Sieben Staatssekretäre der Ampel-Regierung sind oder waren Mitglied beim „Rat der Agora“ – darunter fünf beamtete und zwei parlamentarische Staatssekretäre. Der „Rat der Agora“ darf nicht mit einem Stiftungsrat verwechselt werden. Er definiert sich selbst als Debattenforum, dem die Spitzen aus Politik, Wirtschaft und der „Zivilgesellschaft“ angehören sollen.
Allerdings handelt es sich um ein Debattenforum, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Das ist paradox: Die Agora war als Marktplatz zentraler Treffpunkt der griechischen Polis und das Forum als römisches Pendant ein Ort der Volksversammlung. Der Rat der Agora ist das komplette Gegenteil. Dort wird nach den Richtlinien der Chatham House Rule diskutiert, heißt: Was in die Agora reingeht, kommt nicht aus der Agora heraus.
Diese klimapolitische Variante des „Fight Club“ ist aber deswegen brisant, weil dort Entscheider aus politischen Kontexten zu Netzwerkern einer Klima-Lobby werden, die ihre eigenen Ziele vorantreibt. Es gibt keine Transparenz und keine Korrekturmechanismen. Stattdessen kann die Agora-Lobby auf dieses Netzwerk zurückgreifen und nicht nur ihre Projekte an den Ideen von Spitzenvertretern ausrichten – sondern umgekehrt ihre Programme schmackhaft machen und Regierungsstellen beeinflussen.
Die Agora stellt sich auf den Standpunkt, dass sie nur die Energiewende begleitet, lediglich Studien zur Verfügung stellt und lösungsorientiert arbeitet. Stattdessen muss man konstatieren: Sowohl der Rückbau des Gasnetzes wie auch die Wärmewende sind Agora-Ideen, die es über ihren ehemaligen Direktor Patrick Graichen ins Bundeswirtschaftsministerium geschafft haben. Dass dies vorher nicht geschehen sein soll, ist fraglich – angesichts der Tatsache, dass Agora-Gründer Rainer Baake von 2014 bis 2018 ebenfalls Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium war. Danach war mit Andreas Feicht ein weiteres Mitglied des Agora-Rates Staatssekretär im selben Ministerium.
Das sind pikante Zufälle. Und deswegen hat dieser Rat Sprengkraft. Wie kann bei einer solchen Einflussnahme gewährleistet sein, dass parlamentarische und rechtsstaatliche Mechanismen nicht unterlaufen werden?
Es gibt dabei nicht nur eine Agora. Zwar ist die Agora Energiewende die älteste und wichtigste Gründung, doch ist sie nicht die einzige. Neben der Agora Energiewende existieren auch weitere Schwesterprojekte: die Agora Verkehrswende, Agora Agrar und Agora Industrie. Fördergelder, die von der Mercator Stiftung an die Agora geflossen sind, lassen erahnen, dass mit Agora Digitale Transformation schon der nächste Teilbereich abgedeckt werden soll.
Hinter den Agora-Schwestern steht die Smart Energy for Europe Platform (SEFEP) gGmbH. Es handelt sich dabei um eine „gemeinnützige Gesellschaft“. Die Impressum-Adressen aller Agora-Plattformen verweisen stets auf die SEFEP. Traditionell sind die Geschäftsführer der SEFEP und die Geschäftsführer der Agora Energiewende identisch. So war Agora-Gründer Rainer Baake auch Geschäftsführer der SEFEP, und Patrick Graichen füllte diese Position bis zu seiner Berufung zum Staatssekretär im Dezember 2021 aus. Heute fungiert die Doppelspitze aus Markus Steigenberger und Frauke Thies – beide Geschäftsführer der Agora Energiewende – als Vertretung der gGmbH.
Im Rat der Agora Energiewende und im Rat der Agora Verkehrswende saßen immer wieder Staatssekretäre der Bundesregierung. Am bekanntesten davon ist Jochen Flasbarth, der von 2013 bis 2021 Staatssekretär im Bundesumweltministerium war. Zuvor war er Präsident des Umweltbundesamtes. Flasbarth hatte zudem in weiteren NGOs Einfluss: Er war Mitbegründer des Verkehrsclub Deutschland (VCD), der im Kampf gegen den motorisierten Individualverkehr mit der Deutschen Umwelthilfe zusammenarbeitet (welcher wiederum Baake als Co-Geschäftsführer vorstand). Er war Präsident des Naturschutzbundes (NABU) 1994 bis 2003. Brisant: Auch er gehörte dem Aufsichtsrat der Deutschen Energie-Agentur (dena) an.
Aktuell ist Flasbarth nicht mehr im Bundesumweltministerium ansässig, sondern wechselte mit Svenja Schulze ins Entwicklungsministerium. Dafür sind zahlreiche Agora-Ratsmitglieder nachgerückt. Zwei heutige Parlamentarische Staatssekretäre, Michael Theurer und Johann Saathoff, sind heute nicht mehr Teil des Agora-Rates, waren es aber über Jahre hinweg. Saathoff, derzeit im Bundesinnenministerium von Nancy Faeser untergebracht, galt als Bürgermeister des ostfriesischen Krummhörn als kräftiger Unterstützer des Windkraftausbaus. Dass Saathoff dabei selbst häufig Funktionen in ostfriesischen Energieunternehmen bekleidete, gibt bereits Anlass zur Frage, ob die Agora-Clique nicht durchaus andere Interessen haben könnte als das „Gemeinwohl“.
Ein interessanter Fall ist auch Stefan Tidow, seit Beginn der Ampel-Regierung Staatssekretär im Bundesumweltministerium, und nach Jochen Flasbarth, Matthias Machnig und Rainer Baake damit das vierte Agora-Mitglied infolge – seit 1998 ist das BMU damit immer mit einem Agora-Staatssekretär versehen. Tidow ist aber nicht nur Agora-Ratsmitglied. Tidow war im Jahr 2016 Projektleiter bei der Agora im Bereich Industriepolitik.
Offensichtlich ist auch eine Doppelspitze im Bundeswirtschaftsministerium und im Bundesumweltministerium: Jeweils zwei Agora-Leute sind dort positioniert. Christiane Rohleder, Staatssekretärin wie Tidow im Umweltministerium, ist zwar erst seit Ende 2021 im Agora-Rat. Sie war jedoch persönliche Referentin von Ulrich Kelber im Justizministerium. Kelber war selbst im Rat der Agora ab 2012 und damit von Anfang an dabei. Wie Rohleder ist im letzten Jahr die Staatssekretärin Susanne Henckel aus dem Bundesverkehrsministerium neu hinzugekommen. Sie war früher Hauptgeschäftsführerin des Bundesverband Schienennahverkehr und Geschäftsführerin des Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg.
Sven Giegold hat einen besonderen Platz ergattert: nicht nur als Staatssekretär, sondern auch im EU-Rat der Agora, einem Gremium, das an die Agora Energiewende gekoppelt ist. Der Wegfall Patrick Graichens aus dem Bundeswirtschaftsministerium ist dabei nicht das erste Mal, dass ein Agora-Mitglied wegfällt. Denn bis zu seinem Wechsel ins Umweltministerium in Nordrhein-Westfalen war das langjährige Agora-Mitglied Oliver Krischer als Parlamentarischer Staatssekretär ebenfalls dort tätig. Und nicht zu vergessen: Mit Michael Kellner verbleibt dort ein zweiter Parlamentarischer Staatssekretär, der zwar kein Mitglied des Rates, aber immerhin Schwager von Patrick Graichen ist.