Ernüchterung kehrt ein, betrachtet man die erreichten Substitutionsgrade der Fossilen durch Erneuerbare für die einzelnen Anwendungsbereiche in der Vorschau der Internationalen Energieagentur (IEA) in Paris bis 2040. Warum, erklärt Professor Günter Pusch.
Die anhaltende Debatte über die Kontrolle der Einwanderung von politisch und religiös verfolgten Menschen nach Europa (Flüchtlingsproblematik) hat viele der ungelösten Konflikte innerhalb der Staatengemeinschaft und insbesondere innerhalb der EU in den Hintergrund gedrängt, wie beispielsweise die Finanzprobleme in Griechenland oder die zukünftige Energieversorgung Europas. Damit ist sie aber nicht weniger wichtig geworden, um die EU fit zu machen für das Funktionieren ihrer Märkte.
Der Kernenergieausstieg in Deutschland nach dem Reaktorunfall in Fukushima in 2011 hat gezeigt, wie radikal politische Entscheidungen getroffen werden können, wenn die Politik auf einen fühlbaren Konsens mit der Bevölkerung bauen kann. Allerdings kann die Politik diese Ziele nur vorgeben, verwirklichen müssen sie die Energieversorger.
Die Notwendigkeit einer Substitution der Fossilen Energien
Die Dringlichkeit der Vermeidung lebensfeindlichen Umweltbedingungen anhand von Fotos aus den Metropolen der bevölkerungsreichen Staaten erübrigt die Diskussion, ob die CO2 Emissionen allein für die Klimaveränderungen verantwortlich sind oder nur zum Teil, da kein Mensch unter solchen Umweltbedingungen, die von der Verbrennung fossiler Brennstoffe stammen, leben möchte. Es sind nicht nur die Staubpartikel, sondern auch die übrigen Abgasbestandteile wie Kohlenmonoxid, Stickoxide, Schwefeldioxid und Dioxine, die auch in kleinsten Mengen aber dauerhafter Exposition zu Gesundheitsproblemen führen können. Daher müssen die Emissionen reduziert werden. Das aber geht trotz gesetzlicher Abgasnormen nur bei gleichzeitiger Reduktion der verbrauchten Brennstoffmengen und erfordert eine Verminderung des Primärenergieaufkommens durch die fossilen Energieträger Kohle und Erdöl.
Substitutionsschritte
Das Pariser Klimaschutzabkommen (COP21) 2015 hat einen Fahrplan für die Veränderungen bis 2040 vorgelegt, der von Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern unterschiedliche Maßnahmen eines Gesamtpakets und unterschiedliche Umsetzungsgeschwindigkeiten verlangt. Der Fokus dieser Maßnahmen aber besteht in einer konzertierten Aktion, in die alle wie in einem Orchester eingebunden sein sollten. Es fehlt bisher nur der Dirigent.
Die Internationale Energieagentur (IEA) in Paris hat für diesen Fahrplan die Auswirkung auf den Energiebedarf und die Rolle der einzelnen Energieträger nach einem Teilausstiegs-Szenario aus den fossilen Energien berechnet und das Prognosemodell, „New Policies“ benannt, im Weltenergieausblick 2015 (WEO 2015) vorgestellt. Die wesentlichen Annahmen, die konform zum COP21 stehen, sind in der nachfolgenden Tabelle aufgeführt.
BBL= Barrel, 1Barrel entspricht ca. 159 Liter
In Spalte 3 der Tabelle werden auch die Risiken benannt, die bei der Verwirklichung der Maßnahmen auftreten können. Wirtschaftswachstum, Energiepreisentwicklung und technologische Fortschritte können weder angeordnet noch mit größerer Sicherheit vorhergesagt werden. Daher müssen auch andere Szenarien betrachtet und von der Politik vorgehalten werden (Plan B).
Für das Szenario „New Policies“ berechnet die IEA die in der folgenden Abbildung 1 dargestellte, globale Energiebedarfsentwicklung. Die Verbrauchseinheiten werden in Milliarden Tonnen Erdöl, äquivalent aus den Brennwerten und Verbrauchsmengen der unterschiedlichen Energieträger umgerechnet, dargestellt.
Der Rückgang des Bedarfs an fossilen Energieträgern (Kohle, Erdöl) als Folge von COP21 ist am Abknicken der Bedarfszuwächse für Kohle und Erdöl und dem gleichzeitigen Anstieg des Anteils der erneuerbaren Energien zu sehen. In den Schwellenländern und zum Teil auch in den Industrieländern steigt der Anteil der Kernenergie leicht an. Im Großen und Ganzen bleibt aber auch in 2040 ein Anteil von 75 Prozent von den Fossilen zu tragen, wobei Kohle und Erdöl teilweise vom Erdgas verdrängt werden.
Abbildung 1: Globaler Energiebedarf für unterschiedliche Energieträger (BGR 2015)
Der zeitliche Maßstab für eine nachhaltigere Einbeziehung der Fossilen ist also weiter über die erste Hälfte dieses Jahrhunderts hinaus zu verlängern. Vergessen wir dabei nicht, dass die hier erwarteten Innovationen zum Teil noch in den Kinderschuhen stecken (Elektromobilität, Energiespeicherung, Brennstoffzellen) und für die globale Umsetzung auch aus administrativen Gründen oft Jahrzehnte erforderlich sind.
Ich möchte mit dem Ausdruck Utopien vorsichtig umgehen, aber auch das Klimaschutzziel der Bundesregierung, bis 2050 im Stromsektor ca. 50 Prozent des Energieverbrauchs einzusparen, stellt eine gewagte Annahme dar. 70 Prozent des Stromverbrauchs sollen dann von den Erneuerbaren abgedeckt werden. Nicht zu vergessen, dass der Stromsektor nur etwa 40 Prozent des gesamten Energiebedarfs in Deutschland darstellt. Wenn schon die Bundesrepublik Deutschland mit den ambitionierten Vorgaben Schwierigkeiten bekommen kann, wie soll der Rest der Welt mit weniger ambitionierten Motiven damit klarkommen?
Ernüchterung kehrt ein, betrachtet man die erreichten Substitutionsgrade der Fossilen durch Erneuerbare für die einzelnen Anwendungsbereiche in der Vorschau bis 2040.
Finanzierung
Der drastische Ölpreisverfall auf unter 30 US $ pro Barrel Öl hat bereits zu einem Investitionsrückgang für die Entwicklung und die Neuerschließung von Öl- und Gasfeldern im Umfang von geschätzten 150 Milliarden Dollar 2015 geführt. Um die angemessene Versorgung mit Öl und Gas zu gewährleisten sind aber anhaltende Investitionen von mehr als 800 Milliarden Dollar pro Jahr erforderlich. Wer kann es dieser Industrie verübeln, wenn angesichts immer weiter steigender staatlicher Auflagen für die Erschließung weiterer Öl- und Gasvorkommen eine Mindest-Planungssicherheit gefordert wird, zumal der Staat ja üppig mitverdient.
Von jedem verdienten „Petrodollar“ erhält der Fiskus mindesten 20 Cent für die Überlassung der Gewinnungsrechte, sowie zusätzliche Körperschafts- und Ertragssteuern. Wenn die verbliebenen Einnahmen zum Teil in die Herstellung von verkaufsfähigen Produkten investiert werden, verdient der Staat wiederum ca. 60 Cent (BRD) pro Liter als Energiesteuer und noch einmal an der Mehrwertsteuer.
Die Energiewende erfordert steigende Investitionen in die Erneuerbaren von bis zu 250 Milliarden Dollar pro Jahr, um den Anteil global auf ca. 20 % bis 2040 zu steigern (Abbildung 2). Wo sind die risikobereiten Investoren zu finden, wenn gleichzeitig die Konkurrenz der Fossilen bedient werden muss? Ein Ausfall der „Brückenenergie“, wie die Politik die fossilen Energieträger gerne nennt, hätte fatale Folgen für alle an ihren Komfort gewohnten Bürger, welche eine sichere Energieversorgung erwarten.
Die IEA hat ein Szenario betrachtet, wenn die Investitionen in die Entwicklung der bestehenden Öl- und Gasfelder unterblieben. Das hätte einen starken Einfluss auf die Aufrechterhaltung der Förderkapazitäten und schließlich einen Abfall der Produktion und der Versorgung der einzelnen Abnehmersparten zur Folge.
Es kann daraus geschlossen werden, dass bereits nach einem Jahr erhebliche Behinderungen des Straßen- und Flugverkehrs eintreten würden. Die in der Grundlast gestörte Stromversorgung zwingt zu Stromabschaltungen für die Haushalte und beeinträchtigt die industrielle Produktion von Stahl, chemischer Produkte, Baustoffen und Papier nach 2 Jahren. Öl- und Gasheizungen blieben nach dem zweiten Jahr kalt. Die Kunststoff- und Pharmaproduktion auf Öl-Basis erlitte nach 3 Jahren einen Kollaps, sodass die Gesundheitsdienste den Notstand ausrufen müssen.
Abbildung 2: Investitionsbedarf zur Entwicklung der erneuerbaren Energien nach WEO 2015,„New Policies Scenario“
Um solche Entwicklungen vermeiden zu helfen, muss daher Vorsorge getroffen werden, dass die Basisenergie der Fossilen bei Nichteinhaltung der „Fahrpläne eines Ausstiegs“ länger zur Verfügung steht, also gestreckt werden kann. Kein Fachmann wird die Endlichkeit der Vorräte an Fos-silen und insbesondere des leicht gewinnbaren Öls bestreiten.
Verfügbarkeit der Ressourcen
Ich möchte hier kein eigenes Themenfeld eröffnen, sondern nur auf die fatalen Umstände verweisen, dass die umweltschädlichsten Brennstoffe, wie z.B. Braunkohle, relativ einfach zu gewinnen sind und daher für Entwicklungsländer immer ein attraktives Ziel zur Eigenversorgung darstellen.
Bei allen drei Energieträgern stehen Ressourcen zur Verfügung, die deutlich mehr als das Hundertfache der Jahresproduktion umfassen. Der Schwierigkeitsgrad zur Förderung über Bohrungen und Schächte im Tiefbau und Tagebau, sowie zur Aufbereitung des Rohstoffs steigen mit zunehmenden Abbauteufen und der topografischen Zugänglichkeit. Damit steigen aber vor allem die Kosten und erlauben eine wirtschaftliche Förderung nur bei angemessenen Rohstoffpreisen. Die gegenwärtige Niedrigpreissituation, die für die Verbraucher so angenehm ist, kann nur als vorübergehender Verteilungskampf verstanden werden, da einige Förderländer (Saudi-Arabien, Russland, Golfstaaten, Iran) ihre Staatsausgaben mit Öleinnahmen finanzieren müssen und daher keine Wahl haben, als den Ölhahn stärker zuzudrehen. Langfristig wird der Öl- und Gaspreis steigen.
Wirtschaftlich förderbare Reserven verlangen, nachdem die leichtgewinnbaren Reserven zum größten Teil bereits gefördert worden sind, einen wachsenden Öl- und Gaspreis. Für Kohle werden wegen der Wettbewerbsnachteile (Emission, Transport, Rückstände), geringere Preise auf Energieäquivalenzbasis erzielt. Somit bleibt sie stets im Spiel. Aus der Sicht des Umweltschutzes sind 3 Risikoklassen zur Entwicklung von Öl- und Gasvorkommen mit steigenden Risiken für die Umwelt zu unterscheiden (Globaler Jahresverbrauch ca. 4,5 Gt):
- Gewinnung von Restöl aus den bekannten Lagerstätten (Potenzial 40 Gt )
- Erschließung von Schieferöllagerstätten in bekannten Regionen (Potenzial 150 Gt)
- Neuerschließung von Tiefseelagerstätten und Lagerstätten in Polarregionen (410 Gt)
Der Ölpreis und die Klima- und Umweltschutzauflagen bestimmen letztlich, welche Technologien zum Einsatz kommen werden. Hierüber hat die IEA nur vage Prognosen.
Bei der Erstellung des Energiebedarfsausblicks im Oktober 2015 betrug der Ölpreis noch rund 50 US $/BBL. Das Niedrigölpreis-Szenario ging daher von dieser Schwelle aus. Mittlerweile ist der Ölpreis unter 30 US $/BBL gesunken und die Extrapolation muss einen neuen Schwellenwert zugrunde legen. Es besteht aber kein Zweifel, dass der Aufwärtstrend mit zeitlicher Verzögerung einsetzen wird und das Preisniveau der IEA-Experten wegen der aufwendigeren Technologien zur Ölförderung und der Konsolidierung der Märkte auch erreicht wird. Die Frage ist nur wann? Auf diese Situation müssen sich die Verbraucher zukünftig einstellen.
Abbildung 3: Ölpreisentwicklung nach WEO 2015 – Stand Oktober 2015
Fazit
Wenn die fossilen Energieträger nach dem Willen der Signatarstaaten des Pariser Klimaschutzabkommens eine Brückenfunktion übernehmen sollen, müssen die unterschiedlichsten Szenarien der Energiebedarfsentwicklung betrachtet werden, um Alternativen bei Nichteinhaltung des Fahrplans bereit zu halten und den Versorgern die benötigte Planungssicherheit für ihre Investitionen zu geben. Das betrifft beide Seiten, die fossilen und die erneuerbaren Energien. Nur so kann die Versorgungssicherheit von den Konzernen erwartet werden. Die Politik ist gut beraten, wenn sie von radikalen Schritten bei der Umsetzung der COP21 Beschlüsse absieht, um nicht – sprichwörtlich – den Ast der Fossilen abzuschneiden, auf dem wir gerade sitzen. Wildwuchsschnitt ist aber statthaft.
Professor Dr. Günter Pusch ist Sachverständiger für Erdöl- und Erdgaslagerstätten.
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