Mit dem Ende der Volkspartei das Vielparteienparlament

Es fehlt nur noch die Aufhebung der Fünfprozentklausel und der Kreis zum ersten Bundestag 1949 mit elf Parteien ist geschlossen.

imago Images/Ralph Peters

Das Meinungsforschungsinstitut Forsa weist die Union aktuell auf demoskopisch 27 Prozent aus (Emnid mit 25). Vor der politischen Ausrufung der Pandemie hatte Forsa die Union auf 27 Prozent taxiert, noch früher, im Juni 2019 gar auf 24 Prozent. Im Juni 2020 gab dieses Institut der Union 40 Demoskopie-Prozente. Also plakativ: von 24 auf 40 Prozent und zurück.

Zum Vergleich mit anderen Instituten:

https://www.wahlrecht.de/umfragen/index.htm

Was ich von dem halte, was heute Umfragen, fast ausschließlich von Medien in Auftrag gegeben, an Ergebnissen abliefern, habe ich auf TE mehrmals geschrieben: Sie sind ganz offensichtlich nur noch Propagandastoff und sollen das auch sein. Dass ich hier trotzdem Demoskopisches traktiere, hat einen einfachen Grund. Unabhängig davon, was die einzelnen Zahlen als Prognosen wirklich wert sind, machen sie im Zeitverlauf klar, wie die Union den schon lange laufenden Abstieg der SPD nachvollzieht.

Über viele Jahrzehnte gab es immer die zwei deutlich größeren Parteien Union und SPD und die kleine Partei FDP, der sich dann die der Grünen hinzugesellte. Die Interpretation, die Grünen wären eine Abspaltung von der SPD, ist zwar etwas grob, aber nicht falsch. Übrigens waren die Grünen zum kleinen Teil auch eine Abspaltung von der sozialliberalen FDP, als Lambsdorff 1982 den größten Teil der Sozialliberalen aus der F.D.P. vertrieb.

Nachdem Schröder und Lafontaine die SPD zwischen sich zerrieben, wanderten mehr der dadurch Vertriebenen zu den Grünen als zur WASG und von dort zur von SED über PDS in Die Linke umbenannten Partei. Nicht nur Journalisten und Parteifunktionäre, sondern auch Politikwissenschaftler und Meinungsforscher ignorieren ein offensichtliches Phänomen – jedenfalls öffentlich: Die Wählerschaft von Grünen, SPD und Linkspartei ist inzwischen – neuhochdeutsch – ein einziges Cluster ohne Binnengrenzen: Innerhalb dessen können sich die Anteile vor allem in großstädtischen Milieus schnell verschieben, weil die Unterschiede im selben ideologischen Glaubensbekenntnis marginal sind.

Zwischen diesem grünrotdunkelroten Lager und dem politisch-inhaltlich diffusen Wählerbereich von Union, AfD und FDP gibt es Wählerbewegungen nur noch in eine Richtung, in die von Grünrotdunkelrot. Einen ideologischen oder grundsätzlich programmatischen Grund, warum Grüne, SPD und Linkspartei nicht eine einzige Partei bilden, gibt es nicht mehr. Bei Union, AfD und FDP ist das anders. Alle drei haben Wählersegmente, die woanders besser hinpassen als zu ihnen selbst.

Die Partei der Grünen von heute ist mit der bei ihrer Gründung nicht zu vergleichen, aber anders als bei der AfD kam es bei den Grünen durch den Verlust von bekannten Mitgliedern zu keiner Neu- oder Gegengründung wie der LKR bei der AfD. Die verbliebene Wählerschaft der AfD ist ebenso instabil wie die der FDP und weiter zunehmend auch die der CDU. Zwischen den drei letzteren bewegt sich wählermäßig nicht mehr viel, dagegen deutlich mehr zwischen den Wählerschaften der Drei einerseits – den Freien Wählern, Nichtwählern und Sonstigen andererseits. Wer nicht Grünrotdunkelrot wählen will, aber auch nicht AfD, hat nun mit den Freien Wählern einen neuen Fluchtpunkt – und die FDP genau da Konkurrenz.

Auch die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz schreiben den Trend der Auffaserung des Parteienspektrums fort.

Es fehlt nur noch die Aufhebung der Fünfprozentklausel und der Kreis zum ersten Bundestag 1949 mit elf Parteien ist geschlossen:

»78,5 Prozent der Wahlberechtigten gaben am Wahltag, dem 14. August 1949, ihre Stimme ab. 11 Parteien und Wählervereinigungen zogen in den Bundestag ein. Stärkste Fraktion wurden die Unionsparteien CDU und CSU. Sie erhielten 31 Prozent der Stimmen und errangen damit 139 von insgesamt 402 Bundestagsmandaten. Die SPD gewann 131 Sitze (29,2 Prozent), 52 Abgeordnete stellte die FDP und jeweils 17 die konservative Deutsche Partei sowie die Bayernpartei. Die Kommunistische Partei zog mit 15 Abgeordneten in den Bundestag ein. Auch kleinere Parteien wie die „Wirtschaftliche Aufbauvereinigung“ (zwölf Sitze), die katholische Zentrumspartei (zehn Sitze) und die Deutsche Konservative Partei/Deutsche Rechtspartei (fünf Sitze) schafften es ins Parlament. Einen Abgeordneten stellte der Südschleswigsche Wählerverband der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein. Daneben gelang drei Parteilosen der Einzug in den ersten deutschen Bundestag.«

Die Auffaserung des Parteienspektrums ist die Konsequenz des Endes der Volksparteien. Die Union ist nicht nur wieder da angekommen, wo sie 1949 begonnen hatte, sondern ist im freien Fall. Die SPD war nur so lange Volkspartei, wie sie versuchte, die bessere Union zu sein. Seit sie sich ins Sozialistische zurückentwickelt und dann auch noch die klassische Klientel der Arbeiter und Angestellten aus dem Blick verlor, ist es vorbei mit Volkspartei.

Die Auffaserung des Parteienspektrums signalisiert aber noch mehr: das Ende des Kartells deutscher Parteienstaat. Zu Karrieremaschine und Selbstbedienungsladen von sogenannten Berufspolitikern verkommen hat er die tatsächliche politische Macht an ein neues Kartell, das intransparente Netz von nicht Legitimierten verloren. Dass dieses Netz unbehindert wirken und wachsen kann, verdankt es seinen Leuten in allen Teilen von Staat, Politik, Gesellschaft und Medien.

Die parlamentarische Demokratie ist gescheitert. Den Resten von Föderalismus wird gegenwärtig der Garaus gemacht. Doch das alles ist nur ein Teil des politischen Kuturkampfs im ganzen Westen. Er wird neue Lösungen der Ordnung des Zusammenlebens der Menschen zutage fördern und zwar dezentrale, nicht zentralistische. Die Antwort auf das globale Dorf ist die lokale Welt.

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