Nach der Demission Patrick Graichens und der Anhörung von Staatssekretär Udo Philipp scheint die Affäre um grüne Lobbies im Wirtschaftsministerium beigelegt. Doch der ehemalige Bundestagsabgeordnete Mario Mieruch, der zu den Erstaufdeckern der Agora-Affäre zählte, sieht im Gegenteil, dass die Tragweite des Netzwerkes noch gar nicht richtig zur Sprache gekommen sei.
„Um es deutlich herauszustellen: Unter Beteiligung von Union, SPD, FDP und Grünen hat man eine Art institutionalisierten Insiderhandel geschaffen, an welchem parteiübergreifend verdient wird“, sagte Mieruch gegenüber TE. Es wäre „unglaublich naiv“ anzunehmen, dass bei einem „Multi-Billionen-Euro-Markt“ die jeweiligen Parteispitzen nichts davon wüssten, wo sich ihre Abgeordneten engagierten.
Mieruch, der bis 2021 als fraktionsloser Abgeordneter im deutschen Parlament saß, verwies zudem darauf, dass in der Politik nicht die Vordenker und Treiber der ersten Reihe säßen. „In den Ministerien mag zwar der jeweilige Minister formal der Chef sein, das operative Geschäft leiten die Staatssekretäre und die nachgeordneten Strukturen.“
Um zu verstehen, was die Agora ausmache, müsse man ihre Entwicklung seit ihrer Entstehung analysieren. „Man muss sogar schon früher hinterfragen, welche Deals schon zu Zeiten von Merkel und Töpfer als Umweltminister abgeschlossen wurden und warum später Gabriel in einer GroKo den Grünen Baake zum Staatssekretär machte. Die Vergabe des ‚Bürgerdialog Stromnetz‘ ist dabei ein weiterer, bisher überhaupt nicht öffentlich wahrgenommener Skandal, millionenschwer, letzte Legislatur von Altmaier noch fortgeführt.“
Der Bürgerdialog Stromnetz war ein vom Bundesministerium für Wirtschaft vergebener Dienstleistungsauftrag, der an ein Dreierkonsortium vergeben wurde, zu dem unter anderem die Deutsche Umwelthilfe gehörte. Damit profitierte eine grüne NGO von einem millionenschweren Rahmenvertrag, den sie 2014 ergatterte. In dieser Zeit war ausgerechnet Rainer Baake, ehemaliger Co-Geschäftsführer der DUH und Agora-Gründer, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Die genaue Höhe der Geldmittel, die an die DUH geflossen sind, ist Verschlusssache.
Es zeige sich daher immer nur in kleinen Auszügen, welche „Monströsität hier unsere demokratischen und parlamentarischen Prinzipien unterlaufen hat“. Dazu gehörte auch die Finanzierung des Verkehrsclub Deutschland (VCD) durch ihren Gründer Jochen Flasbarth, der von 2013 bis 2012 Staatssekretär im Bundesumweltministerium war. Daher ende die Affäre nicht im BMWK, sondern ziehe sich „durch BMU, BMZ, UBA und vielen anderen deutschen Institutionen – freilich angetrieben durch einen GreenDeal, forciert durch eine Ursula von der Leyen, deren persönliche Integrität und Glaubwürdigkeit einen nicht mehr messbaren Tiefpunkt abbildet“.
Mieruch warnte zudem davor, zu viel von der Union zu erwarten. Es sei „Vorsicht geboten, wenn Vertreter der Union als ‚Opposition‘ sich nun lautstark als Aufklärer gerieren, während man das Spiel jahrelang und immer noch mitgestaltet.“ Die Show diene nur dazu, wieder in die Ministerien zu kommen.
Zugleich rügte er die Rolle der Medien. Das „Versagen des ÖRR“ sei erneut „frappierend“. Nicht genug, dass man nicht zu investigativen Recherchen fähig wäre; stattdessen würden die „Auswüchse des korrupten Selbstbedienungsladens“ auch noch verteidigt und „schnell wieder unter den Teppich geschoben“. „Die Parallelen zu den eigenen Strukturen sind nicht nur zu deutlich, man kennt sich offensichtlich, man deckt sich“, so Mieruch.