Ich erinnere mich an Umfragen des Allensbach-Institutes einige Jahre nach der Wiedervereinigung in den neunziger Jahren. Damals wurden die Bundesbürger in den neuen Bundesländern regelmäßig gefragt, wie es ihnen persönlich und wie es ihrer Ansicht nach der ostdeutschen Bevölkerung insgesamt gehe. Die Antwort war mehrheitlich stets: „Mir persönlich geht es gut, aber dem Land geht es schlecht.“ Das scheint etwas typisch Deutsches zu sein: Die eigene Lage, die man überblicken und gut bewerten kann – ist gut. Schade nur, dass es uns insgesamt so schlecht geht. Wenn man also Gutes addiert – wird es negativ.Die Sorge scheint sich zu wiederholen. Im Juli 2012 berichtete der Spiegel über eine repräsentative Umfrage in Deutschland: „69 Prozent der Befragten antworteten mit „Ja“ auf die Frage, ob sie sich angesichts der Euro-Krise ernsthafte Sorgen um deutliche Preissteigerungen machen würden“. Und wie sieht es heute aus? Keine Spur von Inflation, im Gegenteil, erstmals sinken die Preise, wir steuern auf eine Deflation zu.
Klar, wenn ich jeden Tag in den Medien lese, wie schlecht es Deutschland geht, fange ich irgendwann an, es auch zu glauben, selbst wenn es mir persönlich gut geht.
Deutschland steht so gut wie noch nie da. Niedrigste Arbeitslosigkeit, Null Inflation, sinkende Spritpreise, ausgeglichener Staatshaushalt und glänzende Erfolge deutscher Unternehmen. Zwischen 4000 und 8000 Euro schütten deutsche Autokonzerne zusätzlich an ihre Mitarbeiter aus. Dividendenstarke deutsche Aktien schlagen Anleiherenditen – wie schön!
Trotzdem lesen wir täglich nur von Crash-Gefahren, Börsenabstürzen, Inflationsgefahren, Pleitegefahren, Eurogefahren. Es ist als ob wir in einem wirtschaftlich vor dem Abgrund stehenden Land leben. Wie bizarr nach 70 Jahren Frieden und Prosperität, geglückter Wiedervereinigung und europäischer Einbindung.
Wir Deutschen sind eben laut Sloterdijk eine „Sorgengemeinschaft“. Die gefühlten Sorgen werden von vielen Medien mit immer neuen Warnungen gefüttert. Der amerikanische Bestsellerautor und Vermögensverwalter Ken Fisher schreibt über die Deutschen: „Jahrelang haben sie über zu hohe Ölpreise, teure Sprikosten und hohe Heizkosten gejammert. Nun sind die Ölpreise drastisch gefallen und wieder sehen die deutschen Medien „Warnsignale“ statt dieses unerwartete Konjunkturprogramm einmal zu feiern.“
Mir sagte gestern ein bei einer renommierten Zeitung arbeitender Online-Journalist: „Man muss zugeben, dass negative Artikel 90 Prozent mehr Klicks erzeugen als positive Nachrichten“.
Was folgt daraus? Man kann die Zahl der Klicks mit jeder „Sorgenmeldung“ maximieren – damit Anzeigenkunden eine höchstmögliche Reichweite bekommen. Dass „bad news“ interessanter sind als „good news“ wussten wir schon immer. Neu ist, dass das Internet diese alte Erkenntnis exorbitant verstärkt, gerade in Deutschland.
Die Eurokrise und die Schuldenkrise sind ein ideales Spielfeld dafür. Man muss nur mit den Milliarden um sich werfen und schon erschrecken alle: Milliarden Rettungspakete, Billionen Schulden, Geldflut der EZB. Aber das sind alles nur Zahlen. Zahlen sind mathematische Größen.
Hätten wir uns vorstellen können, dass laut Professor Klaus Schröder nach der Wiedervereinigung mehr als 2000 – in Worten: zweitausend) Milliarden Euro in die neuen Bundesländer geflossen sind? HIER in FAZ.net nachzulesen.
Schröder: „Die Zahl ergibt sich, wenn man alle Transfers addiert, die aus der EU und den westdeutschen Bundesländern in die infolge der Wiedervereinigung hinzugekommenen neuen Länder seit dem Jahr 1990 geflossen sind. Dazu zählen Sozialtransfers, wie zum Beispiel Renten, die etwa zur Hälfte über westdeutsche Beitrags- und Steuerzahler finanziert werden, aber auch Subventionen, Fördergelder und Mittel aus dem Länderfinanzausgleich.“ Ist unser Land deswegen zusammengebrochen? Nein, im Gegenteil!
Zahlen sind oft Schall und Rauch, wichtiger sind die Prozesse, die dahinter stehen und der Bezugsrahmen. Wenn Griechenland gerade 2 Prozent der Wirtschaftsleistung in Europa abbildet, dann wissen wir auch, dass uns das nicht umhauen kann. Auch die Verschuldung eines Staates sagt alleine nichts aus. Entscheidend ist, dass die Wirtschaftsleistung groß genug ist, um die Zinsen zu zahlen. Die vielzitierte Pro-Kopf-Verschuldung deutscher Städte ist alleinstehend eine völlig sinnlose Zahl, wenn man ihr nicht das Pro-Kopf-Einkommen gegenüberstellt.
Vergessen Sie Inflation, Geldentwertung und was Ihnen sonst noch alles prophezeit wird. Es wird weder eine Hyperinflation noch einen Grexit geben, im Gegenteil, Europa muss und wird noch mehr zusammenwachsen. Mit Griechenland, trotz Griechenland.