Vor wenigen Tagen noch hatten zwei FAZ-Redakteure die Deutschen aufgefordert: „Lacht doch mal!“. Es sei doch eigentlich alles prima, so war der Tenor: „Ob Kriminalität, Flüchtlinge oder Wohlstand: Die Lage entwickelt sich besser, als es in der Debatte den Eindruck macht.“ Als Gründe zum Jammern fanden die beiden vor allem die vielen Staus und, „dass Polkappen und Gletscher schmelzen“, erwähnenswert.
Weniger wundern werden sich die beiden Redakteure vielleicht, wenn sie jetzt in ihrer eigenen Zeitung den Bericht von Renate Köcher, der Chefin des Allensbach-Instituts lesen. Das Befinden der Deutschen ist nämlich nicht wegen nervender Staus von tiefer Sorge geprägt, sondern aufgrund eines tiefgreifenden Vertrauensverlusts. „Die Erosion des Vertrauens geht … weit über die Koalitionsparteien hinaus“, schreibt Köcher. „In der laufenden Legislaturperiode ist … das Zutrauen in die Regierungsleistung und auch die politische Stabilität geradezu erdrutschartig verfallen.“ Die Unzufriedenheit mit der Regierung unterminiere „auch das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates insgesamt“. Auf die Frage: „Haben wir in Deutschland einen starken, handlungsfähigen Staat oder eher einen schwachen Staat?“, antworteten nur 45 Prozent der Befragten „eher stark“ oder „sehr stark“, ebenso viele aber „eher schwach“ oder „sehr schwach“.
Was ist wohl zwischen 2015 und heute geschehen? Die Kanzlerin selbst und die mit ihr Regierenden haben schließlich immer wieder gezeigt, dass sie letztlich am Lauf der Ereignisse und Entwicklungen im Bereich der Migration wenig bis nichts ändern können oder wollen. Und auch die große Veränderung, die die Regierenden aktiv antreiben, in erster Linie die sogenannte Energiewende, ist nicht gerade dazu angetan, den Bürgern den Glauben an eine rosige Zukunft zu vermitteln – oder daran, dass die Regierenden wirklich wissen, was sie tun.
Charakteristisch für die gegenwärtige Lage ist, dass der Zerfall des Vertrauens in die Regierenden und das gesamte politische System nicht belebend wirkt und zur Suche nach politischer Erneuerung führt, sondern im Gegenteil ganz offensichtlich lähmt. Die Deutschen wissen nicht weiter: Sie trauen der Regierung nichts mehr zu, aber sie erwarten keinen Bruch der Koalition und wünschen sich auch nicht einmal Neuwahlen (nur 31 Prozent, allein die AfD-Anhänger sind mehrheitlich dafür). Die Deutschen nehmen eine Regierung hin, die sie für wenig handlungsfähig halten. „Noch am ehesten“, so Köcher, „wird den Unionsparteien zugetraut, dass sie überzeugende Konzepte entwickeln.“ Aber von echtem Zutrauen kann da keine Rede sein. 2015 waren noch 30 Prozent der Befragten von der Zukunftskompetenz der Union überzeugt, jetzt noch 17 Prozent.
Die Allensbach-Studie offenbart eine paralysierte Gesellschaft, die das Vertrauen in den eigenen Staat verloren hat, aber keine großen Ideen für dessen Erneuerung hat. Eine befangene und verunsicherte Gesellschaft, die spürt und weiß, dass alte Gewissheiten nicht mehr gelten und höchst ungemütliche Zeiten voller Gefahren auf sie zukommen. Die aber angesichts dieser beängstigenden Aussichten, das Staatsschiff nicht sturmfest macht, sondern in Starre verfällt.
Ob, und wenn ja durch was, sich diese Starre lösen wird, dürfte die entscheidende politische Frage für die absehbare Zukunft sein.