Wetten!? Wetten, dass 90 Prozent aller mindestens 16 Jahre alten Passanten ungläubig schauen, mit den Achselzucken oder unwirsch weitergehen, wenn man sie spontan auf der Straße anspricht und fragt: „Sagt Ihnen der 13. August etwas?“ Nun, es gibt keine repräsentative Umfrage dazu. Aber die Wette steht!
In den Geschichtslehrplänen der Schulen ist das Datum bestenfalls eine Randbemerkung, in den Medien spielt es keine Rolle. Wie sollen sich die Menschen unterhalb des 75. Lebensjahres dann daran erinnern können. Nun ja, Bundespräsident Steinmeier eröffnet am 13. August mit handverlesenem Publikum eine vierteilige Diskussionsreihe zum Mauerfall 1989. In verschiedenen Berliner Bezirken wird der Mauertoten gedacht. Zum Beispiel am Ufer des Britzer Verbindungskanals an der Chris-Gueffroy-Allee. Hier starb am 5. Februar 1989 mit Chris Gueffroy das letzte Opfer des Schießbefehls. Das reißt es nicht raus. Denn die im „hic et nunc“ („hier und jetzt“) und im Klimawandeltaumel gefangene bundesdeutsche Karawane zieht schnell.
Was also war am 13. August 1961, davor und danach? Entreißen wir es wenigstens für einen kurzen Moment dem Vergessen.
Zwischen Mitte 1945 und Anfang August 1961 hatten dreieinhalb Millionen Deutsche die SBZ (Sowjetische Besatzungszone), die am 7. Oktober 1949 gegründete DDR bzw. den Ostsektor Berlins auf Nimmerwiedersehen verlassen. Allein in den Jahren zwischen 1953 und 1958 waren es annähernd oder weit über 200.000, 1954 etwa 331.390. Die meisten davon waren junge Leute unter 25, sehr viele mit höheren Bildungsabschlüssen. Ein gewaltiger Aderlass für die DDR – nicht nur demographisch, sondern auch wirtschaftlich!
Vorausgegangen war der zunächst erfolglose Versuch des SED-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbrichts vom März 1961, in Moskau die Zustimmung für eine Schließung der Grenze nach West-Berlin und der „BRD“ zu erhalten. Am 15. Juni verkündete Ulbricht denn auch im Rahmen einer Pressekonferenz: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ (Siehe Plakat).
Die Zustimmung zur Grenzschließung bekam Ulbricht dann Anfang August 1961 anlässlich eines Treffens der Generalsekretäre der kommunistischen Parteien der Warschauer-Pakt-Staaten. Am 7. August kündigte KPdSU-Generalsekretär Nikita Chruschtschow die Verstärkung der Roten Armee an den Westgrenzen an.
Der Westen, der aufgrund der umfangreichen logistischen Vorbereitung eigentlich alles hätte wissen müssen, reagierte hilflos. Der Senat von Berlin sprach ohnmächtig von einer „Sperrwand eines Konzentrationslagers“, der Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt (SPD), erwartete von den westlichen Alliierten politische Reaktionen auf den Mauerbau, insbesondere von den USA. Doch der Westen bleibt tatenlos: US-Präsident Kennedy ließ verlauten, die Alternative wäre Krieg gewesen. Auch Bundeskanzler Adenauer reagierte hilflos. Erst am 22. August raffte er sich zu einem Besuch West-Berlins auf. Er hatte wohl schon ein wenig die Bundestagswahlen vom 17. September 1961 im Kopf. Ein großer Fehler, wie die Wahl zeigte: Die CDU/CSU verlor die 1957 errungene absolute Mehrheit und kam auf 45,3 Prozent, die SPD mit Spitzenkandidat Willy Brandts legte 4,4 Prozent auf dann 36,2 Prozent zu.
Und das Ergebnis von gut 28 Jahren Mauer und Stacheldraht: Die Mauer in Berlin forderte zwischen 1961 und 1989 mindestens 140 Todesopfer. 101 wurden bei Fluchtversuchen erschossen, verunglückten oder nahmen sich das Leben. 31 wurden ohne Fluchtabsichten erschossen oder verunglückten an der Berliner Mauer. An der mehr als 1.400 Kilometer langen innerdeutschen Grenze kamen zwischen 1949 und 1989 327 Bürger zu Tode. Unbekannt ist und bleibt die Zahl derjenigen, die bei einem Fluchtversuch über die Ostsee oder an den Grenzen anderer Staaten des Ostblocks ums Leben kamen.
Aber der Drang in die Freiheit blieb ungebrochen, trotz der Todestreifen gelang zwischen 1961 und 1989 mehreren tausend Deutschen die Flucht: im Kofferraum eines Autos, mit Heißluftballon, mit einem Schlauchboot auf der Ostsee, durch die Kanalisation oder einen Tunnelbau. Die meisten Fluchtversuche scheiterten. Ab 1963 kaufte die Bundesregierung insgesamt über 31.000 politische Häftlinge aus den Gefängnissen der DDR frei – in vielen Fällen Bürger mit Fluchtplänen.
Und heute? Alles vergessen? Ja, gerade auch unter Wessis! Dass es die SED war, die Deutschland (mit Zustimmung der Sowjetunion) teilte? Schnee von gestern! Dass sich die SED nach mehreren Namenshäutungen (SED-PDS, PDS, Die Linke) sich und ihr Vermögen in das vereinte Deutschland hinüberrettete? Vergessen! Wie wäre es sonst zu erklären, dass ein Rainald Becker (ARD-Chefredakteur sowie ARD-Koordinator für Politik, Gesellschaft und Kultur in der ARD-Programmdirektion in München) meinte soeben hinausposaunen zu müssen: „Wer nach 30 Jahren Einheit Die Linke immer noch als SED-Erben bezeichnet, hat nichts verstanden und gelernt“.
Nichts gelernt hat auch ein Daniel Günther (CDU-Ministerpräsident in Schleswig-Holstein). Er will für den Osten eine Koalition seiner CDU mit der „Links“-Partei nicht ausschließen und entwickelt sich damit wie sein Landeskollege Ralf Stegner (SPD) zum Stimmenfänger für die AfD. Liebe Beckers und Günthers: Einfach mal Links-Partei-Statements zur Kenntnis nehmen! Noch 2009 erklärte die „Linke“, sie sei die Rechtnachfolgerin der SED.