Eine von niemandem gewählte oder irgendwie legitimierte Professoren-Jury hat sich als Sprachpolizei etabliert. Jedes Jahr bestimmt sie ein „Unwort des Jahres“. Ist die Wahl dann gefallen, wird diese vom öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem im Stundentakt mit einer aufgesetzten Wichtigkeit verbreitet, als hätten Barack Obama, Wladimir Putin und der Papst einen Weg zur Beendigung der Flüchtlingskrise, des Hungers in der Welt und zum ewigen Frieden gefunden.
Die Spracherzieher haben sich für 2015 für „Gutmensch“ als besonders verabscheuungswürdige Vokabel entschieden. Ihre Begründung: „Als „Gutmenschen“ wurden 2015 insbesondere auch diejenigen beschimpft, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagieren oder die sich gegen Angriffe auf Flüchtlingsheime stellen. Mit dem Vorwurf „Gutmensch“, „Gutbürger“ oder „Gutmenschentum“ werden Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd, als Helfersyndrom oder moralischer Imperialismus diffamiert.“
Soll man lachen oder weinen? Wissen unsere „Big Brothers“ und „Big Sisters“ überhaupt, wovon sie reden und schreiben? „Gutmensch“ ist im politischen Sprachgebrauch das Synonym für all die politisch-korrekten Zeitgenossen, die der Meinung sind, mit genügend gutem Willen und dem Geld der „Reichen“ ließen sich alle Probleme der Welt ganz einfach beseitigen. Der Gutmensch steht für Toleranz (aber nur in Bezug auf linke Positionen), Partizipation, Emanzipation, kritischen Diskurs, Gegenöffentlichkeit, Pazifismus, Recht auf Widerstand und für die auch durch „koelnbhf“ kaum erschütterte Überzeugung, je mehr Zuwanderer kämen, umso rosiger sehe Deutschlands Zukunft aus: „Jeder Zuwanderer ist eine Bereicherung.“
Es gehört schon viel demagogisches Geschick dazu, diese grün-roten Menschheitsbeglücker mit jenen Ehrenamtlichen gleichzusetzen, die sich auf bewundernswerte Weise für bereits im Land befindliche Flüchtlinge einsetzen und ihnen nach Kräften helfen. Gerade „Sprachpolizisten“ sollten den Unterschied kennen zwischen dem politischen Kampfbegriff „Gutmensch“ und dem altmodischen Begriff des „guten Menschen“. Ganz nebenbei: Ein Freund von mir verurteilt die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung aufs Schärfste, engagiert sich aber sehr in der Flüchtlingshilfe. Weil er als überzeugter Christ denen helfen will, die nun einmal da sind. Ob die Damen und Herren der „Unwort“-Jury zu einer solchen Differenzierung nicht fähig sind?
Um das aktuelle Unwort samt der es kürenden Jury richtig einordnen zu können, muss man nur anschauen, was die Sprachpolizisten (gutmenschlich korrekt: SprachpolizistInnen) in den letzten Jahren so alles angeprangert haben: u. a. Sozialtourismus, Pleitegriechen, Putin-Versteher, Opfer-Abo, Alternativlos, Betriebsratsverseucht oder Notleidende Banken. Da ging es natürlich nicht etwa um eine falsche oder gefährliche Wortwahl. Es ging stets um eine bestimmte Politik, die der Jury nicht links genug ist. So einfach ist das – und so typisch gutmenschlich.
P.S. An dieser Stelle habe ich im August vergangenen Jahres einen Gutmenschen-Test veröffentlicht. Aus gegebenem Anlass wird er hier nochmals widergegeben:
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Bin ich auch wirklich ein Gutmensch?
Von Hugo Müller-Vogg
Teilt man die Welt in Schwarz und Weiß, ist das Bild klar: Es gibt gute und böse Menschen. Man kann auch von Gutmenschen und Reaktionären/Rechtsextremen sprechen. Für alle, die nicht wissen, in welche Kategorie sie gehören, hier der ultimative, keineswegs bierernst gemeinte Gutmenschen-Test.
Hier die Test-Statements:
♦ Meine Werte und Postulate: Toleranz, Partizipation, Emanzipation, kritischer Diskurs, Gegenöffentlichkeit, Recht auf Widerstand.
♦ Bin Konservativen intellektuell und moralisch überlegen.
♦ Habe sicheren Arbeitsplatz im staatlich-politisch-gewerkschaftlichen Komplex.
♦ Markt ist Vodoo-Economics.
♦ Bin überzeugter Pazifist.
♦ Hinter jedem Krieg stecken die USA. Irgendwie.
♦ Ohne deutsche Waffenexporte gäbe es keine Kriege. Garantiert.
♦ Deutsche raus aus jeder Gefahrenzone.
♦ Deutsches Wesen: Kriege der anderen moralisch zu be- und verurteilen.
♦ Äquidistanz zu Moskau und Washington. In dubio pro Russland.
♦ Stehe voll auf Öko, Veggieday, Tempo 100. Gegen Flugverbindungen auf Strecken, die ich nicht brauche.
♦ Trenne meinen Müll. Fahre notfalls meilenweit zum Bio-Bauern.
♦ Mehr soziale Gerechtigkeit durch höhere Steuern – beginnend oberhalb des eigenen Einkommens.
♦ Unterstütze jede Forderung anderer nach Gehaltserhöhung. Zu finanzieren von Dritten.
♦ Nur mit Quoten lässt sich die Welt verändern: Frauenquote, Migrantenquote, Bioquote.
♦ Jeder Zuwanderer ist eine Bereicherung. Ausnahmslos.
♦ Die Diskriminierung von Frauen in der katholischen Kirche ist schlimmer als die Diskriminierung von Frauen durch Muslime. Viel schlimmer.
♦ Der Papst hat recht: „Diese Wirtschaft tötet“. Seine Äußerungen zur Moral? „Mega out!“
♦ TTIP? Macht unsere Filmindustrie kaputt und hilft nur Großkonzernen.
♦ Die Unterscheidung von politisch Verfolgten, Schutzsuchenden nach der Genfer Konvention und Wirtschaftsflüchtlingen ist ausländerfeindliche Haarspalterei.
♦ Bin tendenziell für ein „Bleiberecht für alle“. Sage es aber nicht explizit und äußere mich auch nicht zu finanziellen und integrationspolitischen Folgen.
♦ Fürchte um die Entwicklung von Kleinkindern in der Obhut der eigenen Eltern. Ohne zertifizierte Erzieherinnen? Geht gar nicht!
♦ Jeder/Jede/Jedes, der/die/das gegen „Ehe für alle“ ist, ist homophob und tendenziell faschistoid.
♦ Wiedervereinigungsbefürworter vor 1989 waren gefährliche „kalte Krieger“.
♦ War zu DDR-Zeiten häufig in der Toskana, aber nie hinter der Mauer. Warum auch?
♦ In der DDR war „nicht alles schlecht“. Natürlich nicht.
♦ Die Unterscheidung zwischen Rechtsstaat und Unrechtsstaat diskreditiert die Lebensleistung der Ostdeutschen.
♦ Eine Partei im Bundestag, die so weit rechts von der Mitte steht wie Die Linke links davon, wäre eine Gefahr für die Demokratie.
♦ Antifaschismus: jeden, der anderer Meinung ist, als rechts, reaktionär oder rechtsextrem zu bezeichnen.
♦ „Kampf gegen rechts“ zielt auch auf die CDU/CSU. Was denn sonst?
♦ Beim „Kampf gegen rechts“ sind Linksradikale willkommene Bündnispartner.
♦ „Gutmensch“ ist eine rechtsextremistische Verleumdung. Dass der Begriff schon seit 1859 belegt ist, interessiert mich nicht.
Sollten Sie weniger als zwei Drittel der Statements zustimmen können, haben sie von den Gutmenschen in Medien und Politik nichts Gutes zu erwarten, bestenfalls Mitleid.
Aber trösten Sie sich: Sie gehören zur großen Mehrheit.
Erstveröffentlichung: „Tichys Einblick“ vom 20. August 2015.