Tichys Einblick
"Frechheit der Kartellfraktionen"

Der Ältestenrat legt die Demokratie lahm

Im Ältestenrat, wo die Tagesordnung des Bundestages festgelegt wird, regiert die Kenia-Koalition bereits. Dort räumt eine SPD-Abgeordnete einfach die nächste Sitzungswoche ab. Um der AfD zu schaden, sind die „demokratischen Parteien“ bereit, die Demokratie zu blockieren.

picture alliance / dpa | Wolfgang Kumm

Bereits Anfang der Woche war die Tagesordnung des Bundestags zusammengeschrumpft: Sie beschränkte sich nur auf einen einzigen Tag, nämlich den Mittwoch. Am 14. November war eine Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz geplant. Eine weitere Erweiterung oder Veränderung der Tagesordnung trat nicht ein.

Seit gestern ist klar: Nachdem bereits diese Woche mit einem parlamentarischen Nullum endet, wird jetzt sogar die komplette nächste Sitzungsrunde gestrichen. Der Bundestag geht in den Streik.

Zur Einordnung: In einer Sitzungswoche tagt das Plenum üblicherweise von Mittwoch bis Freitag, wobei der Mittwoch eher im Zeichen der Befragung der Bundesregierung steht und Anträge wie Debatten sich auf Donnerstag und Freitag konzentrieren. Von Montag bis Mittwoch tagen meistens die Ausschüsse. Damit sich Ausschüsse und Plenum nicht blockieren, etwa, weil Abgeordnete in beiden Gremien anwesend sein müssen, hat sich dieser Modus etabliert.

Das heißt, dass bereits diese Woche die Zeit für neue Gesetzesentwürfe abgewürgt wurde. Für nächste Woche wurde die Möglichkeit ganz gestrichen.

Die Tagesordnung liegt in den Händen des Ältestenrates. Dort existiert bereits das, was den Wähler ab dem 23. Februar erwartet: die Kenia-Koalition. Hatte Bärbel Bas schon letzte Woche de facto die Tagesordnung einkassiert, so übernahm am gestrigen Donnerstag Katja Mast (SPD) diese Rolle. Sie verkündete in der Runde, dass sich SPD, Grüne und CDU/CSU darauf geeinigt hätten, dass nächste Woche keine Sitzungswoche stattfinden würde.

Der Vorgang ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Denn Sitzungswochen werden bereits im Vorjahr festgelegt. Dass sie komplett ausfallen, ist äußerst selten. Zudem, so bemerkte das Ältestenrat-Mitglied Stephan Brandner (AfD) gegenüber TE, sei es vielsagend, dass niemand von Grünen oder CDU/CSU zu diesem Punkt gesprochen hätte. Nur Mast sprach im Namen aller drei Fraktionen.

Das Argument der SPD-Politikerin: Weil es keine Haushaltsberatungen gebe, brauche es auch keine Haushaltswoche und dementsprechend keine Sitzung. Brandner hielt dem entgegen, dass man nächste Woche dennoch eine normale Sitzungswoche veranstalten könne – Themen gäbe es ja genug.

Eine Antwort auf den Einwurf gab es nicht. Das Thema wurde vom Tisch gewischt. Danach sprach der Ältestenrat über vergleichsweise nebensächliche Themen. Insgesamt dauerte die Beratung gemäß Brandner etwa 45 Minuten.

Brandner nannte das Gebaren eine „Frechheit der Kartellfraktionen“, nur noch eine SPD-Vertreterin „spreche für alle“. Der Bundestag würde von einem Arbeitsparlament zu einem „Freizeitparlament“ degradiert, so der AfD-Abgeordnete. Dabei sei die Situation eigentlich eine Sternstunde des Bundestages: Die Union könnte nun durchsetzen, was sie wolle.

Bekanntlich will Friedrich Merz von dieser Option keinen Gebrauch machen. Im Gegenteil: Um der AfD nicht in die Hände zu spielen, möchten CDU/CSU keine Gesetzesanträge stellen, die eine Mehrheit über die AfD finden können. Ob Atomkraft, Migration, Heizgesetz, Selbstbestimmungsgesetz – die Palette möglicher Gesetzesänderungen ist lang.

Doch Merz ist längst in der Kenia-Clique angekommen. Die AfD verliert nicht nur die Möglichkeit, die Regierung mit Anträgen zu stellen – aufgrund der ausfallenden Sitzungszeiten kann sie sich auch medial weniger präsentieren. Darin sieht Brandner eine weitere Strategie.

Ironie der Geschichte: Die Gründungsväter und -mütter der Bundesrepublik wollten aus der Weimarer Erfahrung heraus ein möglichst funktionsfähiges Parlament und eine stabile Regierung. Die Kenia-Partner argumentieren nun mit Weimar gegen den parlamentarischen Betrieb: Es könnten über „Zufallsmehrheiten“ (Friedrich Merz) Ergebnisse zustande kommen, die allen Beteiligten nicht schmecken. „Zufallsmehrheiten“ – das ist „alternativlos“ auf Post-Merkel-Deutsch im Merz’schen Geiste.

Im Ergebnis ziehen es jedoch die „demokratischen Parteien“ vor, die Demokratie lahmzulegen und den parlamentarischen Betrieb zu boykottieren, um einer Oppositionspartei zu schaden. Dass Cliquen-Absprachen dabei Diskurs, Debatten und Anträge abgelöst haben, zeigt, dass die Ampel mit schwarzer Zwischenphase vor allem an der eigenen Macht interessiert ist. Wenn die Mehrheiten im Bundestag so zufällig sind – vielleicht wäre es besser, die Parteien bestimmten sie gleich selbst.

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