Die welken Blätter liegen auf den Gehwegen Berlins. Ein romantischer Anblick. Aber auch ein Ausdruck eines immer schlechter funktionierenden Staates – denn eigentlich sollte die Stadt die Blätter entsorgen, doch die ist schon mit dem Entsorgen des zunehmenden Sperrmülls vollauf beschäftigt. Und so wie die Gehwege in der Hauptstadt ist auch die dort sitzende Bundesregierung ein Anblick des romantischen Verfalls.
Keine drei Jahre dauert nun die Ehe zwischen SPD, FDP und Grünen. Doch die Ampel ist schon so zerstritten wie ein Paar, das seit über 30 Jahren verheiratet ist. An der Wirtschaftspolitik zeigt sich das besonders deutlich. Für diesen Dienstag hat Olaf Scholz (SPD) zum Wirtschaftsgipfel eingeladen. Doch auf einem solchen Gipfel ist es einsam, vor allem weil der Kanzler nur die Vertreter der Hochindustrie empfangen will. Deswegen veranstaltet sein Finanzminister Christian Lindner (FDP) am gleichen Tag einen alternativen Gipfel, zu dem auch der Mittelstand willkommen ist. Nachdem diese beiden Termine bekannt wurden, hat Wirtschaftsminister“ Robert Habeck (Grüne) nicht zum Gipfel, sondern zu einer Pressekonferenz eingeladen – auf der er sein eigenes, bis zu 500 Milliarden Euro schweres Konzept vorgestellt hat. Die Ampel ist wie ein Ehepaar, das in getrennten Autos zu einer Party kommt.
Das Vorgehen der drei Koalitionspartner ist bezeichnend und typisch. Nicht nur, weil sie aneinander vorbei und gegeneinander arbeiten. Sondern auch wegen der Inhalte: Olaf Scholz konzentriert sich ausschließlich auf die großen Konzerne und ignoriert den Mittelstand, der die Wirbelsäule des deutschen Wohlstands bildet. Wie immer scheitert der Kanzler zuerst und setzt dann auf Mehr von dem, was nicht funktioniert hat. Mit milliardenschweren Subventionen hat der Bund Investitionen, etwa in Chips-Fabriken angelockt. Diese Leuchttürme sollten den düsteren Niedergang der deutschen Wirtschaft überstrahlen. Doch die Gerüste sind noch während der Bauzeit zusammengebrochen. Nicht einmal für Milliarden Euro an Subventionen wollen die Unternehmen in Deutschland investieren – so sind die Großprojekte in Magdeburg und bei Saarlouis gescheitert.
Robert Habeck will das Geld mit der Gießkanne verteilen. Bis zu 500 Milliarden Euro an Subventionen rauswerfen, zehn Prozent auf jeden in Deutschland investierten Euro. Genauso viel Geld wie ein ganzer Jahresetat des Bundes mit all den Kosten für Armee, Soziales und Investitionen. Und wenn das Geld alle ist, will der „Wirtschaftsminister“ mal schauen, was „wir“ daraus gelernt haben. Lindner wiederum hat die richtigen Ideen, genügt sich aber selbst in Symbolpolitik und trägt am Ende alles mit, was SPD und Grünen aus ideologischen Gründen wollen.
SPD und Grüne wollen, dass der Bund die Kosten für die Entgelte des Stromnetzes übernimmt oder zumindest bezuschusst. Scholz möchte, dass Pflegerinnen, Müllmänner und Verkäuferinnen mit ihren Steuern die hohen Stromkosten von Konzernen der Schwerindustrie bezahlen – ungeachtet dessen, dass die Arbeitnehmer selbst kaum noch ihre eigenen, hohen Stromkosten finanzieren können. Habeck schlägt vor, dass der Bund die direkten Steuern auf Strom sowie die Mehrwertsteuer auf Strom senkt. Wenn sich die Koalitionspartner noch einigen, wird das Paket aus diesen Komponenten bestehen. Als Schleife schmückt dann noch eine FDP-Forderung nach Bürokratie-Abbau dieses Paket. Doch die wird so allgemein formuliert sein, das sie belanglos wie die FDP bleibt.
Doch das Wenn in „Wenn sich die Koalitionspartner noch einigen…“ gehört nicht nur am Satzanfang groß geschrieben. Denn dieses Wenn ist mittlerweile als Mauer undurchlässiger als die „Brandmauer“ gegen die AfD. Dass Scholz, Habeck und Lindner drei eigene Veranstaltungen zur Wirtschaftspolitik inszenieren, zeigt, dass sie längst im Wahlkampf sind. Auch, dass sie mehr gegen als mit ihren Partnern arbeiten. Der Kanzler wirft seinen Ministern vor, sie würden nur ein Schauspiel betreiben. Und er? Mit seinem Gipfel? Seine Berater möchten Scholz im Wahlkampf als den Seriösen inszenieren, der für ehrliche und sachorientierte Politik steht. Eine sportliche Aufgabe.
Wer täglich einen oder zwei Beiträge darüber schreiben muss, was in der Ampel alles nicht funktioniert, der hat ein Problem. Nicht mit der Suche. Sondern mit der Auswahl: die steigenden Beiträge für Pflege- und Krankenkasse, die dysfunktionale Bürokratie, die nicht verteidigungsfähige Armee, der von ausländischen Diensten abhängige Geheimdienst, das mangelhafte Netz an Straßen, Brücken oder Breitband-Empfang – ja nicht einmal ihr Lieblingsprojekt, die „Verkehrswende“ missglückt der Ampel. Die Züge fahren unpünktlich, die Kosten für die Tickets steigen überdurchschnittlich und der Ausbau des Schienennetzes läuft im Schneckentempo.
Drei Jahre hatte die Ampel bisher Zeit gehabt. Es gab Symbolpolitik wie das „Neun-Euro-Ticket“, die positive Presse brachten, aber die Probleme letztlich verschlimmert haben. Und vor allem häuften sich katastrophale Fehlentscheidungen: der Atomausstieg, die Erhöhung des Bürgergelds um 25 Prozent innerhalb eines Jahres und das Streichen von Sanktionen gegen Arbeitsunwillige, die Kriminalisierung gesetzestreuer Bürger, Angriffe auf die Meinungsfreiheit, die Weigerung, den Grenzschutz ernst zu nehmen und wenigstens die abzuschieben, die abschiebepflichtig sind oder tatsächliche Steuererhöhungen, etwa bei der Mehrwertsteuer und versteckte Steuererhöhungen wie bei der LKW-Maut oder der „CO2-Bepreisung“.
Die Ampel kam zusammen, weil sich das Land mit seiner Langzeitbeziehung Angela Merkel (CDU) auseinander gelebt hatte. Doch die Flitterwochen waren nur kurz. Euphorie kam fast nie auf. Eigentlich nur mit der Einführung des Neun-Euro-Tickets. Die Scheidung steht bevor. Entweder gehen SPD, FDP und Grüne freiwillig auseinander – oder der Wähler trennt sie. Derzeit stehen alle drei Parteien in Umfragen zusammen bei rund 30 Prozent, die FDP mit einem Bein in der außerparlamentarischen Opposition. Eine möglichst schnelle Scheidung wäre wohltuend – zumindest für die Kinder.