Putin griff offenbar gezielt ausländische Söldner bei Lemberg mit Raketen an

TE liegt ein Informationsblatt vor, wonach Bewerber für eine Internationale Legion über den Grenzübergang Korczowa-Karkowiec in die Ukraine kommen sollen. Gegen diese könnte Putin 30 russische Marschflugkörper in Jaworiw eingesetzt haben.

IMAGO / ZUMA Wire
Ukrainische Soldaten beerdigen getötete Kameraden in Jaworiw, 15.03.2022.

Die selbsternannten Experten rätselten: Was nur konnte Putin veranlasst haben, mit rund 30 seiner Marschflugkörper den unbedeutenden Stützpunkt Jaworiw nahe der polnischen Grenze unter Feuer genommen zu haben? Schließlich, so Experten, habe Putin damit einen nicht unbedeutenden Teil seiner entsprechenden Waffen unwiederbringlich verfeuert. Zudem schien der strategische Wert des Einsatzes eher gering: Moskau meldete, bis zu 180 „ausländische Söldner“ getötet und Militärgerät zerstört zu haben; Kiew räumte den Tod von 35 Menschen und die Verletzung von weiteren 134 ein. War das die Sache wert?

Westliche Gedankenspiele

Westliche Experten ergingen sich in Gedankenspielen. Das anvisierte „Internationale Zentrum für Friedenssicherung und Sicherheit“ in Jaworiw war vor dem Krieg ein Ort, an dem Nato-Ausbilder für die ukrainische Armee tätig waren. Wollte Putin also Nato-Offiziere treffen, so diese sich nach wie vor dort aufhielten? Oder war der Stützpunkt ein bedeutender Umschlagplatz für Waffenlieferungen aus den Nato-Staaten? Wollte Putin so den Nachschub für die Verteidiger des zweitgrößten Flächenlandes Europas unterbinden? Sollte der Angriff vielleicht das Signal sein, dass Russland auch vor dem Einsatz gegen die Nato nicht zurückschrecke, sollte diese ihre Unterstützung für die bedrängte Ukraine fortsetzen? Vieles schien denkbar – und vieles machte wenig Sinn. Denn die Nato-Ausbilder waren längst abgezogen, Jaworiw zu keinem Zeitpunkt ein Nato-Stützpunkt, und der Nachschub läuft ohnehin auf ständig wechselnden Routen, um eben der russischen Armee einen dort ohne Zweifel erwünschten Vernichtungsschlag zu entmöglichen.

Trotzdem aber ein solch massiver Angriff, bei dem Putin 30 Hochleistungswaffen opferte. Laut ukrainischen Angaben sollen die Marschflugkörper luftgestützt über dem Schwarzen Meer gestartet worden sein und von dort zielgenau das über 700 Kilometer Luftlinie entfernte Jaworiw angesteuert haben. Zwei der fliegenden Bomben seien abgeschossen worden, meldet Kiew. Treffen diese Informationen zu, so könnte es sich um konventionelle Marschflugkörper der Typen Kh-101, Kh-555 und/oder Kh-55 gehandelt haben, die über eine Reichweite von 2.000 Kilometern verfügen. Doch selbst, wenn es sich um diese älteren Modelle gehandelt haben sollte (die Untersuchungen laufen noch), standen Beobachter vor einem Rätsel: 30 teure Präzisionswaffen, um vielleicht gerade einmal 180 Kriegsfreiwillige und ein wenig militärisches Material zu vernichten?

Putins angebliches Signal an die Nato

Schnell griff deshalb die scheinbar einzig denkbare Erklärung um sich: Putin habe damit ein Signal an „den Westen“ schicken wollen: Seht her, wir verfügen über hochpräzise Lenkwaffen, die wir über weite Entfernung abfeuern können, um euch überall zielgenau zu treffen! Eingedenk des Auftritts Putins am 1. März 2018, bei dem er in Russland produzierte, atomgetriebene und atomwaffenfähige Marschflugkörper vom Typ 9M729 (Nato-Code SSC-8) vorstellte, die angeblich weltumspannend jegliche Abwehr selbsttätig umfliegen und unerkannt ihr Ziel erreichen, eine durchaus ernstzunehmende Drohung.

Allerdings: Ob es die angeblich 64 SSC-8 tatsächlich gibt und ob diese einsatzfähig sind, darüber gibt es durchaus unterschiedliche Auffassungen. Das, was Putin im März 2018 präsentiert hatte, war ein nichtssagender Film mit dem bodengestützten Start eines nicht erkennbaren Flugkörpers, gefolgt von einer hübschen Flugsimulation, wie sie heute jeder halbwegs begabte Gamer problemlos auf dem Home-PC herstellen kann. So neigen zunehmend mehr Experten der Nato auch angesichts des offensichtlich unzureichenden Vormarsches der russischen Armee in der Ukraine sowie des bestätigten Hilfsgesuchs an die Volksrepublik China dazu, in Anlehnung an die Zarenzeit von „Putin’schen Waffen“ zu sprechen: Schein statt Sein wie bereits zu Zeiten des Kalten Krieges. Die überdimensionierte Attacke auf das frühere Ausbildungszentrum, welches nur 20 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt liegt, schien in diese Denkwelt zu passen: Drohung oder Bluff – oder ein Bluff als Drohung.

Gezielter Einsatz gegen eine Eliteeinheit

Nun allerdings erreichten TE Informationen, wonach Jaworiw für Putin tatsächlich ein strategisches Ziel von höchster Bedeutung gewesen ist – Informationen, die zudem perfekt in die Erfolgsmeldung des russischen Militärsprechers Igor Konaschenkow von den angeblich ausgeschalteten „ausländischen Söldnern“ passen.

Demnach ging der Kreml davon aus, dass in Jaworiw die sogenannte „Georgische Legion“ stationiert war. Bei dieser Einheit handelt es sich um eine Elitetruppe, die ihren Namen auf Kämpfer aus Georgien zurückführt, welche in den beiden Weltkriegen an der Seite der deutschen Wehrmacht gegen die Sowjetunion um ihre staatliche Unabhängigkeit kämpften. Heute soll diese mehrere hundert Mann starke Einheit zu rund der Hälfte aus christlichen Kaukasiern bestehen, deren Ruf als gnadenlose Kämpfer dem der islamischen Tschetschenen des Kadirow in nichts nachsteht. Die andere Hälfte wird demnach überwiegend aus ehemaligen US-Marines und Mitgliedern der britischen Special Forces gestellt, die nach ihrem Ausscheiden aus dem regulären Dienst bei der Georgischen Legion angeheuert haben – Männer im Alter zwischen 24 und 28 Jahren, die das Kriegshandwerk perfekt beherrschen.

Tatsächlich ist die Georgische Legion in der Ukraine an der Seite der Ukrainer aktiv – nicht zuletzt dadurch legitimiert, dass sie über eine entsprechende Anordnung des Präsidenten zur Aufstellung Internationaler Brigaden als reguläre Kampfeinheit geführt wird. In gewisser Weise schließt sich damit auch der Kreis zu den offensichtlichen Fehlinformationen, die Putin dazu bewogen haben, der von ihm offenbar als besonders gefährlich eingestuften Legion mit einem Powerschlag die Angriffsfähigkeit zu nehmen. Denn Jaworiw diente tatsächlich als Anwerbepunkt für ausländische Kämpfer.

So kursiert ein Informationsblatt, welches TE vorliegt, wonach Bewerber für die Internationale Legion über den Grenzübergang Korczowa-Karkowiec in die Ukraine kommen sollen und sich bei einer nahegelegenen Tankstelle über das weitere Vorgehen informieren können. Von dort sollen Freiwillige, die laut Info-Blatt ein polizeiliches Führungszeugnis mitbringen sollten, über amtliche Personalpapiere verfügen müssen und im optimalen Fall bereits Uniform und Waffe dabei haben, auch nach Jaworiw weitergeleitet worden sein. Jedoch handelt es sich dabei nicht um die hochqualifizierten Männer der Georgischen Legion, sondern um Personen, die zwar zumeist militärische Erfahrung vorweisen, jedoch auf den unmittelbaren Kampfeinsatz erst vorbereitet werden müssen.

Die Georgische Legion verfehlt

Möglich also, dass die russischen Marschflugkörper ein paar dieser Kampfwilligen getötet oder verwundet haben – doch das eigentliche Ziel der als überaus effizient eingestuften Georgischen Legion wurde verfehlt. Was wiederum einen Offizier dieser Einheit zu der Feststellung verleitet: „Ich kann nicht garantieren, dass alle unsere Jungs diesen Krieg überleben werden – aber ich kann eines sagen: Die Russen werden ihn nicht gewinnen!“

Das mag Zweckoptimismus sein, doch er belegt, dass die Legion äußerst motiviert in ihren Kampf gegen russische Soldaten geht, die offenbar als kaum ausgebildete Wehrpflichtige zum vorgeblich „freiwilligen Einsatz in der militärischen Spezialoperation motiviert“ wurden und nun als russisches Kanonenfutter ihre Köpfe für die Machtphantasien einiger alter Männer im Kreml hinhalten dürfen. Männer, deren Furcht vor den Elitekämpfern es offenbar gerechtfertigt erscheinen ließ, 30 Hochleistungswaffen unwiederbringlich in einem einzigen, in der Sache fehlgeschlagenen Angriff zu verschwenden.

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Kommentare ( 76 )

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DieterM
2 Jahre her

Die Strategie dabei ist klar und einfach, man will ausländische Söldner abschrecken.

Tja, jetzt könnte der Westen auch mal auf die Idee kommen z. b. syrische Söldner „abzuschrecken“. Das würde den Ukrainern nämlich am meisten helfen, bevor 30.000 Mann vor Ort sind.

Exilant99
2 Jahre her
Antworten an  DieterM

Wenn Sie den Dritten Weltkrieg wollen nur zu. So ein nuklearer Wind ist doch was feines. Die Raketen in Kaliningrad sind 5 Flugminuten von Berlin entfernt.

Wolfgang Richter
2 Jahre her
Antworten an  DieterM

Und wie passen da die „Syrer“ ins Bild, die mit zumindest Billigung Erdolfs nach ihrem erfolgreichen Einsatz auf Seiten Azerbeidschans gegen Armenien nun auf dem Weg in die Ukraine sein sollen?? Ist aber sicher auch nur Fake.

Gruger1
2 Jahre her

Wenn Russland den Krieg führen wollte wie es die USA machen wären die ukrainischen Städte dem Erdboden gleich gemacht. Genau das will Russland nicht. Hier von einer verfehlten Taktik zu sprechen halte ich für falsch. Was die 30 Hochleistungswaffen angeht halte ich das für ein Gerücht, es gibt Videos geflüchteter Söldner keiner behauptet so etwas.

Bernd Schulze sen.
2 Jahre her

Ja Was stimmt nun, wo sie die Luftbilder von den 30 Raketen. Auf anderen Quellen konnte man erfahren, daß der Angriff von einem Flugzeug außerhalb der Ukraine erfolgte und somit eine Flugverbotszone nichts gebracht hätte. Auch die Zerstörung wären bei der Anzahl der Raketen und der Typen, wesentlich größer.

alberto el primo
2 Jahre her

Herr Spahn zerbricht sich den Kopf darüber, warum „der Russe“ (in der Überschrift war es ja Putin höchstpersönlich – Personifizierung als Propagandamasche?) 30 seiner kostbaren Marschflugkörper gegen ein in Spahns Augen unbedeutendes Ziel verpulvert hat.
Meine Antwort: Möglichkeit eins: Die russischen Befehlshaber werden schon gewusst haben, was sie tun.
Möglichkeit zwei: Sie sind totale Versager und die Ukraine wird gewinnen, insbesondere, wenn sie Herrn Spahn unter Vertrag nimmt. Er ist eindeutig der bessere Feldherr, auch wenn er selber auch ein alter weißer Mann ist. Aber aus dem Westen. Das ist der große Unterschied.

alberto el primo
2 Jahre her

Aus allen Ritzen des Textes quillt die Parteinahme. Meines Erachtens eine Psyop für besser Gebildete, die Tichys Einblick lesen.

Teiresias
2 Jahre her

Wer sind überhaupt diese „Söldner“?

Ist es nicht viel wahrscheinlicher, daß amerikanische und englische Spezialeinheiten sozusagen als Undercovertruppen im Söldnergewand eingesetzt werden?

Schließlich hatte die ukrainische Armee bei ihren verschiedenen Versuchen, die abtrünnigen Provinzen zurückzuerobern, seit 2014 erbärmlich versagt – trotz US-Militärberatern mit Zugriff auf Pentagon-Ressourcen von Satellitenaufklärung bis Analystenmanpower.

Leicht vorstellbar, daß US-Special-Forces die geringqualifizierte Ukrainische Armee direkt führen und unterstützen.

Es ist von über 100000 „Söldnern“ die Rede. Es würde mich sehr wundern, wenn das mit rechten Dingen zuginge.

Last edited 2 Jahre her by Teiresias
tane
2 Jahre her

Wieso ist das russische System politisch und wirtschaftlich so unattraktiv, daß seit vielen Jahrzehnten nur mit militärischer Gewalt Kombattanten gehalten und gewonnen werden konnten/können? Man schaue sich die Qualität der Verbündeten wie Kadyrow, Assad, Lukaschenko, ……….. an.
Welches demokratische Land wollte sich schon mal mit Russland verbünden?

Bernd Schulze sen.
2 Jahre her
Antworten an  tane

Welches Land will sich mit Deutschland verbinden? Man ist nur solange ein Verbündeten, so lange unsere Steuergelder nach Brüssel fließen und sich Italien, Frankreich usw vor der Staatsanleihe retten können. Deshalb Auch die negativ zinsen, müssten die Länder Zinsen zahlen, währen sie schon längst Zahlungsfähig.

theDude
2 Jahre her

einige schreiberlinge können es wohl nicht ertragen, dass der russe mal anders drauf ist wie angenommen und die klischees anders erfüllt als erwartet. so ist er nun mal der iwan unberechenbar & brutal.na dann hoffen wir mal, dass da ein gewisser umdenkprozess des werte-westens einsetzt, zeit & gelegenheit war genug…..

pbmuenchen
2 Jahre her

Wenn ich über eine Armee befehligen würde, dann würde ich ebenfalls dafür Sorge tragen, dass sich ausländische Söldner, Freiwillige und Hobbykämpfer nicht an Kampfhandlungen beteiligen. Da wurde von Putins Armee ein Zeichen gesetzt, welches hoffentlich seine Wirkung nicht verfehlen wird. Die EU und die NATO haben sich verkalkuliert, das wird aber leider nicht zugegeben und der ukrainische Präsident hat noch nicht kappiert, dass er trotz ursprünglicher Zusagen keine Unterstützung bekommen wird. Dumm gelaufen, vor allem für das ukrainische Volk.

November Man
2 Jahre her

So viel Blut klebt schon an den Händen der westlichen Waffenlieferanten und den Befürwortern. Die Vereinten Nationen (UN) zählen derzeit insgesamt 726 Zivilisten, die in diesem Krieg getötet wurden. Darunter 42 Kinder. 1.174 Zivilisten sind nach bestätigten Berichten verletzt worden. Die tatsächlichen Opferzahlen dürften jedoch deutlich höher liegen, da sich die Meldungen durch die Kämpfe verzögern. So meldet etwa allein die umkämpfte Stadt Mariupol am Mittwoch mehr als 2.400 getötete Menschen.

Gerdt Novak
2 Jahre her

Genau das ist der richtige Ansatz! Der erste Schritt muß die radikale Infragestellung der gesamten westlichen Politik gegenüber der Ukraine und Rußlands sein. Und im Zuge dieser Kritik wird man zwangsläufig feststellen müssen, daß der Defekt die usa sind. Sie sind das Problem hier.