Nach Griechenland, Großbritannien, Spanien, Italien, Österreich nun das gleiche Muster in der Türkei und in Dresden: deutliche Gewinne der extremen Ränder und klare Verluste der Herrschenden. Und auf Schloss Elmau tanzt der G7- Kongress. Zunehmend viele Leute halten das wirklich für den Gipfel.
Die Emotionen schlagen beim Thema Homo-Ehe haushohe Wellen – dafür und dagegen. Mehr Klarheit in einen solchen Schlagabtausch zu bringen, ist schwer, weil beide Seiten keine Argumente hören wollen, sondern „Bekenntnisse“. Der Bekenntnis-Druck ist in unseren Tagen nicht nur beim Thema Homo-Ehe groß, aber hier im Übermaß. Wobei wenigen auffällt, dass diese Bekenntnis-Inflation zu einem drastischen Wertverlust der Währung Bekenntnis führen muss. Wo man sich zur PKW-Maut ebenso „bekennt“ wie zur europäischen Wertegemeinschaft, zur Freiheit ebenso wie zur Freizeit, werden Bekenntnisse wertlos.
Welches Stimmenergebnis jemand bei Wahlen erhält, bestimmt die Schlagzeilen nicht, sondern die Zu- und Abneigungen von Medien. Von 41 Prozent bei den Europawahlen stürzte Matteo Renzi mit seiner sozialdemokratischen Partei (PD) auf 22,6 bei den Regionalwahlen am vergangenen Sonntag ab. SPON titelt: „Renzi erhält Rückenwind“, FOCUS online: „Dämpfer für Renzi“.
Die Roten und Schwarzen in Österreich nehmen das berüchtigte Merkel-Wort nicht in den Mund: ALTERNATIVLOS. Aber ihre Politik und sich selbst als Politiker halten sie dafür. Ohne jeden Zweifel. In meiner Heimat Steiermark nennen sich ÖVP und SPÖ „Reformpartnerschaft“ und haben für deren Fortsetzung Wahlkampf geführt, als sei das der neue Name für eine fusionierte Partei. Haben die rot-schwarzen Farbenbrüder wirklich niemanden, der ihnen sagt, dass solches die Steirer in Scharen zur FPÖ treiben musste?
Nach Jihadisten suchen britische und französische Geheimdienstler unter den Migranten, die in Calais die Fähre nach Dover nehmen. Die Nachricht folgt der über die Verhaftung eines Marokkaners in Italien, der am Terroranschlag auf das Bardo-Museum in Tunis im März beteiligt gewesen sein soll. Der Mann kam auf einem Flüchtlingsboot nach Italien. Heute präsentiert die EU-Kommission als „Notfallmaßnahme“ eine Quote zur Verteilung von Flüchtlingen auf die Mitgliedsländer. Und ein Vizepräsident des Europaparlaments verlangt eine Strategie gegen die Gefahr, dass Isis Europa umzingelt. Nach BBC zwingt Libyens IS die Schleuser inzwischen, ihr 50 Prozent der Einnahmen abzuliefern und IS-Kämpfer auf den Schiffen mitzunehmen. Hier braut sich mehr und mehr ein explosives Gemisch zusammen.
„Der Wind in Griechenland, der Wind in Spanien, der Wind in Polen bläst nicht in die gleiche Richtung, aber alle diese Winde sagen, dass sich Europa ändern muss. Entweder bringt es Europa fertig, seine Wirtschaftspolitik zu ändern oder die Bewegungen gegen Brüssel und Straßburg werden immer stärker.“ Italiens Premier Matteo Renzi sagte das im toskanischen Fernsehen nach den spanischen Regionalwahlen und den polnischen Präsidentschaftswahlen, einem klaren Votum gegen die EU-konforme Warschauer Regierung. Und nun wird bekannt, dass Merkel und Hollande die EU weiter vertiefen wollen - ohne Vertragsänderungen. Aber einfach aussitzen werden sie David Cameron nicht können. Welche Strategie verbirgt sich dahinter, sich von Athen alles gefallen zu lassen und London alles zu verweigern? Ich fürchte – keine.
Perfekt gestylt wie Drag Queen Conchita Wurst ging der 60. Song Contest als eine Multimedia-Show über die Bühne, die neue Maßstäbe setzt. An ihr Gesicht und die weißen Strichmännchen werden sich noch viele erinnern, wenn der hektische Stillstand unserer Zeit längst weiterhastet. Äußerst wirksam kontrastierten die sympathischen Strichmännchen das Glitzerspektakel, die pantomimische Interaktion des schwedischen Contest-Siegers mit ihnen ist Inszenierung vom Feinsten. Wien ist bei Lichte betrachtet der wirkliche Sieger. Die Stadt bewies sich als Eventplatz der Superlative. Der Staatssender ORF kann das auf seine Habenseite buchen. „Song“ bleibt keiner. In den Zwischenräumen blitzten nationale und politische Vorlieben als Abstimmungs-Motive auf. Und technische Vorkehrungen, Unerwünschtes weg-zu-manipulieren, die beunruhigen.
Die Zahl der Flüchtlinge, die von einem Schlepperschiff geborgen werden oder mit ihm untergehen, muss inzwischen hoch sein, wenn sie den Medien noch eine Meldung wert sein soll. Das hörten wir gestern in der Münchner Runde des BR. Junge Tunesier, die keine Zukunft für sich sehen, berichtet die NZZ, entscheiden sich entweder für den gefährlichen Weg über das Mittelmeer nach Europa oder ziehen nach Syrien in den Jihad, wo gutes Einkommen und der Status locken, für eine „gerechte Sache“ zu kämpfen. Wann sehen wir Stories über die Schuld der EU am IS-Nachschub?
"Da ist sie, die Großstadtpartei", stand gestern hier. Dass Friedrich Thelen, der dies analysierte, eine positive Grundhaltung zur FDP bescheinigt werden darf, ändert nichts an seiner Beobachtung von einem radikalen Generationenwechsel der FDP auf ihrem Bundesparteitag am vergangenen Wochenende in Berlin. Aber auch im neu gewählten Bundesvorstand der FDP ist ein bemerkenswerter Wechsel der Gesichter festzustellen. Was das verspricht und was es nicht garantiert, dazu ein paar Gedanken.
Auf die Paid-Content-Strategie der New York Times berufen sich gerade auch deutsche Verleger und Chefredakteure gern. Nach dem Motto, geht doch, Inhalte lassen sich sehr wohl verkaufen, wir müssen uns nur trauen und die Gratiskultur beenden. Die schlechte Nachricht: nytnow, die App der New Yorker Zeitungs-Ikone, gibt es ab sofort kostenlos, der Abo-Preis von acht Dollar im Monat für die “wichtigsten und interessantesten Geschichten” aus der NYT und anderen Quellen entfällt.
Ein roter Faden zieht sich durch die politische Landkarte Europas: Viele Establishment-Parteien sind am Abdanken. Ich bediene mich der ältesten Ressource der Welt: hinschauen und zusammenzählen. In ihrem Ursprungsland Schottland gibt es die Labour-Party nicht mehr. In Spanien bringen PP und PSOE, Konservative und Sozialdemokraten, die das Land in indirekten Koalitionen 30 Jahre regierten, zusammen keine 50 Prozent mehr auf die Waage. Wann ist das auch in Deutschland so weit?
Bernd Lucke beschuldigt Konrad Adam, er habe "der Bild-Zeitung mitgeteilt, es gebe handfeste Indizien dafür, dass ich mich entschlossen habe, die AfD zu verlassen." Damit erreicht der Richtungsstreit in der AfD einen wohl nicht mehr zu überbietenden Höhepunkt. Gleichzeitig wird aber auch bemerkenswert transparent, worum es in diesem Konflikt geht. Adam, sagt Lucke, kämpfe "mit falschen Freunden an der falschen Front".
Wenn eine Informationssendung keine oder zu wenig Informationen hat, muss sie ausfallen. Diese simple Erkenntnis geht ARD und ZDF seit langem bei dem Format SPEZIAL ab, gestern aber auch und besonders in der Berichterstattung über die Wahlen in Bremen und Bremerhaven.
Auf den wahrscheinlich weiter amtierenden britischen Premier warten drei Bewährungsproben, von denen jede einzelne schwierig genug für eine Regierungsperiode wäre. Er muss die Bedingungen der EU-Mitgliedschaft neu verhandeln und das Ergebnis Ende 2017 zur Volksabstimmung vorlegen. Den Schotten muss er viel Autonomie geben, wenn sie das Vereinigte Königreich nicht verlassen sollen. Und das staatliche Gesundheitssystem braucht eine Totalreform.
In dieser Woche wird das britische Unterhaus gewählt. Kenner sagen, dass die Tories Schottland und Wales bereits aufgegeben haben. Nach der Wahl könnte es sich sowohl bei Labour wie bei Tories nicht mehr um britische, sondern nur noch englische Parteien handeln. Da scheint möglich, was das britische Mehrheitswahlrecht mit kurzen Unterbrechungen ausschloss, eine Koalitionsregierung: diesmal eine von Tories und Labour, eine wie in Berlin - nicht mehr ganz so - große Koalition.
1983 verkündete Ralf Dahrendorf "das Ende des sozialdemokratischen Zeitalters". Die SPD versteht das bis heute als unheilvolle Prognose für sozialdemokratische Parteien. 1997 widersprach er George Soros, dass nach dem Ende des Kommunismus der Kapitalismus der größte Feind sei.
20 Flüchtlinge rettete der griechische Unteroffizier Antonis Deligiorgis vor dem Ertrinken. Besitzer von Schiffen sind in privaten Initiativen unterwegs, um in Seenot geratene Flüchtlinge zu bergen. Über die Frage, was Europas Regierungen in der Flüchtlingsfrage tun, wird noch lange keine Klarheit herrschen. Spektakuläre Bilder und Berichte werden uns weiter begleiten. Das menschlich dramatische Geschehen und seine politischen Implikationen werden die Länder Europas zwingen zu klären, was Europa jenseits des Brüsseler Richtlinien-Mikromanagements sein soll.
Tausende Ertrinkende im Mittelmeer und versinkende Milliarden in Griechenland haben eines gemeinsam: die Unfähigkeit der EU, mehr zustande zu bringen als politischen Zeitgewinn. Der humanitäre Preis ist ebenso unerträglich und unverantwortlich wie der politisch-gesellschaftliche.
Der 10-Punkte-Plan der EU ist eine reine Polizei- und Verwaltungsoperation. Bis es gelingt, Asyl-Verfahren auf afrikanischem Boden in Auffanglagern und die sichere Überfahrt zu organisieren, werden viele Monate vergehen.
Im Juli dieses Jahres werden es 25 Jahre, dass Ralf Dahrendorf sein Buchmanuskript „Betrachtungen über die Revolution in Europa“ abschloss. In jenem Sommer 1990, der extrem heiß war, bereiste ich die meisten Provinzhauptstädte Jugoslawiens. Am Ende der Reise ahnte ich, dass die südslawische Föderation nicht von Dauer sein würde. Dass es Jugoslawiens letzter Sommer sein sollte, wusste wohl niemand. Der deutsche Botschafter versammelte Politiker der neuen Parteien in einem Ausflugslokal am Rande von Belgrad, darunter auch der spätere serbische Ministerpräsident Zoran Đinđić, der bei Dahrendorf in Konstanz studiert hatte. Đinđić wie alle anderen widersprachen meinem Eindruck vom Bröckeln des jugoslawischen Zusammenhalts heftig. Nicht das erste Mal, dass gerade jenen der Blick verstellt ist, die am tiefsten im Gang der Dinge stecken - für etwas, das sich klar abzeichnet.
„Zu Ostern das Lamm“ schrieb Klaus Trebes in seinem Kochbuch. Das Restaurant Gargantua des ehemaligen Hausbesetzers im Frankfurter Westend war lange Stammlokal von 68-Kameraden wie Joschka Fischer. In der Welt der Veganer und Vegetarier hätte nur noch wenig aus dem Repertoire des begnadeten Kochs mit Juraexamen Bestand. Sein Auberginen-Curry ja, aber sein gebratener Chicorée schon nicht, denn da braucht es Butter.