Bei Anne Will: Wenn auf einmal zu viele Fremde kommen …

So, hat jetzt auch wirklich jeder unserer geistig politischen Klasse was zum Brexit gesagt? Sie noch nicht, Herr Röttgen? Ah, und Frau Wagenknecht auch noch nicht? Dann kommen Sie herein zu Anne Will.

Screenprint: ARD/Anne Will

Gleich zu Anfang wollen wir monieren, dass zu diesem emotionalen Thema keine Gefühlskanonen der Kalibergröße Claudia Roth aufwärts geladen waren, andererseits können wir als Entschuldigung durchgehen lassen, dass unsere TV-Zuschauer bei EU-Themen eh nicht abstimmen dürfen und das auch nie so weit kommen wird. Man sieht ja, was man davon hat.

Zunächst die anderen Gäste, dann CDU-Jurist und Linkspopulist**. Greg Hands, Tory-Abgeordneter und ehem. Staatssekretär im britischen Außenhandelsministerium findet den Vertrag, den May mit der EU aushandelte, zu unvorteilhaft für Britannien und eine Zollunion, bei der die Bedingungen von Brüssel verhandelt werden, nicht akzeptabel, denn die englische Geschichte lehrt, wer „keinen Platz am Tisch hat, steht bald auf der Speisekarte“. Jolly Good! Jean Asselborn, Sozialist, Gewerkschafter und Luxemburgs Außenminister weiß nur, dass „die EU alles gegeben hat“, so dass wir ihn hier gleich verabschieden können. Die Journalistin Kate Connolly (Guardian) wurde ein wenig vorgeführt wie früher im DDR-Fernsehen Wessis, die nach Osten ‘rübergemacht hatten, weil es in der BRD so furchtbar sei. Kate hat nämlich einen deutschen Pass beantragt (und bekommen), „weil sie sich nicht mehr ernst genommen fühlt von der britischen Politik und ich meine Kontrolle zurückhaben wollte“. Damit sie aber nach ein paar Jahren nicht ähnlich bedröppelt dastehen muss wie die Wessis, die dem real existierenden Sozialismus auf dem schnellsten Wege wieder entkommen wollten, behält sie auch ihren britischen Pass. No Problem, Kate, in Germany, no problem.

Natürlich vergessen wir nie, für welche politische Gangsterbande (und an deren Bekehrung möge glauben wer will) Sahra Wagenknecht antritt, aber sie wäre nicht Deutschlands führende Populistin, wenn wir nicht auch immer wieder mit dem Kopf nicken müssten, wenn sie was sagt. Das britische Nein-Votum sei „gegen diese EU wie sie heute ist“. „Warum verliert die EU denn ihre Popularität in vielen Ländern?“. „Die EU sät Zwietracht“, mei, wir nicken und nicken, und dann kommt‘s noch besser: „Juncker ist der Bodyguard der Steuerhinterzieher.“ Vier Punkte auf der Populistenskala!

Mit „Sie sind ja Jurist“ wird Norbert Röttgen vorgestellt, und der belehrt uns denn auch, dass Zollunion und Warenfreiheit „zwei verschiedene Paar Schuhe“ sind. Außerdem, Grenze zu EU aber zu Nordirland nicht, das gehe natürlich nicht, daher plädiert er für den Backstop, der die Angelegenheit zwei Jahre aufschiebt. Wir lernen, dass der Auflösungsvertrag 600 Seiten umfasst – viel Platz für Finten. Und er verschont die Briten nicht mit dem alten Juristenscherz, „aus einem Ei ein Rührei machen, geht, aber umgekehrt nicht“.

Nun ist die Lage verfahren im englischen Unterhaus, aber auch da hätte Norbert eine Lösung: Jetzt muss es das Parlament machen, und zwar die Abgeordneten ohne Fraktionszwang. Das sagt der Mann aus der Partei, in der die Abgeordneten einst nicht mal austreten durften ohne schriftliche Genehmigung von Volker Kauder. Aber eigentlich plädiert er für ein zweites Referendum, deshalb hat er den Briten (mit SPD und Grünen) – in völliger Unkenntnis der britischen Mentalität – einen offenen Brief geschrieben und noch einen Artikel hinterhergeschickt.

Eine Polemik gegen die EU-Polemik
Brexitus oder: Die Arroganz der Macht
Der Brief war „nicht hilfreich“ ätzte Sahra und das empfanden zahllose Kommentatoren in Britannien genauso. Was sei denn so schlimm daran, so Wagenknecht, wenn die Freiheit von Gütern bestehen bliebe, und die von Dienstleistungen, Kapital und Menschen eben nicht? Dabei erinnerte sie daran, wie es zu dieser britischen Exit-Haltung gekommen sei. Durch die Osterweiterung der EU, die sofort Millionen Osteuropäer auf die Insel ziehen ließ, wodurch die englischen Löhne auf dem ungeregelten Arbeitsmarkt den Sinkflug antraten. In London sei sogar die medizinische Ausbildung für Krankenschwestern eingestellt worden, man habe ja jetzt die Polen.

In Schweden, wo die Unternehmen billige Letten anheuerten, hätte der Europäische Gerichtshof sogar Maßnahmen gegen das Lohndumping verboten.

Das sei eben Arbeitnehmerfreizügigkeit, belehrte Röttgen, da müsse Frau Wagenknecht doch auch an die Letten und Polen denken. Übrigens habe Deutschland dieses Problem durch eine mehrjährige Sperrzeit gelöst (nur Hatz 4 stand auch durch EU-Gesetze zur freien Verfügung).

Natürlich fehlte das Mantra nicht, Zuwanderer trügen zum Wohlstand des Einwanderungslandes bei. Aber erkannte Norbert Röttgen von der CDU: „Wenn auf einmal viele Fremde kommen, gibt es Probleme!“ So dumm ist der Jurist gar nicht, wie Ludwig Thoma mal schrieb.


Der etwas andere Jahresrückblick: 
BLACK BOX – das Kultbuch. So war 2018 – jetzt bestellen >>>

Unterstützung
oder

Kommentare ( 35 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

35 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Ernst-Fr. Siebert
5 Jahre her

„.Wessis, die nach Osten ‘rübergemacht hatten..“
Herr Paetow, das heißt: „Rübergemacht sind.“
So, wie Sie es formuliert haben, bedeutete das, daß man hinüber gepinkelt hätte.

cleverfrank
5 Jahre her

Warum eine Zollunion oder ein Freihandelsabkommen gegenüber Großbritannien 2 verschiedene Paar Schuhe sein sollen, das hat Schlaumeier Röttgen nicht erläutert.
Nur in der Beziehung EU zu UK sehe ich da keinen Unterschied ?

manfred_h
5 Jahre her

Zitat: „Aber erkannte Norbert Röttgen von der CDU: „Wenn auf einmal viele Fremde kommen, gibt es Probleme!“ So dumm ist der Jurist gar nicht, wie Ludwig Thoma mal schrieb.“

> ….. :-))) – Danke, für Ihren -wieder- gelungenen, guten u. mit Sarkamus durchzogenen Artikel. (obwohl; eigentlich müßte man ja heulen anstatt zu lachen).

Udo Kemmerling
5 Jahre her

„Natürlich fehlte das Mantra nicht, Zuwanderer trügen zum Wohlstand des Einwanderungslandes bei.“ Frau Wagenknecht von den Kommunisten (die Kollektivistin per definitionem) erklärt gerade noch, wie der Brite (als Individuum) die 3 Millionen Osteuropäer im Arbeitsmarkt der Insel wahrgenommen hat, als Herr Röttgen sich bemüßigt fühlt, das kolektive Ergebnis für Großbritannien herauszustreichen, und das Individuum dreist zu ignorieren. Ich erkläre es noch mal so, dass auch Herr Röttgen das versteht. Wenn der Merkelismus 50 Millionen Afrikaner nach Deutschland holt, und jeder der 25 Millionen wohlhabenderen Deutschen zwei Hausangestellte auf Staatskosten bekommt, UND dafür für den Rest der Deutschen die Löhne und… Mehr

C.W.Schulz
5 Jahre her

Ständig diese Predigt, dass die Briten sich ihr eigenes Grab schaufeln. Man mag es nicht mehr hören und lesen. Tatsächlich nutzt der gemeine Medien-Deutsche dies eigentlich nur, um von seiner Angst abzulenken, dass es vielleicht dann doch eher der EU bzw. Deutschland schaden könnte und somit der Anfang vom Ende der EU wäre.
Dieser Meinung bin ich dagegen. Das deutsche Zahlvieh müsste dann wahrscheinlich noch mehr zahlen und die Vorteile beginnen zu schwinden.
Hoffentlich schaffen die Briten den Weg aus der EU und werden Vorbild für andere.

Felix-Schmidt
5 Jahre her

Erst kam die Ost-Erweiterung mit vielen Einwanderern aus diesen Ländern (mit positiven wie negativen Folgen) und dann Merkels einsame Entscheidung 2015 die Grenzen zu öffnen, woraufhin weitere Millionen Einwanderer kamen, diesmal aus einem ungleich schwierigerem kulturellen Umfeld.

Die Brexit Entscheidung ist in etwa 52:48 für „leave“ ausgefallen. Bei so einem knappen Ergebnis kann man durchaus sagen, dass Merkels schlimmste Fehlentscheidung hier zumindest eine Rolle gespielt hat.

Marie-Jeanne Decourroux
5 Jahre her
Antworten an  Felix-Schmidt

Ohne die Kanzlerin (z.B. mit ihrem Veto gegen den von Schäuble vorgeschlagenen wenigstens zeitweiligen Austritt Griechenlands aus der Eurozone) wäre auch die AfD in der Bedeutungslosigkeit versunken.

F.Peter
5 Jahre her

Ich habe gestern Abend nur kurz mal reingeschaut, in diese sogenannte Diskussionsrunde. Gerade meinte die Will, mit Zahlen glänzen zu können als ihr ein Diskutant erwiderte, dass ihre genannte Zahl falsch ist und die richtige benannte. Will dazu: Ist auch egal, vielleicht wissen sie das besser als ich…..
Soviel zur Faktentreue dieser Labersendungen, die einfach nur noch lächerlich sind.
Ich habe sofort wieder abgeschaltet, solchen Mist braucht wirklich kein Mensch.

BOESMENSCH
5 Jahre her

Eine Willkommenskultur, die nicht ein einziges Menschenleben gerettet hat, lässt sich nur schwer weiterhin als humanitäre Glanzleistung verkaufen.

Deshalb wird jetzt das unsinnige Argument verbreitet, die Zuwanderung trägt zum Wohlstand des Einwanderungslandes bei.

Wenn dem so wäre, dann müssten, die Aztheken, Apachen und Sioux die wohlhabendsten Völker der Erde sein.

Sabine K.
5 Jahre her

Wirklich erfrischend war nur Sahra Wagenknecht, zu deren Beiträgen ich tatsächlich sehr oft genickt habe.
Schade, dass diese kluge Frau in dieser Betonkopf-Partei ist.

Timur Andre
5 Jahre her
Antworten an  Sabine K.

Mr Hands hat auch oft genickt!

Ursula Schneider
5 Jahre her
Antworten an  Sabine K.

Sie war auch die einzige, welche sich an die „heilige Kuh“ Personenfreizügigkeit heranwagte. Viele Experten sind der Meinung, dass sich diese auf Dauer gar nicht durchhalten lasse. Nachteile sind u. a. die Abwanderung gut ausgebildeter Fachkräfte (die den Herkunftsländern dann fehlen), Verdrängungsprozesse in den reicheren Ländern durch günstigere Arbeitskräfte und Gefährdung des Sozialstaats bei Aufnahme aller Migranten. Außerdem ist das Einreise- und Aufenthaltsrecht ein Kernbereich staatlicher Souveränität.
Doch bei den Betonköpfen in Brüssel gleicht allein die Diskussion darüber schon einem Sakrileg.

smith.hannibal
5 Jahre her
Antworten an  Sabine K.

In der Analyse ist sie oft schon früher gut gewesen, leider fast immer mit den falschen kollektivistischen Lösungsansätzen.

Dr. Mephisto von Rehmstack
5 Jahre her

Das war die inhaltsloseste Sendung der faulsten Talkshowmasterin ever!