Tichys Einblick
PR für Beyond Meat

Warnhinweis: Ein Aktientipp von Renate Künast

Die Grünen-Politikerin sieht eine „Fleischwende“. Der angebliche Höhenflug eines Unternehmens für Fleischersatz gilt ihr dafür als Beleg. Die Zahlen sagen allerdings etwas anderes - aber was versteht Grün schon von Natur, Fleisch oder Geld?

© Getty Images

„Die Fleischwende ist da“, verkündete die Grünen-Politikerin Renate Künast vor kurzem in der WELT. Darin beschwört sie einen dramatischen Umbruch der Lebensmittelindustrie, vor allem der Fleischerzeugung – getrieben von einem fundamental gewandelten Verbraucherverhalten.

„Der Wandel kommt“, schreibt Künast. „Unser Ernährungssystem befindet sich im Umbruch, der Markt strukturiert sich neu. Die Anzeichen sind schon da, weltweit wird es in den kommenden zehn Jahren einen radikalen Wandel in der uns bekannten Fleischindustrie geben: Soja, Erbse und Lupine werden Rind, Huhn und Schwein zunehmend ersetzen.“ Besonders stark wandle sich gerade die Nachfrage in Deutschland:

„Es gibt in Deutschland bereits etwa 6,1 Millionen Vegetarier und etwa 950.000 Veganer. Und: Immer mehr Menschen gönnen sich auch einfach so immer öfter vegetarisches oder veganes Essen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Die Verbraucher wollen sich selbst etwas Gutes tun, sich besser und gesünder ernähren. Sie wollen aber auch, dass ihr Lebensstil das Klima nicht belastet und keine Tiere leiden müssen.“

Darauf folgt das überschwängliche Lob eines börsennotierten Unternehmens, das laut Künast wie kein anderes für das steht, was sie „Fleischwende“ nennt: Beyond Meat. Was die Grünen-Politikerin über die Firma schreibt, liest sich wie ein Promotion-Text über den übrigens schon 2009 gegründeten kalifornischen Hersteller von Fleischersatzprodukten:

»Das Lebensmitteljahr 2019 wird aber mit einem neuen Player verbunden bleiben: Beyond Meat. Dieses Start-up, finanziert von Risikokapitalgebern und Hollywoodgrößen wie Leonardo DiCaprio, stellt Burger aus Erbsenprotein her. Für das gewisse „blutige Etwas“ sorgt rote Beete. Anfang des Jahres ging die Firma an die Börse, seitdem hat sich der Aktienkurs verfünffacht.Der Erfolg der Firma liegt nicht daran, dass für den Patty kein Tier sterben musste oder der Burger besonders gesund ist. Der Beyond-Meat-Burger hat in etwa dieselben Nährwerte wie ein Fleischburger. Es sind Konsistenz, Optik und Möglichkeit der Verarbeitung, die besonders nahe an dem erlernten ’Fleischgeschmack’ liegen. Die Imitation des erlernten Geschmacks macht es möglich, dass sich am Abendbrottisch Fleisch essende und vegan lebende Familienmitglieder versammeln können, um ein gemeinsames, konfliktfreies Mahl zu genießen. Das ist ein großes Marktpotenzial.«

Zunächst einmal: Nein, der Aktienkurs von Beyond Meat verfünffachte sich nicht seit dem Börsenstart. Der erste Kurs zum Start am 3. Mai 2019 lag bei 46 Dollar (rund 41 Euro), heute steht die Aktie bei gut 101 Dollar (um 92 Euro). Von einer Verfünffachung ist das ziemlich weit entfernt. Der Ausgabekurs der Aktie – der allerdings nur für diejenigen interessant war, die bei dem IPO eine Zuteilung bekommen hatten – notierte am 3. Mai bei 25 Dollar (22,35 Euro). Aber selbst das ergibt keine Kursexplosion auf das Fünffache. Wichtiger als die Betrachtung von Börsenstart bis Gegenwart ist allerdings die Frage: was passierte dazwischen? Am 26. Juni erreichte Beyond Meat, angefeuert von einem gewaltigen Medienhype („Vegansinn an der Börse“ – BILD) und Testimonials von Leonardo di Caprio – den Höhepunkt bei 207,35 Euro. Seitdem ging es steil und stetig bergab, die bejubelte Aktie verlor mehr als die Hälfte ihres Spitzenwertes.

Warum dieser Einbruch? Zum einen startete die Aktie schon grotesk überbewertet. Das Unternehmen in El Segundo, Kalifornien, beschäftigt gerade 400 Mitarbeiter und erwirtschaftete 2018 einen bescheidenen Umsatz von 87,9 Millionen Dollar – erreichte aber zeitweilig eine Börsenkapitalisierung von mehr als 10 Milliarden Dollar. Nach Ansicht von Analysten kommt zu dieser Überbewertung ein wichtigerer Punkt: In das Geschäft mit Fleischersatzprodukten dürften demnächst noch viele weitere Firmen stoßen. Sie glauben deshalb überwiegend nicht daran, dass Beyond Meat seinen relativ hohen Preis für Burger-Patties aus Pflanzen halten kann. Dazu kamen ziemlich schlechte Bewertungen der Produktqualität: „Ökotest“ kritisierte Mineralöl-Rückstände in dem Ersatzfleisch, außerdem die aufwendige Lieferkette der in den USA hergestellten, tiefgefrorenen und nach Deutschland verschifften Bratlinge, die nicht recht zum nachhaltigen Image des Produkts passt. Kurzum: der Hype um die Aktie stellte sich ziemlich schnell als wesentlich größer heraus als der Markt. Es bestätigte sich wieder die alte Börsianer-Regel: politische Börsen sind schnell, haben aber kurze Beine.

Die unmittelbare Aussicht für die von Künast mit ihrem schiefen Zahlenwerk angepriesene Aktie ist noch deutlich schlechter als der Kursverlauf seit dem Sommer. Denn am 28. Oktober endet die 180tägige Lockup-Frist für die Altaktionäre. Dann werden 48 Millionen Aktien frei für den Markt. Schon ein kleiner Teil dieser Menge könnte bei einem Verkauf einen Kursrutsch verursachen. Normalerweise behalten institutionelle Altaktionäre nach einem IPO ihre Papiere, auch wenn der Kurs etwas nachgegeben hat – denn meist folgen sie langfristigen Anlagezielen. Hier könnten einige Anteilseigner– vor allem Fonds – allerdings die Gelegenheit nutzen, noch schnell Kasse zu machen, bevor die Aktie weiter Richtung Startpreis fällt. Analysten empfehlen mittlerweile Beyond Meat – allerdings als Short-Position, also als Wette auf fallende Kurse. „Short-sellers sink teeth into Beyond Meat“, titelte die „Financial Times“.

Die Überschätzung des Fleischersatz-Produzenten kommt nur für diejenigen überraschend, die den Lebensmittelmarkt so wahrnehmen wie Renate Künast. Die von ihr behauptete radikale Wende der Verbraucher weg vom Fleisch findet nämlich gar nicht statt. Künast suggeriert, der Fleischverbrauch sei bis zu Gegenwart gestiegen, um nun – unter dem Druck der Klimadebatte – plötzlich umzuschlagen:
„Fleisch war bei uns über Jahrhunderte eine Delikatesse, erst in den letzten 60 Jahren vervierfachte sich der Konsum in Deutschland auf heute etwa 60 Kilogramm pro Person.“

In Wirklichkeit sinkt der Fleischverbrauch in Deutschland schon seit Jahrzehnten, allerdings sehr langsam. Laut Fleisch-Branchenverband lag der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland 1985 bei 66,1 Kilo, 2019 liegt er bei gut 60 Kilogramm – und damit etwa so hoch wie im Vorjahr. Weder gab es also in den letzten Jahrzehnten eine Fleisch-Völlerei, noch gibt es jetzt ein Zeichen für eine radikale Wende. Woher auch? Die Zahl der Vegetarier in Deutschland blieb über die vergangenen Jahre mit einigen Schwankungen konstant. Laut Statista erklärten 2018 6,31 Millionen Deutsche, kein Fleisch zu essen, 2019 ging deren Zahl sogar noch leicht auf 6,1 Millionen zurück. Im Jahr 2010 lag die Zahl der Vegetarier laut Statista bei 6,42 Millionen. Die Zahl der Veganer liegt weit tiefer – bei nur knapp über 0,1 Prozent der Bevölkerung. Wie bei der Beyond-Meat-Aktie klaffen medialer Hype (Sascha Lobo auf Spiegel Online: „Wie das Internet vegan macht“) und die Realität weit auseinander.

Im großen Rest der Welt – Indien, China, Vietnam – wird die Zahl der Millionen, die sich wegen der guten wirtschaftlichen Entwicklung zum ersten mal mehr Fleisch leisten können als die Generationen vor ihnen, noch geraume Zeit weiter steigen. Sie greifen dann in der Regel nicht zu Ersatzprodukten, die etwa genau so teuer sind. Künast folgt einer Strategie, an der sich zur Zeit etliche Wissenschaftler, Politiker und Medienmitarbeiter versuchen: sie behaupten eine „Wende“, die nicht stattfindet – in der Hoffnung, dass über den Umweg der Rhetorik aus der Behauptung irgendwann tatsächlich als selbsterfüllende Prophezeiung Realität wird.

Als Hebel dient vor allem die stereotype Behauptung, bei Fleisch, vor allem Rindfleisch, handle es sich um einen der schlimmsten „Klimakiller“. „Ein Kilogramm Rindfleischprotein“, behauptet Künast in ihrem WELT-Text, „verursacht 1250 Kilogramm CO2. Das ist in etwa ein Flug von London nach New York – und zurück.“ Diese pauschale Zahl ist allerdings Unsinn. „Ein Kilogramm Rindfleischprotein“ ist keine standardisierte Maßeinheit. Es kommt ganz entscheidend darauf an, wie das Rind gehalten wird. Die ständig wiederholte Aussage, Rinder würden vor allem mit Soja gefüttert, für dessen Anbau Regenwälder vernichtet würden, ist eine Mär. Rinder als Wiederkäuer fressen überwiegend Raufutter, also Gras beziehungsweise Silage. Nur sieben Prozent des in Deutschland verbrauchten Tierfutters sind Import – und die werden überwiegend in der Schweinemast eingesetzt.

Die Bilanz eines Weiderindes, das Gras frisst – das wiederum C02 vorher gebunden hat – fällt gar nicht schlecht aus. Wer ein regional gehandeltes Steak von einem Weiderind verzehrt, muss sich wegen C02 – wenn ihm die Frage so wichtig ist – jedenfalls kein schlechteres Gewissen machen als der Konsument von Beyond-Meat-Patties, die den Weg von den USA in den deutschen Supermarkt zurücklegen müssen.

Vor einiger Zeit blamierte sich schon der Vize-Chef des Potsdam-Klimainstituts Johan Rockström mit der frei erfundenen Behauptung im „Tagesspiegel“: „In jedem Steak stecken 70 Liter Öl“. Siebzig Liter Erdöl kosten allein schon etwa 30 Dollar. Rockström musste seine unsinnige Behauptung später zurücknehmen. Mit Aktientipps von Renate Künast sollte also jeder so vorsichtig umgehen wie mit ihren Prognosen für den Lebensmittelmarkt.

* Offenlegung: der Autor des Textes ist Vegetarier, kann allerdings von sich abstrahieren.

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