TE: Herr Meuthen, die online-Ausgabe der Tagesschau stellte am Freitag zum AfD-Streit um den sogenannten Flügel die Frage: „Liegt Spaltung in der Luft?“ Liegt sie?
Meuthen: Davon ist mir nichts bekannt. Es geschehen einige Bereinigungen, die für die Partei wichtig und überfällig sind. Nehmen Sie exemplarisch die Parteiausschlüsse von Wolfgang Gedeon und Stefan Räpple im März.
TE: Sie haben in der FAZ angekündigt, die „institutionellen Strukturen“ des Flügels zu „zerschlagen“. Ein Sprecher der Gruppe erklärte daraufhin, solche Worte können „als Aufforderung zu einem internen Streit verstanden werden, der die Partei spalten könnte“.
Meuthen: Hier hat der verantwortliche Redakteur der FAZ mich, was völlig unüblich ist, aus einem kurzen Telefonat so zitiert. Es ist allgemein üblich, dass wörtliche Zitate seitens des Zitatgebers zuvor freigegeben werden. Das ist hier nicht geschehen. Ich hätte das auch niemals so autorisiert. Wer mich etwas kennt, weiß, dass das eigentlich nicht meine Sprache ist.
TE: Niedersachsens Verfassungsschutzchef Bernhard Witthaut hält die Auflösung des Flügels für „reine Augenwischerei“. Es sei davon auszugehen, dass sowohl die ideologischen Einstellungen als auch die Strukturen des Flügels bestehen bleiben.
Meuthen: Der Verfassungsschutz schützt seit der Ablösung von Herrn Maaßen und seiner Ersetzung durch Herrn Haldenwang leider nicht mehr primär die Verfassung vor ihren Feinden, sondern die Regierung vor ihren Kritikern. Insofern werden offizielle Statements aus diesem Bundesamt künftig wohl immer so klingen, unabhängig davon, was wir tun.
TE: Dann lassen Sie uns die Behauptung als Frage stellen: Werden die ideologischen Einstellungen und die Strukturen des Flügels bestehen bleiben?
TE: Und was passiert, wenn nichts passiert?
Meuthen: Es passiert bereits.
TE: Das führt uns zurück zur Eingangsfrage: Droht der AfD eine Spaltung? Denn auch wenn Sie die Strukturen des Flügels auflösen – die Einstellungen können Sie nicht abschaffen.
Meuthen: Richtig, das sagte ich ja bereits. Ich muss hier vielleicht ein wenig ausholen, denn das ist ein wichtiger Punkt. Den Menschen ändern und nach eigenen politischen Vorstellungen formen zu wollen, ist ein zutiefst sozialistischer Ansatz, der noch nie irgendwo funktioniert hat, der der Freiheitlichkeit des Individuums zuwiderläuft, und den ich aus tiefstem Inneren ablehne, ja als freiheitlich geprägter Mensch sogar verachte. Das geht nicht, und das ist gut so. In einer Partei schließen sich aber nun üblicherweise Menschen zusammen, die jedenfalls in Grundsatzfragen sehr ähnliche Einstellungen haben. Sonst verlöre der Zusammenschluss auch seinen Sinn. Freiheitlichkeit und Sozialismus etwa schließen sich aus. Sie unter dem Dach einer Partei zu vereinen, kann nicht funktionieren. Natürlich würde ich es begrüßen, wenn Menschen sich aus freien Stücken zu unseren Positionen durchringen würden. Aber das lässt sich nicht erzwingen. Wohin es führt, unvereinbare Positionen in einer Partei zu haben, kann man sich exemplarisch bei der CDU anschauen. Das ehedem als Minimalkonsens einende C ist im Laufe der Jahrzehnte leider völlig verschwunden. Geblieben ist eine Partei der kompletten Beliebigkeit, die für alles und jedes steht, und zugleich auch noch für das Gegenteil. Das kann, darf und wird der Weg der AfD nicht sein.
TE: Nun ist aber doch schon oft kommentiert worden, dass die AfD eigentlich aus zwei Parteien besteht: einer freiheitlich-konservativ-marktwirtschaftlichen auf der einen Seite, einer völkisch-etatistisch-kollektivistischen auf der anderen. Bei Themen wie Euro oder Asyl gehen beide Teile ja vielleicht zusammen, aber spätestens bei der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik liegen die Differenzen offen zutage. Wird sich also Ihre Partei nicht zwangsläufig in Flügelkämpfen zerfleischen, wenn es nach der Coronakrise um Maßnahmen zur Überwindung der sich abzeichnenden schweren Wirtschaftskrise geht?
Meuthen: Die Vertreter des bisherigen Flügels und die breite Mehrheit der Partei haben hier sicher zu Teilen stark divergierende Vorstellungen. Das völlig in Abrede zu stellen wäre Augenwischerei.
TE: Aber wenn eine Partei praktisch aus zweien besteht, kann es sein, dass sich beide gegenseitig daran hindern, ihre eigentlichen Wähler vollständig zu mobilisieren?
Meuthen: Das kann nicht nur sein, das ist in nüchterner und unemotionaler Betrachtung bereits heute so. Jeder weiß, dass der Flügel und dessen maßgebliche Exponenten uns ganz massiv Wählerstimmen im bürgerlichen Lager kosten, und ich denke auch, dass die ordoliberalen Ansichten des bürgerlich-konservativen Teils der AfD noch bessere Ergebnisse im staatpaternalistisch geprägten Wählermilieu des Flügels verhindern. Hätten wir diese – ich betone – wechselseitige Hemmung nicht, würden wir uns angesichts des unübersehbaren Niedergangs der ehemaligen Volksparteien längst auf einem Niveau bewegen, wie es etwa die Lega von Matteo Salvini und die Fratelli d´Italia in Italien spielen. Davon bleiben wir aber durch permanente interne Kämpfe und die Abschreckung weiterer Wählerschichten leider immer noch weit entfernt. Das ist nicht nur schade, das ist angesichts der Lage unseres Landes fatal.
TE: Das heißt, durch eine Trennung könnte die Opposition von rechts insgesamt gestärkt werden?
Meuthen: Wenn man das kühl analytisch durchrechnet, ja natürlich. An eine AfD ohne Flügel würde die Union scharenweise sich als konservativ verstehende Wähler verlieren, und für die beliebige und mutlose FDP, die sich ja nur noch mit der verschreckten AfD-Klientel über Wasser halten kann, wäre das wohl unmittelbar existenzbedrohend. Auf der anderen Seite würde ein in seinem sogenannten Sozialpatriotismus nicht mehr durch Freiheitiche wie mich eingeschränkter Flügel der Linkspartei im Osten vermutlich auch noch weitere Wähler abnehmen. Mit einem selbständigen Flügel könnte Björn Höcke Bodo Ramelow womöglich noch weit mehr in Bedrängnis bringen.
TE: Der Ihrer Partei nahestehende Publizist Jürgen Elsässer hat nach den Europawahlen vorgeschlagen…
Meuthen: Herr Elsässer steht dem Flügel sehr nahe.
TE: … die AfD möge zwei voneinander unabhängige „Schwesterparteien“ bilden, um sich auf die unterschiedliche Mentalität westlich und östlich der Elbe einzustellen. Die West-AfD könnte sich dann, unbeeinflusst vom Osten, hinter einem gemäßigten Vorsitzenden wie Ihnen versammeln, bei der Ost-AfD würde Höcke die Gesamtführung übernehmen.
Meuthen: Ein interessanter Gedanke, aber Herr Elsässer verkennt dabei, dass die durchaus vorhandenen Ost-West-Unterschiede nicht identisch mit den Differenzen zwischen der Gesamtpartei und dem Flügel sind. Sein Modell ist insoweit schief. Es gibt doch in gar nicht so geringer Zahl im Osten bürgerlich-konservative Mitglieder und im Westen „Flügler“. Unterschiede sehe ich nicht so sehr zwischen Ost und West, sondern sie sind vor allem programmatischer Natur .
TE: Was also spräche dagegen? Nicht nur in Italien, sondern auch in anderen Ländern wie zum Beispiel in den Niederlanden und Belgien gibt es ja auch zwei rechte Parteien, eine gemäßigte und eine radikalere.
TE: Tatsächlich?
Ich jedenfalls hege gegen niemand einen Groll, es geht mir tatsächlich allein um den Erfolg unseres politischen Projekts, den ich derzeit massiv gefährdet sehe. Aus einer Zwangsgemeinschaft der permanenten programmatischen Zerrissenheit werden zwangsläufig mittelfristig viele fliehen, weil sie sich davon mit ihren politischen Überzeugungen nicht angemessen repräsentiert fühlen, und andere werden an ihrer Stelle hinzukommen, denen all das vollkommen egal ist, weil andere, rein persönliche Ziele sie leiten. Das kann es nicht sein, und so wird es auch keinen Bestand haben.
TE: Besonders Gauland und Höcke mahnen doch aber, dass nur die Einheit den Untergang der Partei abwenden könne. Widersprechen Sie beiden hier nicht offen?
Meuthen: Ich halte diese Sichtweise für zu eng und rate aus strategischen Gründen zu einem offenen parteiinternen Dialog darüber, ob diese quasi als permanentes Mantra verbreitete Hypothese richtig ist. Ich bin seit 2015 einer dieser Sprecher dieser Partei und setze meine komplette Arbeitskraft für deren Zukunft ein. Es ist meine Aufgabe, auch solche strategischen Dialoge anzustoßen. Die nehme ich gern und mit ungebrochener Freude an der Arbeit und der Verantwortung wahr.