Sind die zunehmend aufweichenden Grenzen zwischen Anzeige und Text der einzige Grund für den jetzt diskutierten Compliance-Kodex?
Nicht nur Werbung und Berichterstattung verschmelzen zunehmend. Ein Aufbrechen der Grenzen findet nicht nur auf dem Papier oder im Internet statt, sondern vor allem auf weiteren Geschäftsfeldern wie Podiumsdiskussionen, Kongressen, Preisverleihungen, wo die Teilnehmenden zahlen müssen. Hier entstehen viele kleine, feine Abhängigkeiten, an denen die Verschmelzung deutlich wird, weil Journalisten wie Wirtschaft Teil der Veranstaltungen sind. Viele Redaktionen tragen das mit, weil sie lieber sündigen als sterben. Unternehmen sehen aber nicht ein, für solche oft geradezu erzwungene Öffentlichkeit zu bezahlen.
Der Kodex argumentiert seine Daseinsberechtigung mit dem wirtschaftlichen Druck, dem Medienunternehmen ausgesetzt sind. Ist das der einzige Grund, weshalb Anzeigenabteilung und Redaktion näher zusammenrücken?
Das ist eine Wechselwirkung. Es gab ja eine Zeit, in der Werbung treibende Unternehmen viel und gerne Anzeigen geschaltet haben. Davon haben alle profitiert, keine Frage. Mit der Konjunktur- und Medienkrise wurde die Liebe aber auf Entzug gestellt, was die Lage der Medien natürlich verschärft hat. Das gilt für die regionale und überregionale Presse, für People- wie auch für Wirtschaftsmedien. Sie haben sich dann für neue Formate geöffnet, für die sicher auch eine Nachfrage vorhanden ist. Der Kodex stellt diese neuen Geschäftsmodelle nun aber wieder infrage. Das ist sicher auch ein Versuch der Unternehmen, ihre Kosten wieder in den Griff zu bekommen, und um nicht ständig auf irgendwelche Podien zu sitzen und fragwürdige Kongresse finanzieren zu müssen.
Es gibt aber auch neue Werbeformen im redaktionellen Umfeld, so genanntes Native Advertising. Kann diese Werbeform im redaktionellen Look trotz ordnungsgemäßer Kennzeichnung der Glaubwürdigkeit schaden?
Klar. Was häufig übersehen wird: Die Leser sind kritischer geworden. Das Internet mit seiner Vernetzung und Kontrollmöglichkeit führt dazu, dass sich vereinzelte Leser zur einer kritischen Masse verbünden. Es gibt eine Gegenöffentlichkeit. Das mögen Journalisten nicht so gerne hören – aber sie sind nicht mehr über Kritik erhaben, sondern deren Gegenstand. Die Redaktionen sind keine feste Trutzburg mehr, sondern ein offenes Haus. Das ist oft ungemütlich.
Zu Beginn der Woche wurde in einer Kündigungsmeldung von Siemens bekannt, dass die Kommunikationsabteilung des Konzerns mittlerweile rund 600 Mitarbeiter stark ist. Was sagt eine solche Armee über die Zusammenarbeit mit Medien aus?
Nicht viel. Ein guter Journalist wiegt einen Haufen PR-Leute auf. Unsere Freiheit ist groß. Wir müssen sie nur gut nutzen und uns nicht selbst versklaven.
Ist es Aufgabe der Wirtschaft für eine Trennung von Anzeigenabteilung und Redaktion in einem Medienunternehmen zu sorgen?
Nein. Umso schlimmer, dass sie es tun – müssen. Aber unser System von Öffentlichkeit funktioniert nur, wenn die Botschaften nicht durch den Überbringer entwertet werden. Unternehmen wollen nicht in den Geruch geraten, sich Journalisten gekauft zu haben, weil sie sich selbst damit unglaubwürdig machen.
Nun sind Medien in der Regel ohne Werbung nicht überlebensfähig. Hinter dem Compliance-Kodex stehen jetzt viele Dax-30-Unternehmen. Aber es gibt vielleicht auch einige, die genau auf diese intransparenten Werbeformen aus sind…
Die Compliance in Unternehmen hat in den letzten Jahren eine große Eigendynamik entwickelt. Es ist erst ein paar Jahre her, da konnten Bestechungsgelder noch von der Steuer abgesetzt werden. Heute wird in Unternehmen sehr vieles strenger geregelt. Man muss sich schon klar sein, dass dort ein dramatischer Wandlungsprozess stattgefunden hat. Journalistenreisen, Geschenke wie die eine besonders teure Flasche Wein zu Weihnachten, Einladungen zu Fußballspielen sind in der neuen Konzernkultur ja fast schon gleichzusetzen mit einer Straftat. Mit dem Leitfaden zum Umgang mit Werbung und Redaktionen versucht man jetzt auch diese Grauzonen auszuleuchten und unter Kontrolle zu bringen. Wenn das bei großen Konzernen gelingt, ist schon vieles gewonnen.
Würden Sie sagen, dass die klassische Wirtschaft verantwortungsbewusster ist als die Medien?
Auf viele Unternehmen trifft das zu, weil sie in dieser Richtung einem gewaltigen Druck ausgesetzt waren und sind. Die allermeisten Journalistenkollegen dagegen leben noch im Zustand der 80er-Jahre; zudem hat sich bei vielen die Einstellung verbreitet, die in den Unternehmen seien alles Schufte und nur Medien kämpften ganz allein für Gerechtigkeit und Anstand, vielleicht noch mit Greenpeace und BUND an ihrer Seite. Das ist ein seltsames Sendungsbewusstsein von Journalisten, das jetzt einen Gegenangriff erlebt von der Seite, die ständig angeklagt wird. Jetzt wird man selbst angeklagt. Und als Angeklagter steht man nicht mehr so gut dar. Die beantspruchte Sondermoral steht auf dem Prüfstand. Es hat ja was absurdes, dass die Süddeutsche sich als Stalinorgel des Finanzamt im Krieg gegen Steuerhinterzieher in der Festung Schweiz aufspielt und zusätzlich Steuerspartricks verbreitet. Und den Fall taz kann man sich gar nicht ausdenken, so schreiend komisch ist das: Die feiern jahrelang jeden Whistleblower als Revolutionshelden und rennen winselnd zur Polizei, wenn sie selbst mal verpfiffen werden.
Die taz selbst spricht davon, sie müsse wegen der Ausspähungen wieder Vertrauen erlangen. Andere Medien müssen sich Vertrauensverlust durch den Werbeeinfluss gefallen lassen. Ist der Vertrauensverlust in die deutsche Medienlandschaft gerechtfertigt?
Nein, weil viele tolle Kollegen einen guten Job machen. Ja, weil die Einseitigkeit der Berichterstattung in vielen Feldern Formen angenommen hat, die man eigentlich nur aus der Sklavenmoral der linken DDR-Partei-Journalisten zu kennen glaubte. Und, weil eine Art Meinungsjournalismus Überhand genommen hat, die nicht allein eine Ansicht wiedergibt – was ja ok ist – sondern der Recherchen von vornherein einen politischen Spin gibt. Menschen registrieren diese Tendenzen und reagieren mit Abwendung, weil sie sich zu Unrecht angegriffen fühlen und sich darüber austauschen können. Dabei entdecken sie, dass das keine Einzelfälle sind. Schlimmer noch: Jeder negative Einzelfall wiegt mehr als 10 Beispiele für guten, fairen Journalismus; so ungerecht ist das Leben. Mittlerweile lachen die Menschen sogar über Medien und ihre Berichte – das ist schlimmer, als schimpfen. Lächerlichkeit tötet.
Wenn die Wirtschaft nun einlenken sollte und auf transparente Werbung Wert legt, lassen sich die mittlerweile entstandenen Ausmaße wieder reduzieren?
Das wird schwer. Zumindest wird es nicht in absehbarer Zeit möglich sein. Die Ankläger sind zu Beklagten geworden. Man kann hier natürlich auch einen klugen Schachzug der Industrie erkennen.
Klingt wie ein Armutszeugnis für die Medien oder?
Ja. Armut im wahrsten Sinne des Wortes, weil die Situation aus wirtschaftlicher Not heraus entstanden ist. Es zeigt natürlich, dass die Medienkrise weiter fortschreitet. Dabei leben wir im Moment in einer ausgesprochen guten konjunkturellen Lage. Wenn es in der Hochkonjunktur nicht richtig läuft, dann kann man schon von einem echten Problem sprechen.
Jetzt, wo die Wirtschaft einen Compliance-Kodex aufgestellt hat, wird der auch wirklich helfen? Der Pressekodex scheint den Medien ja mittlerweile ziemlich egal zu sein.
Man sollte die Wirkung eines Kodex’ nicht unterschätzen. An diesem Papier saßen immerhin viele Verantwortliche. Und man macht sich in der Branche durchaus angreifbar, wenn man solche Richtlinien missachtet und damit auffällt. So ein Kodex hat schon einen verpflichtenden und normativen Charakter.
Erschienen auf Meedia.de am 27.2.2015, von Marvin Schade
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