Wohl dem, der eine Autofabrik hat – sie ist der Wohlstandsmotor: das Städteranking der WirtschaftsWoche mit verblüffenden Befunden.
Dass die Automobilindustrie für den Wohlstand in Deutschland wichtig, vielleicht sogar schon übermächtig ist, zeigen volkswirtschaftliche Daten, aber mehr noch das Alltagsleben in den Autostädten: Ein halbes Dutzend Museen, Arbeitskräftemangel und üppige Sozialleistungen in Ingolstadt (Audi), moderne Spitzenarchitektur anstelle der Notbauten in Wolfsburg (VW), Immobilienboom in Regensburg (BMW) und eine Aufholjagd mit neuen Arbeitsplätzen und messbar mit allen Wohlstandsindikatoren in Leipzig (Porsche und BMW) – die dynamischsten Städte Deutschlands sind die Autostandorte mit ihrem dichten Geflecht der Zulieferindustrie. Auch wenn die Autobauer in der Politik oft ausgebremst werden: Der führende Sektor baut seine wirtschaftliche Vormachtstellung immer weiter aus und ersetzt, was in der Chemie, Pharmazie und IT wegfällt. Und es sind längst nicht mehr nur die Autoklassiker München und Stuttgart. Es sind die mittelgroßen Städte, die profitieren. Zudem ist der Automobilbau längst nicht mehr geprägt von Männern mit ölverschmierten Händen, sondern von Ingenieuren und Akademikern, die wiederum Kunst, Kultur und Bildung gleichermaßen einfordern und leben – und von Seiteneinsteigerinnen auch am großen Steuerrad.
Überhaupt die mittelgroßen Städte: Sie prosperieren mit der höchsten wirtschaftlichen Dynamik und Lebensqualität. Sie bilden kreative Netzwerke entlang neuer Wachstumsachsen wie etwa die Rhein- Main-Metropolregion der vier Städte Frankfurt, Darmstadt, Mainz und Wiesbaden, die ausstrahlt und in kreativer Wechselbeziehung steht mit der Wissenschaftsstadt Heidelberg und der Technologieregion Karlsruhe.
Das ist nicht nur im Westen so: In Thüringen hat Jena Anschluss an die Spitze gefunden; Dresden, Potsdam, sogar das lange abgeschlagene Rostock haben sich als Zentren ihrer Region und mit klar umrissenen Schwerpunkten an den Wachstumszug gehängt. Aber das vom Datenmaterial umfangreichste Städteranking offenbart gnadenlos auch lokales Versagen.
Im Osten spaltet sich das Land entlang neuer Brüche. Chemnitz, Cottbus und Halle bestätigen noch immer das Klischee der verfallenden sozialistischen Stadt mit ihren Industrieruinen und sich entleerenden Plattenbauten. Und gleichgültig, ob es um das erreichte Niveau an wirtschaftlicher und sozialer Leistungsfähigkeit geht oder um die Veränderungsdynamik: Am unteren Ende der Tabellen knubbeln sich nicht mehr ostdeutsche Städte. Die neuen Elendsquartiere sind fast ausschließlich Ruhrgebietsstädte.
RUINEN DER ENERGIEWENDE
Zwar zeigen sich punktuelle Erfolge wie in Duisburg, das sich als Logistikzentrum neu erfunden hat. Aber die wahren Verlierer der Energiewende sind Städte wie Wuppertal, das früher so wohlhabende Krefeld oder Oberhausen, das einstmals so erfindungsreiche Remscheid wie die früher kraftstrotzenden Städte Bottrop, Herne und Gelsenkirchen: Sie trifft der staatlich verordnete Niedergang der großen bundesweiten oder regionalen Energieerzeuger, die Auswirkung auf die Zulieferindustrien und zunehmend der sich beschleunigende Zusammenbruch der Grundstoffindustrien. Seit die administrierten Strompreise explodieren, kollabieren die Edelstahlwerke, und es beschleunigt sich die Deindustrialisierung, weil Chemiefabriken und Weiterverarbeiter still und leise „Tschüss!“ zur früheren Herzkammer der Industrie sagen.
Es ist schwer für eine Stadt, vorwärts zu kommen, wenn die Schlüsselindustrien sterben, weil ihnen der Saft abgedreht wird. Und es ist ein Lehrstück über eine verächtliche Politik, die glaubt, dass Wirtschaft schon immer irgendwie und unbegrenzt weitergeht. Irgendwann geht sie weg. Eine Reise durch Deutschlands Städte zeigt Regionen der Tristesse – und Städte mit ungebrochenem Lebenswillen.
(Erschienen auf Wiwo.de am 07.12.2013)
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