Die linke Presse möchte diktieren, wem man gratuliert

Linke Journalisten sehen soziale Medien als ihren „Safe Space“ an. Selbst formelle Glückwünsche zur Amtseinführung eines ausländischen Regierungschefs sind zu viel, wenn dieser einem nicht passt. Schon die Bebilderung eines Beitrags mit Orbán und Meloni bedürfte einer Triggerwarnung.

IMAGO / ZUMA Wire

Wollen linke Journalisten eine Cancel Culture bei Glückwunschprogrammen? Das jedenfalls könnte man denken, sieht man die Reaktionen auf die Amtseinführung von Giorgia Meloni als italienische Ministerpräsidentin. Deutsche Aktivisten und Journalisten kritisierten das – und natürlich zuvorderst Bundeskanzler Olaf Scholz, der es wagte, diplomatische Formalitäten einzuhalten, indem er einem demokratisch gewählten Regierungschef zu seinem ersten Tag im Amt gratuliert.

Natürlich handelt es sich bei der Empörung und dem Versuch, nicht nur die öffentliche Meinung, sondern auch politische Handlungen zu beeinflussen, um eine Form des digitalen Kindergartens. Doch es ist zugleich ein Machtspiel, nicht nur im Bereich der kulturellen Hegemonie. Wenn Georg Restle dem Kanzler auf die Finger haut, dann zeigt dies den Versuch, seine Haltung in politische Handlungen umzuformen, und zuletzt auch, welches Bild man von einer bestimmten Person haben muss.

— Georg Restle (@georgrestle) October 22, 2022

Die Regierungschefin eines EU-Mitgliedsstaates, die auf die Verfassung eines demokratischen und republikanischen Staatswesens schwört, ist in ihren Augen mindestens auf einer Ebene mit den Mullahs im Iran einzuordnen. Die Empörung Georg Restles war bereits andernorts Thema. Ein Mitarbeiter des Spiegel formuliert es so: „Dass man die italienische Regierungschefin kontaktieren muss als Kommissionspräsidentin, Kanzler, Ministerin, klar, wichtiges EU-Land, aber das schließt natürlich keine Gratulation auf Twitter ein, wo das Publikum ein anderes ist. Ist das gedankenlose Routine oder Absicht?“

Diese Einlassung zeigt symptomatisch das Selbstverständnis, sondern auch die ideologische Haltung eines ganzen Lagers auf. Es wird kritisiert, dass der Bundeskanzler und andere ihre Glückwünsche auf Twitter teilen, denn dort sei das Publikum ein anderes. Daraus spricht der Machtanspruch des linken Lagers: Das soziale Medium gehört de facto „uns“ und dort hat nur jemand etwas zu suchen, wenn er auch angenehme Botschaften verkündet. Sie besitzen sonst keine Legitimität. Es ist das alte Spiel, mit dem man versucht, Meinung und Politik mit aktivistischem Impuls am Nasnering durch die Manege zu ziehen.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Man gibt damit ganz offen zu, dass man soziale Medien vor allem als Spielplatz der eigenen Leute versteht, wo nicht nur andersdenkendes Personal außen vor bleiben soll, sondern auch jede „message“, die sich an ein anderes Milieu wendet; ja noch mehr, neutrale Botschaften, die das eigene ideologische Lager verstören könnten, müssen draußen bleiben. Das bestätigt nicht nur die oben erwähnte Cancel Culture; es ist ein Hinweis darauf, dass man nunmehr nicht nur gewisse Räumlichkeiten, sondern auch die gesamtgesellschaftliche Öffentlichkeit für einen linken Safe Space hält, wo nichts ohne „Trigger“-Warnungen läuft. Wer Giorgia Meloni nicht als Faschistin sehen will oder sieht, hat sich diskreditiert.

Mit der Methode haben Haltungsjournalisten und Haltungspolitiker ihre Gegner schon in der Vergangenheit auf Linie bringen wollen und auch gebracht. Solange man die extremste Forderung stellt, kann man damit rechnen, dass man einige Fußbreit gewinnt, selbst bei einem Vergleich. Gerade Zentristen der rechten Mitte fallen immer wieder darauf herein, wenn sie sich im Zuge solcher Auseinandersetzungen anbiedern und den Kotau vor einer vermeintlichen öffentlichen Meinung vollziehen, die in Wirklichkeit nur das Meinungsnetzwerk der kulturell dominierenden Linke ist. Man begreift neuerlich die Angst vor Elon Musks Twitter-Übernahme.

Amtseinführung von Giorgia Meloni
Ministerpräsident, nicht Ministerpräsidentin
Für diese Aktivisten ist es bereits zu viel, dass man einen Mindestanstand gegenüber Andersdenkenden wahrt. Der Gegner ist nur noch Feind, den es aus der Öffentlichkeit fernzuhalten, am besten aber ganz zu tilgen gilt. Bereits Tocqueville hat die feinen Mechanismen demokratischer Systeme beschrieben, die ihre Gegner töten, ohne ihre körperliche Unversehrtheit zu beinträchtigen. Ihre Kritik ist auch kein Korrektiv der Regierung, wie es der Journalismus eigentlich sein soll; es ist die Lancierung eigener Macht und der eigenen Ideologie; nicht die Korrektur, sondern das Vor-sich-her-Treiben der Politik ist ihr Ziel. Es ist ein Aktivismus, der sich auf die Bundesrepublik und den gesamten Westen deutlich destruktiver ausgewirkt hat als die eigentliche linke Politik.

Florian Neuhann vom ZDF machte sich die Mühe, die Glückwunsche auf Twitter von anderen Ländern zusammenzuzählen. Hier wurde dann ein anderes Narrativ vollzogen: Die Akzeptanz von Meloni ist gering, sonst hätte sie mehr Glückwünsche bekommen. Dass die Regierungsaccounts aber eben keine reinen Glückwunsch-Accounts sind und auch nicht daueranwesende Journalisten, die ihre meiste Zeit mit Gemeinplätzen im Internet verbringen, muss hier nicht ausgewalzt werden. Dass die meisten Glückwünsche schlicht später eintrafen, nützt da wenig. Hauptsache: Das Narrativ steht. Der Appell lautet: Man muss mit dieser Person nicht reden. Es fehlt nur noch der Zusatz, dass „die Wissenschaft“ eine Studie vorgelegt hätte.

Letztlich sind es „Nachrichten“ wie diese, die ein anderes Phänomen greifbar machen: die Planlosigkeit beim Angriff auf Meloni. Irgendetwas muss doch zu finden sein. Mit bösen Wörtern belegen reicht schlicht nicht. Dafür sagt sie etwas anderes aus: Nicht nur rechtskonservative oder nationalkonservative, sondern auch schon konservative Positionen stehen im Ruch des Faschismus. Das war bereits vorher allgemein bekannt, doch die Plumpheit ist neu, mit der man bereits den Glauben an Gott, Familie und Nation zu faschistischen Überzeugungen abqualifizieren will.

Der Aufschrei steht im krassen Gegensatz zum problemlosen Ablauf der Regierungsübernahme. Italien brauchte 27 Tage bis zur Regierungsbildung, die Ampel hingegen 73 Tage. Vieles ist „Business as usual“. Solange Meloni daheim in den Belangen Familie, Gesellschaft und Migration frei schalten und walten kann, wird sie auch nicht auf Konfrontationskurs mit Brüssel gehen. Vielmehr dürfte sie den kürzlichen Ärger zwischen Paris und Berlin zum Anlass nehmen, mit Frankreich engeren Kontakt zu knüpfen. Politik betreibt man im Rathaus und nicht auf dem Marktplatz; auch nicht auf einem ideenlosen Marktplatz der zensierten Meinungen wie Twitter. Wer nur Journalisten in deren Timeline schaut, lässt sich auf eine Form des Presse-Populismus ein.

Anzeige

Unterstützung
oder