In Frankreich Fillon, in England May, in Österreich vielleicht eine schwarz-blaue Koalition und in den USA Trump, den man eher der alternative right zurechnen muss: Da stünde Angela Merkel recht isoliert da. Ronald Asch über Bücher von François Fillon.
In den letzten Jahren haben in vielen europäischen Ländern Parteien Auftrieb erhalten, die man mehr oder weniger einem Spektrum zu ordnen kann, das, wenn auch recht ungenau, oft mit Vokabeln wie „rechtspopulistisch“ beschrieben wird. Es handelt sich um Protestparteien, die sich bewusst und in provozierender Weise über die Prinzipien der politischen Korrektheit hinwegsetzen und mit ihren radikalen Forderungen etwa zur Immigrationspolitik eine gewisse Ähnlichkeit mit der „alternative right“ in Amerika aufweisen, die in den jüngsten Präsidentschaftswahlen einen überraschenden Triumph gefeiert hat. Das Spektrum dieser Parteien reicht vom Front National in Frankreich über die FPÖ in Österreich oder die Partei der Freiheit in den Niederlanden bis zur AfD in Deutschland. Es spricht vieles dafür, dass diese Parteien ihren Aufstieg auch dem Umstand verdanken, dass es kaum noch glaubwürdige Politiker der traditionellen bürgerlichen Parteien gibt, die offensiv für dezidiert konservative Positionen eintreten, gleichgültig ob es sich hier nun um die Verteidigung der traditionellen Ehe, den Umgang mit Immigranten oder die Bewahrung des Nationalstaates an sich geht.
In Frankreich war diese Erosion des konservativen Lagers zwar nie so ausgeprägt wie in Deutschland unter Merkel, aber faktisch hatten offenbar dennoch viele Wähler den Eindruck, Front National wählen zu müssen, um ihren Vorbehalten gegen eine offizielle Politik, die von den Werten der postmodernen Linken und des Multikulturalismus geprägt zu sein schien, aber auch ihrer Ablehnung der Globalisierung und ihrer Folgen Ausdruck zu verleihen.
Der Partei des früheren Staatspräsidenten Sarkozy, den Republikanern, wie sie jetzt heißen, gelang es lange nicht, dagegen eine glaubwürdige Gegenposition aufzubauen. Das könnte sich durch die Entscheidung, Fillon zum Präsidentschaftskandidaten zu machen, jetzt ändern. Fillon hat schon im letzten Jahr in einem Buch, das den einfachen Titel „Faire“ trägt, seine Positionen dargelegt. Dieses Jahr ist ein zweites Buch von ihm erschienen mit dem provokanten Titel „Vaincre le totalitarisme islamique“.
Ein deutscher Politiker würde wegen eines solches Buches islamophob bis rechtsradikal genannt
Er greift damit ein Thema auf, das neben der Arbeitslosigkeit und der Verarmung vieler Regionen die französischen Wähler wohl am stärksten beschäftigt. Die Serie von islamistischen Anschlägen mit zum Teil großen Opferzahlen hat das Land aufgewühlt und die Menschen wollen eine Antwort auf diese Herausforderung. Ob Fillon als Präsident ihnen diese Antwort geben kann, wird sich zeigen, aber zumindest scheut er nicht davor zurück, die Gefahr, die das Land bedroht, offen zu benennen. Würde ein deutscher Politiker ein solches Buch schreiben, würde er vermutlich rasch dem allgemeinen Bannfluch der vermeintlichen Islamophobie verfallen und als tendenziell rechtsradikal gelten; allenfalls ein Politiker der CSU könnte sich das vielleicht leisten, aber auch nur dann, wenn er schon auf dem Weg in den Ruhestand wäre.
In der Tat ist Fillon in seinen Analysen nicht zimperlich. Er sieht das Land bedroht durch einen Feind, der von einer radikalen religiösen Vision inspiriert ist und für den das Verbrechen an die Stelle des Gebetes getreten ist, („un ennemi dont le crime est la prière“, S. 7); eine grundsätzliche Trennung zwischen den fundamentalistischen Varianten des Islam und der Gewalt des Djihadismus nimmt er also nicht vor. Ja er sagt ausdrücklich, dass man einen Feind wie Isis nur besiegen könne, wenn man sich auf die christlichen Ursprünge Frankreichs zurückbesinne und auch Solidarität mit den verfolgten Christen des Orients zeige.
Fillon hat in der Tat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er Katholik ist und zwar ein konservativer Katholik. Bemerkenswert ist freilich, dass er nun eben jenes Prinzip, das die katholische Kirche im frühen 20. Jahrhundert lange abgelehnt hatte, das der Laizität, zu einem Kern der französischen Identität erklärt, um damit die Symbole des Islam wie den Schleier oder den Niqab, aber vermutlich auch das Gebet auf öffentlichen Plätzen zurückzudrängen oder auch ganz zu verbieten.
Fillon tritt für ein bewusstes Bekenntnis zu einem französischen Nationalstaat ein, der durch eine Geschichte von anderthalb Jahrtausenden – also von Chlodwig bis heute – definiert werde. Zur nationalen Kultur gehören für ihn das christliche Mittelalter also genauso wie die Errungenschaften der Französischen Revolution, obwohl hier natürlich durchaus ein Spannungsverhältnis besteht; noch Mitte des 20. Jahrhunderts hätten viele Franzosen das Erbe der Aufklärung und das Erbe des Katholizismus als unvereinbar angesehen und in der Vendée und in linken Intellektuellenkreisen in Paris dürfte man noch heute aus je unterschiedlichen Gründen so denken. Die Harmonisierung unterschiedlicher Traditionen hat also gerade auch in Frankreich etwas Gewaltsames, wie das immer der Fall ist, wenn man eine möglichst homogene kulturelle Überlieferung konstruieren will. Aber nur, wenn man sich offensiv zu dieser Geschichte der „ältesten Nation Europas“ (und der ältesten Tochter der Kirche wie Fillon ausdrücklich sagt) bekenne, könne man Einwanderer assimilieren, so Fillon, und dieses Konzept der Assimilation verficht Fillon ganz offensiv. Wenn er Präsident werde, dann werde es ab Herbst 2017 keinen speziellen Unterricht in den Herkunftssprachen und –kulturen für Schüler mit Migrationshintergrund mehr geben (S. 141). Man vergleiche das mit der Situation in Deutschland wo in Bundesländern wie Berlin oder Niedersachsen in Zukunft Arabisch und Türkisch vermutlich ganz normale Schulfächer sein werden.
Zugleich verzeichnet er mit Empörung, dass es an vielen Schulen nicht mehr möglich sei, Themen wie den Holocaust oder andere Fragen, die etwas mit der Geschichte des Antisemitismus zu tun hätten, zu behandeln, weil die arabisch-stämmigen Schüler dies vehement ablehnten. Den Linksintellektuellen wirft er Verrat an der westlichen Tradition vor, weil sie bereit seien, auf dem Altar des Multikulturalismus alle Werte einer aufgeklärten Gesellschaft zu opfern, die sie, wenn es um den Kampf gegen vermeintlich rückständige christliche Traditionen gehe, hingegen als Waffe gegen eben diese Traditionen einsetzen würden. Es ist sicher nicht leicht, Fillon in diesem Punkt zu widersprechen, hier trifft er ins Schwarze, auch wenn ihn gerade das aus der Sicht französischer und europäischer Linker vermutlich zu einer fast dämonischen Figur machen wird.
Politik zwischen Mrs. Thatcher und Putin?
In Fillons Programm zur Bekämpfung des radikalen Islam und zur Assimilation der Immigranten in Frankreich kommt den staatlichen Schulen eine Schlüsselstellung zu. Ob die Lehrergewerkschaften, die in Frankreich mächtig sind, ihm die Umsetzung seiner Vorstellungen gestatten werden, ist eine ganz andere Frage. Im übrigen bleibt Fillons Konzept zur Bekämpfung des Terrorismus eher schemenhaft. Er kommt auf die Idee einer Aberkennung der Staatsbürgerschaft für Isis-Kämpfer zurück, die aus seiner Sicht schon jetzt juristisch möglich sei, wenn jemand sich einer fremden Armee außerhalb Frankreichs anschließe, und das seien die Mördertruppen des islamischen Staates, und fordert auch sonst schärfere polizeiliche Maßnahmen, schließt allerdings eine Internierung von Verdächtigen ohne Gerichtsurteil dezidiert aus.
Auffällig an Fillons Manifest ist im übrigen das bewusste Bekenntnis zu einer Partnerschaft mit Russland und die Forderung, die Sanktionen gegen Putin aufzuheben. Fillon ist in der Tat dafür bekannt, dass er Russland und seine Kultur schätzt; zwei seiner Berater respektive Mentoren, Igor Mitrofanoff und Jean de Boishue (in diesem Fall über seine Mutter, eine russische Adlige), haben russische Wurzeln und Fillon erhofft sich wohl auch eine Lösung der Syrienkrise durch eine Verständigung mit Moskau.
Hier, auf dem Gebiet der Außenpolitik, zeigt sich, dass ein Präsident Fillon, würde er gewählt, und das muss man für recht wahrscheinlich halten, mit einer wiedergewählten Kanzlerin Merkel (auch ihre Wiederwahl ist sehr wahrscheinlich) wohl nicht allzu harmonisch zusammenarbeiten würde. Fillon wird sicherlich stärker und mit mehr Aussicht auf Erfolg als Hollande in Europa eine klare Führungsrolle für sein Land beanspruchen, möglicherweise auch mit dem Ziel, nicht nur eine Steuerharmonisierung in Europa durchzusetzen, sondern auch die Schulden noch stärker als jetzt zu vergemeinschaften. Auf der anderen Seite kommen seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen einem liberalen Reformprogramm, das sich gut mit deutschen ordo-liberalen und marktwirtschaftlichen Traditionen verträgt, recht nahe. Manche sehen in ihm auch einen Bewunderer von Mrs. Thatcher, aber man kann sich in Frankreich ein umfassendes Privatisierungsprogramm von Staatsbetrieben und eine Ausrichtung des öffentlichen Dienstes auf Effizienzmodelle der Privatwirtschaft wie seinerzeit in England nur schwer vorstellen. Eine gemäßigtere Spar- und Reformpolitik wie die deutsche der letzten Jahrzehnte ist hingegen nicht von Anfang an zum kompletten Scheitern verurteilt, wenn Fillon für sein Programm, indem er bewusst „Blut, Schweiß und Tränen“ in Aussicht stellt, bei der Präsidentschaftswahl eine klare Mehrheit erhält. Sicher ist das allerdings nicht, denn die Macht der linken Gewerkschaften ist in Frankreich weiterhin groß und gerade der öffentliche Dienst, in dem Fillon 500.000 Stellen einsparen will, hat sich in der Vergangenheit selten als reformierbar erwiesen.
Ein Ende der ideologischen Hegemonie der linken Mitte
Wichtig bleibt aber dennoch, dass in Frankreich mit Fillon ein Politiker an die Macht käme, der eine ganz andere Version bürgerlicher Politik vertritt als Merkel. Das liegt natürlich auch am französischen Wahlsystem, das den Verzicht auf Koalitionen ermöglicht und die politische Mitte tendenziell schwächt. Dennoch würde sich mit einem Sieg Fillons bei den Präsidentschaftswahlen eine allgemeine Tendenz in der europäischen und westlichen Politik bestätigen, die das deutsche Modell einer Konsensdemokratie, die von Mitte-Links Politikern dominiert wird, zum Auslaufmodell werden lassen könnte. In England würde dann weiter Theresa May regieren, die übrigens ähnlich wie Fillon auch durch ein eher traditionelles Christentum geprägt ist, auch wenn sie Protestantin ist, nicht Katholikin. In Frankreich Fillon, in Österreich vielleicht eine schwarz-blaue Koalition und in den USA Trump, den man allerdings eher den Rechtspopulisten und der alternative right zurechnen muss. Nur Deutschland würde dann noch von einer Kanzlerin geführt, die in den letzten Jahren jene Werte, für die Fillon steht, für ihre Partei, die CDU, weitgehend irrelevant hat werden lassen. Einfach wird das für Merkel, die sich dann ohnehin am Ende ihrer politischen Laufbahn befinden würde, sicher nicht werden.
Allerdings erweckt Fillon mit seinen politischen Manifesten auch Hoffnungen, von denen ganz unklar ist, ob er sie erfüllen kann. Er ist zwar ein politischer Profi und hinreichend flexibel, wie seine bisherige Karriere zeigt, zitiert auch in seinem Buch den Kardinal Richelieu mit dem Ausspruch, man müsse viel zuhören und wenig sprechen, um einen Staat zu regieren, aber er wäre nicht der erste französische Präsident, der an den Strukturen eines Landes scheitert, das sich immer noch im Abendglanz der französischen Kultur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts und einer Epoche, in der Frankreich an der Spitze des Fortschritts zu stehen schien, sonnt. Wer dann, im Falle eines Scheiterns, in fünf Jahren vor den Türen des Elysée stehen wird, kann man sich ausrechnen, es wird Marine Le Pen sein, der Fillon diesmal mit seinem konservativen Programm vielleicht noch etliche Wähler wird abspenstig machen können. Erweisen sich seine Verheißungen jedoch als bloße Rhetorik, oder scheitert er an den inneren Zwängen der EU und ihrer Jurisdiktionsgewalt gleichermaßen wie an den Gewerkschaften, wird man ihm das nicht leicht verzeihen.
Ronald G. Asch ist Historiker und lehrt an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
François Fillon: Leitfigur eines neuen bürgerlichen Konservativismus in Frankreich und Europa?
Zu François Fillons, Vaincre le totalitarisme islamique, Paris, Albin Michel 2016, 157 S.
Sie müssenangemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein