Was Salvini in Draghis Fast-Allparteienkabinett bedeutet

Mario Draghi ist und bleibt der Mann der (Finanz-)Eliten und Salvini der der Mittelständler. Ein Europäist wird also einem Kabinett mit einem Souveränisten vorsitzen. Italien wagt ein interessantes Experiment.

IMAGO / Independent Photo Agency Int.
Matteo Salvini im Senat

Kaum war Giuseppe Conte als Premier in Ehren im Palazzo Chigi (und mit mehr als einer Million wohlwollender ‚Commenti‘ in den Sozialen Medien) verabschiedet und das 67. Regierungskabinett Italiens gebildet, gingen die Debatten schon los. War es eine kluge Wahl des italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella ausgerechnet Mario Draghi, 73, mit der Bildung der neuen Regierung zu beauftragen? Statt auf Neuwahlen zu setzen?

Ausgerechnet jenen Mario Draghi, der zwar ein ausgewiesener Experte der Wirtschaftswissenschaften und der Finanzen, nein, ‚des Geldes‘, ist, wie immer wieder betont wird, aber gerade deshalb auch sehr kritisch oder als falsche Wahl angesehen wird. Mario Draghi, der gebürtige Römer und bekennende Jesuit (er bewundert Ignatius von Loyola, den Mitbegründer des Jesuitenordens, der 1622 heilig gesprochen wurde), hat eine einzigartige Vergangenheit in der Finanzwelt (Mitarbeiter bei der Weltbank in Washington in den 80ern, Vorsitzender der Italienischen Nationalbank, Goldman-Sachs-Europa-Chef und später dann Chef der EZB), die stets kontrovers diskutiert wird und wurde. Seine ‚Whatever it takes‘-Rede, für den schwächelnden Euro ist weltbekannt – und Gegenstand von Lob der einen und Kritik der anderen. In Italien setzte er sich ebenfalls für Bankenrettungen mit Steuergeldern ein.

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Wie Il Giornale berichtet, ging Mario Draghis Auswahl als Premierkandidat durch den Staatspräsidenten eine Meinungsumfrage voraus. Eine von zwei Wissenschaftlern, Alessandro Amadori und Maria Cristina Pasquali, durchgeführte Studie zeige, dass der Wechsel zwischen Conte und Draghi, „ob vom Präsidenten und dem Palazzo in Auftrag gegeben, oder nicht, von der öffentlichen Meinung genehmigt wurde …“

Dieser Erhebung zufolge scheint der scheidende Premier Giuseppe Conte tatsächlich noch eine etwas höhere Bewertung und Beliebtheit unter den Bürgern zu genießen als Mario Draghi. Jedoch nur um einen Prozentpunkt (62 zu 61 Prozent). Der Konsens für den ehemaligen Präsidenten der EZB ist jedoch gleichmäßiger auf die verschiedenen politischen Lager verteilt. Giuseppe Conte, als „Anwalt des Volkes“, bekannt, hat in der Tat eine sehr geringe Wertschätzung unter den Mitte-Rechts-Wählern (nur 25 Prozent), während es für Draghi sogar 56 Prozent sind. Aber nicht nur da, auch unter denjenigen, die M5S, also die Fünfsterne-Bewegung wählen, sind die Prozentsätze hoch (75 Prozent für Conte und 58 Prozent für Draghi). Conte wurde zuletzt immer mehr als Anhängsel der EU, Merkels und von der Leyen wahrgenommen.

Zur Analyse gehörten auch Draghis Sprach- und Stilmittel. Daraus geht hervor, dass Draghi in seinen Sätzen mit Vorliebe das Wort ‚wir‘ benutzt, außerdem in relativ kurzen Abständen spricht, Pausen macht und oft Wörter wie Euro, Europa, die Welt, sowie Deutschland und Italien benutzt. Seine Art zu sprechen sei aber für den Normalitaliener kaum zu verstehen. Mindestens Abitur, so die Analysten und Experten, benötige man, um Draghi zu folgen. Das sei einfach der ‚Draghi-Stil‘.

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Wie konnte es dann nur geschehen, dass sich Premier Giuseppe Conte trotz seines Standings in der Bevölkerung das Heft so aus der Hand nehmen ließ mit einem billigen Trick des machiavellistisch agierenden Matteo Renzi, um danach kein Vertrauen und keine Mehrheiten mehr zu erhalten? Weil man Conte die Rolle des Notars und Vermittlers nicht mehr zutraute?

Es war wohl so, dass in dieser Pandemiepolitikkrise, die auch eine der EU ist, ein echter Testamentsvollstrecker her musste. Die Wissenschaftler kamen zum Schluss, dass „Conte international wahrscheinlich nicht mehr als voll wirksam in einer solchen Rolle angesehen wurde.“ Mario Draghi also als Testamentsvollstrecker, um Italien auch in eine von der EU vorgegebenen Rolle zu pressen? Draghi ist ja bekennender ‚Europäist‘, ein großer Sympathisant der EU. Und nun holt sich dieser neue Premier ausgerechnet die Lega und deren Leader Matteo Salvini an Bord?

Politik an der Mehrheit der Bürger vorbei unmöglich

Vielmehr war Mario Draghi so klug und auch gut beraten, keinen Politstart zu wagen, in dem eine Mehrheit der unzufriedenen Bürger mit der vorangegangenen Regierung, ausgeschlossen würde. Der Vertreter der Unzufriedenen und Oppositionsführer ist nun einmal Matteo Salvini, der Souveränist und EU-Skeptiker aus der Lombardei. Wer rund 50 Prozent der Wähler mit dem Mitterechtsbündnis hinter sich zu vereinen weiß, hat natürlich eine (Haus-)Macht.

Nun scheiden sich aber ausgerechnet an Salvini und dessen Lega die Geister, warum überhaupt und wie konnte Matteo Salvini nur diesem Kabinett Draghi beitreten? Nicht nur Diskussionen in der Lega intern und an der Basis, nein, auch viele interessierte Deutsche fragten mich (als Autor des Buches, „Reizfigur Salvini“, erhältlich hier bei TE), wie könne es nur sein, dass Salvini so eine Kehrtwende hin zu Draghi und damit zur EU mache? Sei er gar gekauft worden?

Salvinis Lega soll das Spiel mitgestalten

Auch der Schreiber dieser Zeilen war ob der zügigen Zusage überrascht und fragte sich ebenfalls, was den Ausschlag gegeben haben könnte. Doch lassen wir Matteo Salvinis Erklärungen zu all diesen Fragen, die ihm seit der Konstituierung des Kabinetts Mario Draghis gestellt wurden, einmal wirken. Allein, dass Salvini zu einer der gefragtesten Personen in den politischen Talkshows wurde, obwohl er bewusst (noch) kein Ministerium bekleide, zeigt die Wichtigkeit und den Stellenwert seiner Person und der Lega.

Beim öffentlich-rechtlichen Sender Rai 3 in der Sendung ‚Mezz‘ ora in piú‚ (noch eine halbe Stunde mehr) von der populären Moderatorin Lucia Annunziata moderiert, zeigte sich Salvini am Abend des Valentinstags sehr offen und redselig. Man muss wissen, Moderatorin Annunziata kann Politiker gut grillen und ist in der Vergangenheit auch manchmal mit Salvini aneinander geraten.

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Matteo Salvini also, ganz anders als Draghi auch für ‚Nichtabiturienten‘ gut zu verstehen (dies auch als Analyse in meinem Buch zu Salvini), berichtete keck lächelnd von insgesamt „zweieinhalb bis drei Treffen“ mit Mario Draghi. Die streng dreinschauende Moderatorin wollte denn auch wissen, worum es konkret gegangen sei und ob Draghi denn alle Forderungen zugesagt habe? Oder sei es eher so gewesen, dass Draghi Forderungen und Voraussetzungen einer Regierungsteilnahme stellte?

Matteo Salvini hörte aufmerksam zu, schüttelte den Kopf und meinte: „Also, die Gespräche verliefen alle sehr harmonisch, und wir von der Lega sagten ganz klar, um was es uns, aber allen Italienern so gehe… “. Nämlich, so Salvini weiter, um einen schnellen Neustart in Italien, Arbeit, Bildung, das Fortführen der Schulen und des Unibetriebs, müssten auch in dieser Pandemie gewährleistet werden.

Außerdem so Salvini ganz direkt, sei es ihm und der Lega auch darum gegangen, vielen Italienern in der Regierung wieder eine Stimme zu geben. Er hätte es sich recht einfach machen können, weiter in der Opposition bleiben und nur auf Fehler warten, um dann zu kritisieren. Nein, so Matteo Salvini, die Lega wollte wieder als „Teil der Mannschaft“ auf dem Feld stehen.

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Laut Salvini sei Draghi tatsächlich auf „unsere Bitten, weniger Forderungen“ der Lega, eingegangen. Als Riesenerfolg wertete Salvini, dass ein Ministerium für Kranke mit mentalen und physischen Beeinträchtigungen (Disabilität) nun von der Lega koordiniert werde. Auch das Ministerium für Tourismus, wo auch das „Made in Italy“ spiele, sei für die Lega wie geschaffen, worauf die Moderatorin spitz einhakte, ja, aber wohl nur für den Norden Italiens? Salvini schaute daraufhin drein, als hätte ihm jemand den Teller Tortellini geklaut, und entgegnete: „Ach, bitte nicht so. Tourismus in Italien, das wissen sie doch, betrifft das ganze Land, von Oben bis zur Stiefelspitze … wir haben ein sehr schönes Land.“

Auch den Bereich der ökomomischen oder wirtschaftlichen Weiterentwicklung wird die Lega nun zu verantworten haben. Hierzu meinte Salvini, die Lega wolle für Aufbruch stehen, weil auch „Tausende von Firmen, viele Unternehmer und Mittelständler, darum gebeten haben, dass wir uns in der Regierung mitbeteiligen …“ Ganz Italien, die Firmen wie die Familien brauchten wieder mehr „Planungssicherheit“.

Was ist mit der Migration? Salvini sagte, auch Draghi sei der Meinung, Italien und Lampedusa könnten nicht das Migranten-Camp Europas sein. Migration gehöre immer auch gesteuert und kontrolliert. Zu Europa nur so viel, Salvini wolle erreichen, dass die EU ein bisschen mehr die Belange Italiens berücksichtige, er sei nie gegen Europa gewesen.

In dieser Regierungsmannschaft sollen nun Liberale, Linke und Konservative sowie parteilose Experten an einem Strang für Italien ziehen. Salvinis Rolle in ihr könnte nicht zuletzt sein, Draghis verklausulierte Sprache für die Bürger und Mittelständler zu übersetzen, und deren Anliegen wiederum dem Ministerpräsidenten deutlich zu machen. Man darf gespannt sein auf dieses Experiment.

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Kommentare ( 9 )

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Wilhelm Roepke
3 Jahre her

Natürlich ist eine All-Parteien-Koalition zur Zeit einfach. Deutschland zahlt 200 Milliarden € und die werden jetzt gemeinsam verteilt. Da man sie keinem Italiener wegnehmen muss, lässt sich zügig Einvernehmen herstellen. Viel interessanter neben dem ganzen Wortgeklüngel wird, wie die neue Regierung migrationspolitisch wirklich handeln wird.

Denn wenn sich hier eine parteiübergreifende Mehrheitsmeinung herausbildet und die Lega auf EU-Ebene rehabilitiert wird, hat es unsere linkstickende Bundesregierung noch schwerer in Zukunft. Wir werden es sehen!

ChrK
3 Jahre her

Welche Rolle, offiziell und/oder anderweitig, spielt eigentlich Mattarella? Der scheint mir irgendwie nicht ganz koscher…

privilegierter Erpel
3 Jahre her

Warum sollte Salvini gegen die EU sein?
Italien ist auf der empfangenden Seite des Geldregens der Schuldenunion.

christin
3 Jahre her

„In Italien setzte er sich ebenfalls für Bankenrettungen mit Steuergeldern ein.“

Mit welchem Steuergeld? Ich vermute mal, mit dem Steuergeld der tumben (einfältigen) Deutschen.

Babylon
3 Jahre her

Warum macht Salvini „mit“? Die Antwort scheint relativ simpel. Salvini hat die Erfahrung gemacht, dass Einfluss auf politische Entscheidungsfindungen innerhalb einer Regierung ungleich größer ist als außerhalb in der Opposition. Draghi ist klug genug, die politischen Kräfteverhätnisse in Italien zu berücksichtigen und einen eingebundenen Salvini als weniger riskant zu sehen als einen Salvini, der im Fall eines Mißerfolges der Regierung Draghi sein wahrscheinlicher Nachfolger wäre. Im übrigen, Draghi kommt von „ganz oben“ wo Politik nach den Regeln des Schachspiels zelebriert wird, ganz kühl, rational und auf Spielgewinn focusiert. Schaun wir mal, was Salvini ist, nur Bauer oder Offizier, wenn Letzteres,… Mehr

Dr. Friedrich Walter
3 Jahre her

Früher haben die „Banker“ die Regierungen nur beraten, heute sitzen sie schon selbst auf den „Thronen“. Warum übertragen wir nicht gleich sämtliche Regierungsgeschäfte in der EU offiziell auf „Goldman-Sachs“ und „McKinsey“. Sie üben sie de facto ja ohnehin schon aus. Dann könnten wir sämtliche Ministerien und Parlamente abschaffen und müßten diese „unnützen Fresser“ nicht noch mit durchfüttern. Das käme wesentlich billiger.

Last edited 3 Jahre her by Dr. Friedrich Walter
Iso
3 Jahre her

Zunächst wird mal die fette Wurst verteilt. 200 Milliarden frisch gedruckte Euro, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Man wäre ja dumm, wenn man sich das entgehen lässt.

Schonclode
3 Jahre her

Italien wagt ein interessantes Experiment? Mitnichten Herr Deriu, mitnichten. Herr Draghi ist nur dazu da um den Schatz aus der Schulden Union zu heben. Den den die unselige Merkel, trotzt aller gegenteiligen Beteuerungen mit installiert hat. Natürlich wird Italien nict einen müden Euro aus dem „Corona Wiederaufbau Fond“ , So nennt sich das heute, zurück zahlen. Ist doch Ehrensache.

Holger Baade R.E.D.
3 Jahre her

Ja, Testamentvollstrecker des zu Tode besteuerten Deutschen Volkes.