Die AfD wird vom Bundesamt für Bundesverfassungsschutz (BfV) bundesweit als „Prüffall” für eine mögliche Beobachtung eingestuft. Das bestätigte die Behörde nach Medienberichten. Eine solche Prüfung gibt es bereits bei Gliederungen der Partei, der Nachwuchsorganisation „Jungen Alternative“ und der Anhängerschaft um den Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke. Zwar ist eine Entscheidung über die Beobachtung damit noch nicht getroffen, aber ein erster Schritt genommen.
Zum „Prüffall” erklären die Verfassungsschützer Organisationen, die nicht eindeutig extremistisch sind, bei denen aber es aber Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen geben soll. Politiker von Grünen, FDP und SPD fordern schon länger eine Beobachtung auf verfassungsfeindliche Bestrebungen.
Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) will bereits seit November 2018 prüfen lassen, inwieweit die AfD mit Rechtsradikalen zusammenarbeitet. „Die Hetzjagd von Chemnitz markiert einen Wendepunkt“, sagte Oppermann.
Tatsächlich spielen die Vorgänge in Chemnitz eine wichtige Rolle dabei. Der Vorwurf der „Hetzjagd“, wie er auch von der Bundeskanzlerin erhoben wurde, kam nach dem berühmten „Hase-Video“ auf: In 19 Sekunden wird gezeigt, wie Teilnehmer eines Protestzuges gegen die Ermordung eines Einheimischen durch Asylbewerber angeblich Ausländer verfolgt haben. Nachdem der damalige Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen das Video öffentlich für fragwürdig eingestuft und vor linker „Desinformation“ gewarnt hatte, musste er zurücktreten. Damit war der Weg frei für eine härtere Gangart, die sein politisch eher gefügiger Nachfolger Thomas Haldenwang jetzt einleitet. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass das Video, auf das sich die Debatte stützt, in einem anderen Kontext zu sehen ist: Es kam zu Provokationen der bis dahin friedlichen Demonstranten durch Asylbewerber. Kathrin B., die das video aufgenommen hat, bestätigte TE per eidesstattlicher Erklärung: »Sie waren aggressiv auf uns zugekommen und hatten uns angepöbelt und wohl auch, aber eben schwer verständlich, ‚Verpisst euch‘ gerufen. So haben wir das in Erinnerung …«
»Dann kam es zu einem körperlichen Kontakt mit den beiden, wobei einem unserer Freunde der Inhalt eines Bierbechers über seine Kleidung und wohl auch ins Gesicht geschüttet wurde.« Weil Kathrin B. erschrocken »jetzt kracht’s aber« gedacht hatte, sei die Handy-Kamera angeschaltet worden.
Kathrin B. befürchtete, dass auch Thomas B. in Richtung der aggressiv auftretenden Migranten losstarten würde und rief ihm auf dem Video deutlich vernehmbar zu: »Hase, Du bleibst hier!«
Aber nicht mehr Fakten, sondern Meinungen über Fakten bestimmen Politik.
Dass das BfV jetzt den „Prüffall“ einläutet, setzt eine weitere Eskalation in Gang. Denn nun müssen Beamte prüfen, ob sie Hinweise für verfassungsfeidnliches Verhalten und Ideologie in der AfD finden. Die nächste Stufe ist dann die „Beobachtung“, auch mit Hilfe von Telefonüberwachung und eingeschleusten Agenten. Findet sich genügend Material, kann beim Bundesverfassungsgericht das Verbot beantragt werden.
Bis dahin ist noch ein weiter Weg. Aber entscheidend ist, dass damit ein politischer Prozess in Gang gesetzt wurde. Denn selbstverständlich wird sich schon was finden lassen, das verfassungsfeindlich zu interpretieren ist – sonst müssten ja der Präsident und seine Mitarbeiter einen Rückzieher machen, den „Prüffall” wieder aufgeben. Die Schlagzeilen dazu und die Angriffe der Politik auf das nach dem Abgang von Maßen ohnehin waidwund geschossene Amt kann man sich vorstellen: Nach dem Fall von Maaßen geht dort die Angst um, ähnlich öffentlich hingerichtet zu werden. Die Ermittler ermitteln durchaus in eigener Sache und zur eigenen Existenzsicherung. Die AfD wiederum kämpft um den Ausschluss von offen rechtsradikalen Mitgliedern. Parteiausschlussverfahren sind aber sehr schwer durchzuführen – und so ist jeder Rechtsradikale in der AfD ein Beitrag zur ihrer Existenzgefährdung, der gerne genommen wird. Jeder Spruch, jede Bemerkung, jedes Schriftstück mit fragwürdigem Inhalt zählt.
Auch das Timing ist raffiniert gewählt.
Der „Prüffall“ hält die AfD vor der Europa-Wahl in den Negativ-Schlagzeilen. Wie viele Wähler werden sich dadurch davon abhalten lassen, dort ihr Kreuz zu machen?
Nach der Europawahl folgen wichtige Landtagswahlen in Ostdeutschland. Dort rangiert die AfD in den Umfragen in einer Spitzenposition und es muss alles getan werden, um zu verhindern, dass sie gar das Amt des Ministerpräsidenten in Sachsen beanspruchen könnte. Daher liegt es nahe, kurz vor den Wahlen den „Prüffall“ in „Beobachtung“ auszuweiten. Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Eva Högl zu der Entscheidung über den Prüffall: „Das ist ein erster Schritt, um verfassungsfeindlichen Tendenzen in der AfD ein Stoppschild zu setzen.“ Weitere werden also folgen.
Das bedeutet, dass Beamte, Richter und Soldaten die AfD verlassen müssen, weil für Staatsdiener das Treuegebot zur Verfassung gilt. Ihnen droht dann schlimmstenfalls die Entlassung aus dem Dienst. Alle anderen Mitglieder können sich auf eine Verschärfung der Stigmatisierung gefasst machen. Auf diese Art könnte die AfD zurückgedrängt werden, vielleicht sogar auf das Niveau der NPD, die nu deshalb nicht mehr verboten werden konnte, weil zu viele Agenten des BfV als getarnte Mitglieder offenkundig an der Herstellung der dann verbotswirksamen Situation mitgewirkt hatten.
Aber kann der Plan aufgehen? Immerhin zählten bei der letzten Bundestagswahl 13,6% der abgegebenen Stimmen für die AfD. Sicherlich sind davon nur ein geringer Prozentsatz „Rechtsradikale“; die AfD greift ja weit in das Wählerreservoir der CDU ein und zieht viele Stimmen früherer SPD-Anhänger auf sich.
Davon werden sich durch die Aktion viele abschrecken lassen – aber der harte Kern der AfD-Anhänger wird eher zusammengeschweißt. Die Partei kann sich dann als Märtyrer inszenieren. Wer dann noch dabei bleibt, für den ist die weitere Radikalisierung geradezu programmiert. Statt das Land zu einen, wird also weiter der Keil hineingetrieben. Schon heute müssen AfD-Protagonisten damit rechnen, dass sie ihre Jobs verlieren, ihre Kinder in Kitas abgewiesen oder in der Schule gemobbt werden – mit freundlicher Unterstützung der Schulleitungen. Fußballstadien sollen ihnen verwehrt, Hotels für Parteitage verweigert, die Teilnahme an Veranstaltungen geheimdienstlich kontrolliert werden. Weiterhin dürfen sie allerdings GEZ-Gebühren zahlen auch für jene Sendungen, in denen der Verfall der demokratischen Kultur in Polen und Ungarn oder die totale Überwachung wie in China gegeißelt werden. Aber das ist natürlich etwas ganz anderes.