Zwei führende Funktionäre der EZB hatten Markus Krall wegen seiner These der Zombifizierung der Wirtschaft durch die Niedrigzinsen angegriffen. Der Ökonom, der die Risikobewertungssysteme der meisten deutschen Banken entworfen hat, antwortet seinen Kritikern.
Es gibt Momente, da erbaut man sich an den neuen Einsichten eines guten Artikels zur Geldpolitik und es gibt solche, wo das trotz guten Willens nicht gelingt. Ein Musterbeispiel für Letzteres war der Artikel „Die Zombiekritik an der EZB ist einfach nur abwegig“ von Ulrich Bindseil (Generaldirektor Marktinfrastruktur und Zahlungsverkehr der EZB) und Jürgen Schaaf (Counselor des Exekutivrats der EZB), veröffentlicht jüngst in der Welt. Die Debatte mit Ulrich Bindseil hat Markus Krall auch per Video geführt.
Der Artikel setzt sich kritisch mit der von mir 2017 in dem Buch „Der Draghi Crash“ publizierten und nicht nur vom früheren Chefvolkswirt der EZB, Prof. Dr. Jürgen Stark, unterstützten These auseinander, dass der Nullzins, den die EZB durchgesetzt hat als Subvention für schlechte, unproduktive, ineffiziente und damit eigentlich gescheiterte Unternehmen wirkt, die so vor ihrer Pleite bewahrt werden. Diese Unternehmen laufen fortan als „Untote“ durch die Wirtschaft, ihre Pleite ist nicht aufgehoben, nur aufgeschoben. Man erkennt dies vor allem daran, dass die Zahl der Pleiten im Tandem mit der Zinspolitik seit 2008 stetig gefallen ist und nun den niedrigsten Stand überhaupt erreicht hat.
Was führen die Autoren ins Feld? Sehen wir uns das Punkt für Punkt an!
Zunächst wird argumentiert, dass alle Unternehmen von dem Nullzins profitieren, also gar nicht einzusehen sei, warum schlechte Firmen in ihrer relativen Wettbewerbsfähigkeit beeinflusst würden, und dass die EZB für ihr marktfremdes Überleben gar nicht verantwortlich gemacht werden könne.
Sodann wird mit dem zweiten Argument die Verantwortung an die Banken abgeschoben: Sie steuern ihr Risiko im Wege der Kreditentscheidung selbst und könnten ja wohl gute von schlechten Risiken unterscheiden. Die Autoren dokumentieren damit relativ geringe Kenntnis des Risikomanagements von Banken. Es ist nämlich mitnichten so, dass die Nullzinspolitik keinen Einfluss auf die Risikomessung und Risikosteuerung der Banken hätte. Diese Wirkung hat mehrere Aspekte: Der Nullzins senkt, wie empirisch nachgewiesen, die Zahl der Pleiten. Sie beträgt heute nur noch weniger als ein halbes Prozent pro Jahr gegenüber 1,5 – 2 % vor der Finanzkrise und damit vor der ultralockeren Geldpolitik. Dies hat die Banken dazu veranlasst (oder sollte ich schreiben: verleitet?), ihre Ratingsysteme für die Bewertung der Ausfallwahrscheinlichkeit einzelner Kreditnehmer entsprechend einzustellen, zu „kalibrieren“ wie man im Risikojargon sagt. Die Ratings werden so vergeben, dass die Summe aller Ausfallwahrscheinlichkeiten im Portfolio der Bank diesem neuen Durchschnitt von unter 0,5 % entspricht. Alle sind jetzt viermal so gut wie früher, obwohl diese Pleiten nur aufgespart sind.
Gleichzeitig zerstört der Nullzins die Trennschärfe dieser Ratingsysteme, also ihre Fähigkeit, die guten von den schlechten Kreditnehmern zu trennen, weil die Kennzahlen, die in diese Ratings eingebaut sind, nicht für eine Nullzinswelt konstruiert wurden. Ich sollte das wissen, denn 80 % aller Banken in Deutschland arbeiten mit Ratingsystemen, die unter meiner Federführung entwickelt wurden. Nehmen sie zum Beispiel die Kennzahl „Zins-Tilgungsdeckung“. Sie macht eine Aussage über das Verhältnis der Kreditraten zum freien Cash Flow. In einer Nullzinswelt ist die ganze Kennzahl bedeutungslos. Sie ist aber Bestandteil praktisch aller Ratingsysteme. Andere Kennzahlen werden in ähnlicher Weise verzerrt und so ihrer Risikodiskriminanz beraubt. Die Banken erkennen also die Zombies gar nicht so ohne weiteres.
Dazu kommt, dass die Banken, deren Erträge ebenfalls durch die Nullzinspolitik massiv erodiert und zerstört werden, hungrig nach Erträgen sind, was einen hohen Anreiz gibt, bei der Kreditvergabe eben entweder weniger vorsichtig zu sein oder zumindest nicht den wahren risikoadjustierten Zinssatz zu verlangen. An dieser Erosion sind nicht die Banken schuld, sondern die EZB. Es gehört zu den Nebenwirkungen ihrer falschen Medizin. Das Argument „wir haben ja die Banken und die verhindern das Schlimmste“ ist also eine Schutzbehauptung, oder, in der Sprache der Autoren dieses Konvoluts: Ein Ablenkungsmanöver.
Als nächstes wird eine Studie von Maurice Obstfeld (2018) zwar nicht zitiert, so doch herangezogen, der angeblich gezeigt habe, dass die Zombielandschaft in Europa ganz unterschiedlich aussieht und daher der Nullzins als Ursache nicht in Frage komme. Sagen wir es mal so: Von diesem Obstfeld wird kein Apfel einem Newton auf den Kopf fallen. Sieht man sich die zitierte Studie des früheren IWF-Volkswirts nämlich an, so fasst dieser selbst seine Ergebnisse wie folgt zusammen:
- Zombieunternehmen überleben länger, wenn sie Kreditkunden schwacher Banken sind.
- Das erklärt sich durch das Insolvenzregime, dem eigentlich insolvente Firmen unterliegen.
- Zombifizierung wirkt auf die Produktivität einer Volkswirtschaft durch Fehlallokation von Kapital
- Zombieiunternehmen nehmen gesunden Firmen Kredite weg (Crowding out)
Zur Frage der Beziehung von Zombies und Geldpolitik macht der Autor nur einige allgemeine Anmerkungen, wo in der Literatur welche Aspekte dazu diskutiert werden.
Das ist das krasse Gegenteil von dem, was die Autoren Bindseil und Schaaf in ihrem Artikel in der Welt behaupten. Offenbar sind die Autoren davon ausgegangen, dass keiner ihrer Leser bei Obstfeld nachliest. Die Schlussfolgerungen, die Obstfeld selbst in seinem Artikel zieht, widersprechen der Zombiehypothese jedenfalls nicht.
Als nächstes wird gegen die Zombifizerungshypothese unter Anrufung von Schumpeter selbst ins Feld geführt, dass das Scheitern von Unternehmen nicht zur Gründung von neuen Unternehmen führt. Mit Verlaub, das behauptet die Zombiehypothese auch gar nicht. Sie sagt nur: Die freiwerdenden Produktionsmittel finden neue Verwendung in effizienteren, produktiveren Strukturen. Wäre es anders, würde die Tatsache, dass wir langfristig 1,5 bis 2 % Pleiten pro Jahr haben, nach wenigen Jahrzehnten unweigerlich zu einem Sterben der Marktwirtschaft führen. Das kann man aber beim besten Willen empirisch nicht beobachten.
Die als nächstes in den Raum gestellte Behauptung, dass in einem Umfeld schwacher Kreditnachfrage der Kredit an ein Unternehmen nicht den Kredit an ein anderes Unternehmen verdränge, sondern einfach ein „strukturelles Problem“ sei, macht es nicht wirklich besser, weil auch das von der Zombiehypothese gar nicht behauptet wird. Wenn so ein Argumentationsbruch einmal passiert, kann man von Nachlässigkeit in der Argumentation sprechen. Wenn er sich wiederholt, ist es ein Muster: Man unterstellt einfach, dass die angegriffene Hypothese etwas behaupten würde, was nicht stimmt – und hat dann kein Problem, das zu widerlegen. Das ist intellektuell schlicht unehrlich. Die einzig alternative Erklärung wäre, dass man die Hypothese, die man so heftig kritisiert, nicht verstanden hat, oder beides.
Nach solcher der Logik widersprechenden, also vergeblichen Kritik an der Hypothese, dass die Geldpolitik der EZB unsere Unternehmenswelt planwirtschaftlich kaputt macht, also zombifiziert, wenden sich die beiden EZB-Autoren der Apologetik der verfehlten EZB-Geldpolitik im Allgemeinen zu.
Das beginnt mit der kühnen Behauptung, es sei gelungen, die faulen Kredite in den Banken von Euroland in den letzten Jahren von 1.000 Milliarden Euro auf unter 600 Milliarden Euro zu reduzieren. Das Beste daran: Wenige Zeilen weiter oben weisen uns die Autoren selbst darauf hin, wie Banken es hinbekommen, durch das sogenannte „Evergreening“ fallierte Unternehmen in ihrer Bilanz gesund aussehen zu lassen, nämlich durch die Vergabe frischer Kredite an ausgefallene Firmen, die das neue Geld für Zins und Tilgung einsetzen und so die Scheinwelt der weiteren Bedienung der Kreditraten aufrechterhalten. Und da fragen sich die Autoren nicht, ob das die Methode sein könnte, mit der diese gewaltige Reduktion fauler Kredite wahrscheinlich bewerkstelligt wurde? Wo bitte soll diese Gesundung angesichts der gesamtwirtschaftlichen Lage in Italien, Griechenland etc. denn sonst herkommen? Als alternative Erklärung bietet sich höchstens noch an, dass man die schon im Grab liegenden fallierten Unternehmen mit Hilfe von Nullzinsen noch mal als Zombies hat auferstehen lassen. Ermutigend ist das auch nicht wirklich.
Doch damit nicht genug! Die beiden europäische Staatsdiener müssen natürlich auch nochmal das unverrückbare Ziel der Geldpolitik der größten Bad Bank aller Zeiten in Erinnerung rufen: „Preisstabilität, definiert als 2% Zielinflation“. Dazu gehört: Steigende Zinsen wirken „disinflationär“, sind mithin das Böse schlechthin und politisch „nicht durchzuhalten“. Endlich ein Schimmer von Wahrheit und Realitätssinn in all diesem Apologismus. Das ist nämlich der Kern der Sache: Die EZB kann keine an echter Geldwertstabilität orientierte Politik machen, weil sie dafür keine politische Mehrheit in den Südländern Europas bekommen kann und also dies im Zentralbankrat nicht durchhalten könnte.
Danke, ich habe keine weiteren Fragen.
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Herr Krall,
die These, daß Zombiefirmen Dinge herstellt, die keiner braucht teile ich nicht. Denn dann werden sie über kurz oder lang keine Abnehmer mehr finden und den Weg alles Irdischen gehen. Jene mögen ineffizient arbeiten, das sei akzeptiert.
Definitiv bin ich erstaunt über so manche Kreditvergabe, die vor Jahren nicht realisierbar gewesen wäre. Die Insolvenzverwalterszene hat sich zueigen gemacht, rigoros Zahlungen der 4 Jahre vor Insolvenzeintritt anzufechten. Dadurch halten sie sich am Leben und schaffen sich neue Fälle, denn in der Folge sind aufgrund deren Forderungen gesunde Unternehmen bereits mit platt gemacht worden. Die Rechtssprechung ist Steigbügelhalter und hat die vorinsolvenzliche Sanierungsberatung von Kapitalgesellschaften faktisch abgeschafft, da die Risiken in einem sich verschlechternden wirtschaftlichen Umfeld immens sind. Wenn die erste Zombies fallen und das erfolgreiche Vorgehen der Anfechtungen anhält, dann gibt es ein Gemetzel, bei dem man weit… Mehr
Herr Krall, Sie werden doch nicht erwartet haben, dass Ihre Analysen – die letztlich das Scheitern der seit Jahren betriebenen Verschuldungs- und Niedrigzinspolitik und damit das Versagen der „Eliten“ vorhersagt – auf die Bereitschaft zur konstruktiven Auseinandersetzung stoßen würden. Wir sind seit vielen Jahren in vielen Bereichen – Energiepolitik, Finanzpolitik, Migrationspolitik etc. – der rein ideologisch begründeten Willkür der Regierenden ausgeliefert, jegliches Einräumen von Fehleinschätzungen würde ob der enorm weit fortgeschrittenen Beschädigung der Wohlstandsbasis zur sofortigen Revolution der an der Nase herumgeführten Bürger führen. So werden die falschen Politiken solange es eben geht mit allen Mitteln als „alternativlos“ verkündet. Da… Mehr
Egal auf welchem Gebiet, politisch, wirtschaftlich oder eben gerade im Bereich Finanzen, es wird nur noch auf Zeit gespielt. Jeder Fachmann WEISS und einige sagen es eben auch ganz offen, das hier schon lange eine Blase und eine verschleierte Finanzkrise herrscht, die nur durch permanentes Gelddrucken immer wieder verschoben wird, aber auch mal ausbrechen muß und wird, weil das eben nicht dauerhaft gemacht werden kann. Vor allem nicht in Zeiten einer Wirtschaftsabkühlung und Rezension. Der Klimahype wird das nur verstärken und beschleunigen, denn er schadet der Wirtschaft zusätzlich und verursacht Kosten, die bislang noch nicht einmal abzusehen sind, aber von… Mehr
Das Blame Game hat begonnen. Demnach geht man in der EZB nicht mehr davon aus, dass die Dämme noch lange halten werden.
Zombis gibt es überall in der Wirtschaft, die entweder durch niedrige Zinsen am Leben gehaltenwerden, oder deren Abschreibungen höher als die Verluste sind. So mancher Autohausgruppe steht das Wasser bis zum Hals, und man muss schauen, ob man noch mehr als 5 oder 10 Fahrzeuge in Zahlung nehmen kann. Ebenso sind die erneuerbaren Energien Zombis, die nur durch unendliche Dauersubvention am Leben gehalten werden. Die von den Verbrauchern erhobenen Zwangsabgaben auf allerlei Entgeldte, von denen man bisher nichts ahnte, und der Fantasie der Betreiber breiten Raum geben. Aber von einem Land, das mehr Akademiker als Facharbeiter ausbildet, sich bürokratisch organisiert,… Mehr
Fakten zählen nicht im postfaktischen Merkel-Land. Fakten sind nämlich Nazi und werden deshalb nur von der AfD bemüht!