrund der Herausgeber zu sprechen. Denn dieser könnte deren Absicht, die DDR neu zu deuten, vermutlich erklären. So erwähnte ich, dass Anetta Kahane in der DDR jahrelang als Informantin des Staatssicherheitsdienstes gearbeitet hatte, was sie in ihrem autobiografischen Beitrag in dem Buch allerdings unterschlägt. Ihr Mitherausgeber, Patrice G. Poutrous, so führte ich weiter aus, schildere sich in seinem Beitrag hingegen selbst als einstmals überzeugten hauptamtlichen FDJ-Funktionär.
Ich erwähnte auch, dass ein weiterer Herausgeber, Enrico Heitzer, der in der Gedenkstätte Sachsenhausen für die Kommunismusopfer zuständig ist, mit seiner Dissertation ins Gerede gekommen wäre, weil er darin die wichtigste antikommunistische Widerstandsorganisation der Nachkriegszeit als nazistisch und terroristisch gebrandmarkt hatte. Schließlich führte ich an, dass der vierte Herausgeber, Martin Jander, vor einiger Zeit seiner Abneigung gegen einen DDR-Opferverband freien Lauf gelassen hätte – „auf dem Niveau der ‚Jungen Welt‘ als früherem Zentralorgan der Freien Deutschen Jugend“, wie es der Chef des Berliner Holocaust-Mahnmals einmal formulierte. Meine Rezension endete deshalb mit der Schlussfolgerung: Für die These der Herausgeber, dass politische Einstellungen und Handlungen auf die Vorgeschichte der Akteure zurückzuführen seien, wären sie selbst ungewollt ein Beispiel.
Nachdem ich die Rezension geschrieben hatte, hörte ich lange nichts mehr von dem Text. Erst Mitte Januar erhielt ich kommentarlos ein Heft der Zeitschrift „geschichte für heute“ zugeschickt, das ich zunächst ungeöffnet irgendwo hinlegte. Wenig später erreichte mich jedoch eine Mail von Professor Walter, der mich informierte, dass der letzte Absatz meiner Besprechung, in dem es um Frau Kahane und ihre Mitherausgeber ging, nicht gedruckt worden sei. Tatsächlich klaffte in dem Heft an dieser Stelle eine weiße Lücke.
Sichtlich empört teilte mir Professor Walter, der bei der Zeitschrift den Rezensionsteil betreute, zudem mit, dass er von der Streichung des Schlusses keine Kenntnis gehabt hätte. In den Druckfahnen des Heftes sei er noch enthalten gewesen. Weiter schrieb er: „Ich würde mich für diesen Eingriff entschuldigen, wenn es sich um ein Versehen oder Fauxpas im Redaktionsprozess handelte, aber die Sache hat natürlich Methode.“ Die Antifa hätte ihren Siegeszug bis in die Redaktion eines biederen Geschichtslehrerverbandsblattes geführt.
Herr Erbar und Herr Schweppenstette schrieben mir daraufhin „zur Klärung des Sachverhalts“ Folgendes: Bei der Lektüre der Druckfahnen hätte es in der Redaktion „Diskussionsbedarf“ hinsichtlich des letzten Absatzes gegeben. Während der erste Teil der Rezension den Inhalt des Buches in den Blick nehme und kritisch bespreche, ziele der letzte Absatz direkt auf die Herausgeber des Bandes. „Wir sahen hier Persönlichkeitsrechte Dritter verletzt. Aus diesem Grund haben wir redaktionell eingegriffen und den letzten Absatz gestrichen.“
Nun weiß jeder Zeitschriftenredakteur, dass die Veröffentlichung allgemein bekannter Tatsachen keine Verletzung des Persönlichkeitsrechtes darstellt – zumal wenn sie, wie in diesem Fall, durch die Herausgeber selbst bekannt gemacht oder öffentlich eingeräumt wurden. Personen, die selbst die Öffentlichkeit suchen, müssen es nach deutschem Recht hinnehmen, dass ihr Handeln auch öffentlich beschrieben wird, so lange es sich nicht um falsche, herabwürdigende Behauptungen handelt. Zudem lernt man in jedem Grundkurs zur Quellenkunde, dass es zu den zentralen Aufgaben eines Historikers zählt festzustellen, wer mit welcher Motivation einen Text verfasst hat. Warum ich über den geplanten Eingriff nicht informiert wurde, ging aus der Antwort der Chefredakteure ebenfalls nicht hervor.
Ob eine Zeitschrift für Geschichtslehrer eine Buchbesprechung vollständig oder um eine wesentliche Passage gekürzt veröffentlicht, ist sicher keine staatsbewegende Angelegenheit. Der Vorgang zeigt aber exemplarisch, wie sich die Spielräume des öffentlichen Diskurses in Deutschland verengen. Statt sich einer möglichen oder eingebildeten Gefahr der Kritik durch gut organisierte Netzwerke auszusetzen, greift man aus vorauseilendem politischem Gehorsam lieber selbst zur Schere und entfernt einen möglicherweise Anstoß erregenden Absatz. Beunruhigender als die Verstümmelung eines Textes durch eine Historikerzeitschrift ist deshalb die Bereitschaft zur Selbstzensur in den Köpfen der Verantwortlichen.
Die vollständige Rezension findet sich hier.