Die Ampel-Koalition hätte nach dem Ergebnis der jüngsten Umfrage des ZDF-Politbarometers keine Regierungsmehrheit mehr, wenn jetzt Bundestagswahlen anstünden. Angesichts der desaströsen Lage und den noch desaströseren Aussichten des Landes – nicht nur ökonomisch –, und des selbst für gutgläubigste Beobachter des Politikbetriebes unübersehbaren Anteils der gegenwärtigen Bundesregierung an diesen, kommen Sozialdemokraten, Grüne und FDP aber noch glimpflich davon. Ausgerechnet die Partei, die in Person des Wirtschaftsministers Robert Habeck und ihrer seit spätestens 2011 unter einer grünen-freundlichen Angela Merkel die Agenda bestimmenden Energiewende-Politik besonders großen Anteil an der gegenwärtigen Misere hat, könnte sogar dennoch weiter regieren. Wegen des absoluten Bann-Strahls gegen die AfD und der abgestraften FDP wäre sie für einen Kanzlerkandidaten Friedrich Merz ein so gut wie alternativloser Partner.
Die letzte Sonntagsfrage des Allensbach-Instituts kommt zu einem nur unwesentlich abweichenden Ergebnis (Union: 30, SPD: 19, Grüne: 19, AfD: 14, FDP: 7, Linke: 5).
Angesichts der Dramatik der Lage hat der Vertrauensverlust in die Regierenden, den kurz zuvor das Allensbach-Institut feststellte, aber (noch?) geringe Auswirkungen auf das Wahlverhalten und damit den deutschen Politikbetrieb. Eine radikale Verschiebung der Machtverhältnisse und ein entsprechender Politikwechsel sind also trotzdem nicht zu erwarten. Ein CDU-Kanzler Merz würde mit einem Bundestag nach oben genannten Mehrheitsverhältnissen vermutlich unter der Ägide grünen Agenda-Settings eine nur unwesentlich andere Politik machen als jetzt ein SPD-Kanzler und ein FDP-Finanzminister unter grünem Leitgestirn. Erst wenn die Grünen ihre zentrale Position – sowohl was Mehrheitsverhältnisse im Bundestag als auch das Agenda-Setting in den Massenmedien angeht – verlören, wäre womöglich eine grundlegende Verschiebung der Machtverhältnisse und politischen Prioritäten zu erwarten.
Das ist aber noch nicht in Sicht. Stattdessen eher eine Art von verzweifelter Lethargie. Das Allensbach-Institut stellt zwar fest, dass das Vertrauen der deutschen Bevölkerung in die Kompetenz der Regierung zur Bewältigung von Inflation und Energiekrise stark gesunken ist.
Auf die Frage „Haben Sie das Gefühl, die Regierung hat die Lage im Großen und Ganzen im Griff, oder haben Sie nicht das Gefühl?“, antworteten 65 Prozent der Befragten, sie hätten den Eindruck, die Regierung habe die Lage nicht im Griff, nur 21 Prozent bejahen. Dieses Urteil zieht sich laut Allensbach durch alle politischen Lager. Selbst Anhänger der Kanzler-Partei SPD antworten zu 46 Prozent mit Nein und nur zu 34 Prozent mit Ja. Sogar Grünen-Wähler sind nicht begeistert (32 ja, 47 nein).
Das ist insofern besonders interessant, als Allensbach-Forscher Thomas Petersen betont, dass das Vertrauen in die Politik zuvor in den vergangenen zwei Jahrzehnten eher gestiegen war. Die gegenwärtige Krise hat also durchaus eine Trendwende bewirkt. Aber: Angesichts dessen sind die Auswirkungen auf die Wahlabsichten (noch?) eher gering.
Verständlich wird das durch eine langfristige Umfrage der Allensbacher. Demnach stimmen 59 Prozent der Befragten der Aussage zu: „Nach all den Ereignissen der letzten Jahre, Umstürze, Veränderungen und so weiter, habe ich das Gefühl, ich kann die Welt nicht mehr verstehen.“ Ausgeprägter als die Wut auf die Regierenden scheint also ein Gefühl der Desorientierung und politischen Verunsicherung zu sein, das bisher kaum (partei-)politischen Ausdruck findet.
Es ist also offenbar eine Kombination aus Desillusionierung und Fatalismus, die die deutschen Wähler leitet. Man erwartet von den Parteipolitikern keine Problemlösung – und wählt sie in Ermangelung einer überzeugenden Alternative doch, abgesehen von einer zwar wachsenden, aber letztlich einflussfreien Minderheit der AfD- und Nichtwähler.
Der Bericht des Allensbach-Forschers Thomas Petersen zu den neusten Umfrageergebnissen endet mit den Sätzen: „Aktuell sind die Warnungen vor einer Radikalisierung der Bevölkerung übertrieben. Doch wir stehen erst am Anfang eines Winters, in dem der soziale Druck auf viele Bürger zunehmen könnte. Und soziale Not und politische Radikalisierung können durchaus Hand in Hand gehen.“
Die FAZ-Redakteure haben daraus in ihrer Meldung auf der ersten Seite und im Vorspann des Petersen-Beitrags gemacht: „Anders als in früheren Krisen gibt es Indizien für die politische Radikalisierung eines Teils der Bevölkerung.“ Beim oberflächlichen Leser bleibt also gerade nicht die Feststellung Petersens über die übertriebenen Warnungen vor der Radikalisierung hängen, sondern im Gegenteil und ganz im Sinne der Bundesregierung die Radikalisierung eines Teils der Bevölkerung (wodurch es umso angebrachter erscheint, deren Position die politische Legitimation abzusprechen).