Hans-Jürgen Papier zu EU-Verfahren gegen Deutschland: EU ist kein Staat und hat keine Allkompetenz

Hans-Jürgen Papier, Ex-Präsident des Verfassungsgerichts, befürchtet die Eskalation zwischen EU und Mitgliedsstaaten.

IMAGO / Jürgen Heinrich

Berlin. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hält das Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Deutschland für unberechtigt. Natürlich habe das Bundesverfassungsgericht das Recht, die nationalen Verfassungsgrundsätze zu schützen wie das Budgetrecht des Parlamentes. „Für mich hat das BVerfG völlig zu Recht einen integrationsfesten Kern des deutschen Verfassungsrechts betont, wozu insbesondere das Demokratieprinzip gehört“, analysiert Papier im Gespräch mit der Zeitschrift Tichys Einblick. „Hier ist der deutsche Gesetzgeber, selbst wenn er dies mit qualifizierten Mehrheiten beschließen sollte, daran gehindert, Hoheitsrechte so weit abzugeben, dass etwa das grundsätzliche Budgetrecht des vom Volk gewählten Parlaments ausgehebelt wird.“ In verschiedenen Entscheidungen habe das Bundesverfassungsgericht immer wieder betont, dass dieses Demokratieprinzip verletzt werde, wenn Deutschland „einer unlimitierten, unüberschaubaren und nicht eingegrenzten Haftung ausgesetzt würde“, so Papier. „Diese Haftung für fremde und nicht begrenzte Schulden würde das Budgetrecht des Bundestags in seinen Grundfesten treffen.“

Der EU rät Papier, den Streit nicht auf die Spitze zu treiben. Das Verfahren werde „zu einer Eskalation in diesem Spannungsverhältnis führen. Dabei ist dieser Konflikt letztlich unlösbar und müsste am Ende zwangsläufig zu einer grundlegenden Änderung der europäischen Verträge führen“. Zudem sei das deutsche Verfassungsgericht mit seiner Haltung keineswegs allein. „Alle Verfassungsgerichte, die mit vergleichbaren Kompetenzen wie das deutsche Bundesverfassungsgericht ausgestattet sind, dürften das im Grundsatz ähnlich sehen“, so Papier. Zudem sei im EU-Vertrag „ausdrücklich festgelegt, dass die Union die nationale Identität und die grundlegenden verfassungsmäßigen Strukturen der Mitgliedstaaten achtet und zu achten hat“, unterstreicht der Staatsrechtler. „Die EU ist eben kein Staat, kein Bundesstaat, sondern nach ihrer eigenen Verfassungsstruktur ein Staatenverbund besonderer Art, ein Verbund rechtsstaatlich und demokratisch verfasster Mitgliedstaaten. Sie hat deshalb keine Allkompetenz. Die EU und ihre Organe können sich nicht immer weitere Kompetenzen selbst zubilligen oder im Sinne einer staatlichen Allzuständigkeit selbst einräumen. Doch diese Gefahr besteht.“


Das ganze Interview in Ausgabe 12-2021 von Tichys Einblick >>>

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Kommentare ( 34 )

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caesar4441
3 Jahre her

Lieber Herr Papier ,

es ist sehr lobenswert ,daß Sie all das aufzeigen.Nur leider sind Sie zu spät dran.Sie hätten das in Ihrer aktiven Zeit als Sie die Werkzeuge zur Durchsetzung in der Hand hatten umsetzen müssen.Als Rentner haben Sie keine Möglichkeiten mehr.“Wer zu spät kommt,den bestraft das Leben!“

Innere Unruhe
3 Jahre her

Unter Demokratie verstehe ich, dass Stimmen aller Bürger gleich viel Wert sind. Dem ist aber nicht so. Ein deutscher Abgeordneter repräsentiert viel mehr Bürger als ein maltesischer. Will man Staaten gleich viel Macht geben, ist das richtig.
Aber nicht demokratisch, weil eine Stimme aus Malta ein höheres Gewicht hat als eine aus Deutschland.
EU kann nicht demokratisch sein, da sie sonst von den Paar bevölkerungsreichsten Staaten übernommen werden würde.

Johann Thiel
3 Jahre her

Wenn ich es im letzten Indubio-Beitrag auf Achgut richtig verstanden habe, hat sich Papier in einem Interview mit der Weltwoche grundsätzlich für einen Vorrang von EU-Recht gegenüber nationalem Recht ausgesprochen.

Dieter Kief
3 Jahre her

Die EU hat „keine Allkompetenz“, weil sie kein Bundesstaat ist, sondern ein Staatenbund.
Welche Kompetenz hat die EU überhaupt, rechtlich gesehen?

Stefferl
3 Jahre her

Alles, was Papier schreibt, ist im Grunde genommen richtig. Nur hält sich halt keiner aus der EU dran und es interessiert unsere Bundesregierung nicht die Bohne. Ganz im Gegenteil. Von unserer alten Regierung ist ja bekannt, dass in ihr Staatsfeinde*-,:X/Innen gesessen haben. Und in der neuen Regierung wird das mit den Linken und den Grünen wohl eher noch schlimmer werden.

Nibelung
3 Jahre her

Wenn die EU kein Staat ist, wie von Herrn Papier erwähnt, dann muß man sich die Frage stellen, wer auf Umwegen daran interessiert ist, diesen Tatbestand zu umgehen, denn viele Vorgänge lassen dann rechtlose Zustände erkennen und wenn das die Grundlage sein soll für eine Gemeinschaft, dann kann man es gleich vergessen. Einen Staat im Sinne der USA wird es in Europa niemals geben und deswegen könnte man sich auch Brüssel sparen, das ist eine politische Pseudovereinigung, wo der Wunsch größer ist als die Wirklichkeit und dem Gedanken der Gründerväter de Gaulles und Adenauer wiederspricht, die ein Europa der Vaterländer… Mehr

Sonny
3 Jahre her

WER in Deutschland wirklich und ehrlich vorhat, aufzuräumen, der sieht sich einem Kampf gegen Windmühlenflügel ausgesetzt.
WO soll man da anfangen?
WIE ist es möglich, dass Deutschland in jeden Bereich hinein angegriffen wird, ohne dass seine Bürokraten auch nur einen einzigen Finger dagegen rühren und die Menschen in die Sch… schubsen?
Die deutsche Gerichtsbarkeit ist bisher so gut wie tatenlos geblieben, was die Rechte des Einzelnen und des Staates angeht. Die Pflichten zu überhöhen und ausufern zu lassen, muss sich jeder einzelne Richter vorwerfen lassen. Auch diejenigen, die sich, jetzt im Ruhestand, endlich trauen, die Wahrheit zu sagen.

Bummi
3 Jahre her

Wir sind ein Anhängsel der EU, das ist wie die frühere Sowjetunion. Auch dieser fürchterliche Apparat wird zerfallen.

olympos
3 Jahre her

Die EU ist kein Staat, das vergessen viele. Die EU ist ein Haufen unkompetender Buerokraten, die sehr gut fuer nichts bezahlt werden.