Ungarns Innenpolitik ist derzeit spannender als jeder Psychothriller. Eine unscheinbare Begebenheit vor langer Zeit generiert derzeit eine Krise nach der anderen. Wo wird die Kettenreaktion aufhören?
Der „Schmetterlingseffekt“, ein Begriff aus der Chaostheorie, scheint derzeit die ungarische Innenpolitik zu bestimmen. Er besagt, das winzige Variationen an einer Stelle unvorstellbare Konsequenzen an ganz anderer Stelle auslösen können: Der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien könne einen Tornado in Texas auslösen.
Vor vielen Jahren förderte der damalige Minister für Humanressourcen in Ungarn, Zoltán Balog, eine talentierte junge Frau, die zunächst Staatssekretärin bei ihm wurde, dann Ministerin, und letztlich Staatspräsidentin: Katalin Novák. Die von ihr gestaltete ungarische Familienpolitik wurde auch international gepriesen, als Staatschefin setzte sie unabhängige Akzente, selbst heftige Orbán-Kritiker ließen sie zumeist in Ruhe. Mit Balog, ihrem „Entdecker“, verband sie über all die Jahre ein besonderes Vertrauensverhältnis, geprägt von Dankbarkeit und persönlicher Loyalität.
Ausgeschlachtet wurde der Fall am Ende dennoch, als oppositionsfreundliche Medien zwar zehn Monate später, aber pünktlich zum Beginn des Wahlkampfs (EU-Wahlen, Kommunalwahlen) den Fall Anfang des Jahres „entdeckten“. Novák und Varga (die mittlerweile nicht mehr Ministerin, sondern EU-Politikerin war) traten daraufhin verantwortungsbewusst zurück. Varga ließ wissen, sie ziehe sich ganz aus der Politik und dem öffentlichen Leben zurück.
Ihr Rücktritt führte zu unvorhergesehenen Folgen. Ihre Ehe war längst zerrüttet, und sie war frisch geschieden. Wohl als Folge dessen verlor ihr Ex-Mann Péter Magyar lukrative Jobs, die er dem Vernehmen nach dank Vargas guter Verbindungen bekommen hatte. Als diese Ehekrise Gestalt annahm, und die Scheidung drohte, begann er – noch vor ihrem Rücktritt – heimlich Tonaufnahmen zu fertigen. Varga sagt, er habe sie damit erpresst, um die Scheidung zu verhindern.
Der „Beweis“ war dann eine heimlich gefertigte Tonaufnahme Vargas, in der eher indirekt anklingt, jemand aus der Regierung habe Akten der Staatsanwaltschaft in einem laufenden Korruptionsverfahren manipuliert (es wird nicht ganz klar, wer und was). Dem geht die Staatsanwaltschaft nun nach, und vernahm auch Judit Varga am 27. März als Zeugin. Ihrerseits hat sie nun ihre Zurückhaltung aufgegeben und erzählt schauerliche Einzelheiten über ihre von Drohungen und Gewalt geprägte Ehe mit Péter Magyar.
Es ist noch zu früh, um Endgültiges zu sagen, aber bislang scheint es, dass Magyar nicht enttäuschte Fidesz-Wähler anzieht, sondern Unentschlossene und enttäuschte Oppositionswähler.
Was kommt als Nächstes? Wird der Schmetterlingsflügel (Balogs Bitte an Novák, einem Gnadenersuch zuzustimmen) weitere Stürme in fernen Gefilden verursachen? Am besten wappnet man sich – denn durch Ungarns bisher ruhige politische Landschaft fegen heftige Winde.
Sie müssenangemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein
Herr Kalnoky ist gut informiert. Ich möchte nur so viel zufügen. Der Staatsoberhaupt – König hat allein Vermächtnis jemand zu begnadigen. Jemand zu begnadigen bedeutet NICHT!!!! dass Gerichtsurteile aufgehoben. Richterspruch bleibt! Könige und Staatsoberhäupter dürfen JEDEN begnadigen. es bedeutet NICHT, dass sie den Schuld relativieren. NUR SÜNDEN und VERURTEILTE kann man begnadigen.
Könige sind und waren aus Gottes Gnade Könige- so dürften sie Begnadigen und dürfen auch jetzt. In Ländern, wo keine Könige gibt, wurde diese „Begnadigen“ auf den Staatsoberhaupt übertragen.
Der Fisch stinkt vom Kopf.
Wer am Kopf der ungarischen Regierung steht ist bekannt. Sein Name taucht in diesem „Hit Piece“ nicht auf. Bei den Demos in Budapest sehr wohl.
Kein Wunder. Als bekennender Putin-Buddie genießt er in Deutschland quasi politische Immunität.