Sprechen wir über Andrea Nahles, die 47-Jährige Sozialdemokratin war SPD-Generalsekretärin, dann Bundesministerin für Arbeit im dritten Merkelkabinett und ist seit Mai dieses Jahres Parteivorsitzende der SPD. Simon Klaus hatte weniger Glück, er ist für die SPD Stadtrat in Kronach geblieben. Aber vielleicht ist er dort sogar zufriedener als Nahles im Willy-Brandt-Haus. Soll uns aber nicht weiter interessieren.
Denn interessanter ist, was Klaus dazu zu sagen hat, wenn Nahles aktuell etwas sagt, dass die Aufmerksamkeit nicht nur von Herrn Klaus, sondern der versammelten Medien auf sich zieht: Für Aufregung sorgte die schlichte Feststellung, es könne nicht jeder Asylbewerber hier bleiben, „Wir können nicht jeden bei uns aufnehmen.“
Nahles fordert angesichts einer verschwindend geringen Anerkennungsquote (die übrigens ohne BAMF-Skandal noch geringer wäre), die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Die SPD-Vorsitzende geht aber noch weiter, wenn sie gegenüber der Passauer Neuen Presse lapidar feststellt: „Menschen, die weder geduldet noch als Asylbewerber anerkannt werden, müssen schneller Klarheit haben, dass sie nicht bleiben können und zurückgebracht werden“, die Willkommenskultur funktioniere nur „zusammen mit einem durchsetzungsstarken Rechtsstaat. Wer Schutz braucht, ist willkommen. Aber wir können nicht alle bei uns aufnehmen.“
Nun könnte man hier fragen, wo bitte schön, außer in der BILD-Zeitung von 2015 (Refugees-Welcome-Aufkleber-Kampagne), eine Willkommenskultur verankert wäre. Rechtlich jedenfalls nicht. Es gibt kein Recht auf Jubelgassen an deutschen Bahnhöfen. Besagter Simon Klaus hat aber andere Fragen. Die will er der Genossin Andrea stellen. Aber wo? Ernüchternd stellt er fest, seine Vorsitzende hat gar keinen Twitter-Account. Also weiß er nicht recht, wo er Nahles fragen kann, ob sie nicht wüsste, dass Abschiebungen in sichere Länder doch gesetzlich legitim seien. Diese Abschiebungen seien doch „bestimmt Bestandteil des Asylrechts.“
Soviel zur internen Kommunikation in der SPD: Ohne Twitter kein Gezwitscher unter Genossen, weil offensichtlich kein analoger Kummerkasten von unten nach oben installiert oder weil das Kästchen für die bösen Briefe irgendwann abgebaut worden ist.
Aber zur Frage von Herrn Klaus: Natürlich sind Abschiebungen legitim. Und so betrachtet hat Andrea Nahles nur – sozialdemokratisch zumutbar – einen Verdacht bestätigt, den CSU-Landesgruppenchef Dobrindt „Anti-Abschiebe-Industrie“ nannte. Klar, denn wenn es funktionieren würde mit den gesetzlich fixierten Abschiebungen, müsste Nahles die Genossen nicht daran erinnern, dass sie möglich sind und durchgeführt werden müssen. Also zumindest jene Genossen, die es noch nicht wissen, Genosse Simon aus Kronach wusste es ja längst.
In seiner Lucas-Cranach-Stadt im Naturpark Frankenwald wohnten bis 2015 etwas mehr als siebzehntausend Bürger, knapp sechshundert Zugewanderte kamen hinzu, von denen mehr als die Hälfte nach wie vor in staatlichen Unterkünften leben.
Aber kommen wir in der Sache noch zu einem weiteren eifrigen Twitter-Nutzer, kommen wir von Simon Klaus zu Georg Diez. Dem Spiegel-Kultur-Schreiber platzte angesichts der Belehrstunde der SPD-Vorsitzenden über das Asylrecht gerade der Kragen. Aber nicht, weil es sich hier tatsächlich um einen nicht erwähnenswerten Allgemeinplatz gehandelt hätte, sondern offensichtlich deshalb, weil das Recht im Rahmen der „Willkommenskultur“ Made by BILD-Zeitung doch bisher so schön gebeugt wurde und also überhaupt kein Anlass bestand, diese Rechtsbeugung irgendwie in Frage zu stellen.
Nein, schlimmer: Wer jetzt doch lieber wieder zur Durchsetzung des Rechts zurückkehren will, weil das Volk die Geduld verliert, der stellt damit nach Diez offensichtlich den humanitären Imperativ der Kanzlerin in Frage. Diez twitterte also erregt: „Die SPD sollte sich einfach gleich selbst abschaffen, es ist zu traurig, diesem langsamen, angstbesetzten, gefährlichen Hinsiechen zuzusehen, diese Anbiederung an rechtes Ressentiment, dieses Aufgeben von allem Aufklärerischen und Vorwärtsgewandten.“
Und weil so eine Aufregung um Nichts bei Diez trotzdem jede Menge Welcome-Adrenalin hochgespült hat, legt der SPON-Kolumnist noch einen nach: „Das ist so brutal manipulativ, relativistisch, die totale Armut der Angsthasen, und dann die Prinzipienlosigkeit noch mit dem Wort Demokratie zu adeln versuchen – und was hätte denn überhaupt die Akzeptanz von Geflüchteten mit der Integration zu tun??? Oh weh, SPD.“
Hier müssen wir kurz sortieren: Dieses krähenhafte Gezwitscher bezog sich nämlich wiederum auf ein Gezwitscher des sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten Karl Lauterbach, der seiner Vorsitzenden Nahles zur Seite sprang und zu Nahles nahe liegender Aussage, wir könnten nicht jeden bei uns aufnehmen, twitterte:
Also KGE tut natürlich nur so, als kehre sie zurück, denn während ihre Partei auch nach Jahren noch versucht, von hintenherum die BILD-Refugees-Welcome-Kampagne in die Tat umzusetzen, erzählt KGE neuerdings, die Leute wollten nicht länger an der Nase herumgeführt werden, die Politik müsste zur Wahrheit zurückkehren und es würde teuer werden, mit den Flüchtlingen. Bei Lauterbach wie KGE sind jene Schuld, die schon länger hier sind, dass es nicht geklappt hat, mit der Etablierung des Rechtsbruches, mit der Integration der Zuwanderer. Und Georg Diez als Protagonist der so genannten Leitmedien schäumt weiter darüber, dass die Politik stiften geht, während er doch weiter ausharren will.
Nun erinnert sich Georg Diez nicht mehr an Georg Diez, der frühere Diez nämlich forderte noch 2013: „Ein Vorschlag zur Demokratisierung: Brecht die Macht, die unselige und geistig erstickende Macht der Parteien.“ Damals forderte Diez eine rot-rot-grüne linke Mehrheit. Aber die SPD entschied sich für das, was Herr Diez das „Herz der Finsternis“ nannte, für eine Große Koalition mit der Union.
Nur wenige Wochen später der Fall der Ideale der SPD: friendly fire von der Parteivorsitzenden, die zumindest vorgibt, irgendwie ein stückweit zum Recht zurückkehren zu wollen. Die SPD solle sich doch „einfach gleich selbst abschaffen, es ist zu traurig, diesem langsamen, angstbesetzten, gefährlichen Hinsiechen zuzusehen. (…) Brecht die Macht, die unselige und geistig erstickende Macht der Parteien.“ Aber da immerhin besteht doch der breiteste Konsens. Wer möchte dem verärgerten Spiegel-Journalisten hier widersprechen?
Und wer noch nicht genug hat, kann einfach weiter schauen. Beispielsweise bei Patrick Bahners, Ressort Geisteswissenschaften der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Ein Journalist, über den Klaus von Dohnanyi einst meinte, „dass er an einer ernsthaften Debatte offenbar gar nicht interessiert ist“, twittert sich ebenfalls wund, findet die SPD bestehe aus „Deppen“ und folge nun also einer „brutalen Kampagne von Menschenfeinden“ und Andrea Nahles würde einen „demagogischen Gegensatz zwischen Willkommenskultur und Rechtsstaat“ aufmachen.