Dürfen nationale Notenbanken des Eurosystems Anleihen ihres Landes kaufen? Sie haben sich das nicht lange gefragt, sie haben es einfach getan – heimlich.
Kleine Ursache, große Wirkung: Da wird eine Doktorarbeit publik, und schon ist EZB-Präsident Mario Draghi einem wahren Trommelfeuer vonseiten deutscher Medien und Politiker ausgesetzt, viel mehr als bisher. Der frische Doktor heißt Daniel Hoffmann, seine Arbeit trägt den Titel: Die EZB in der Krise – Eine Analyse der wesentlichen Sondermaßnahmen von 2007 bis 2012. Darin steht, die nationalen Notenbanken einiger Euroländer, darunter Frankreich und Italien, hätten während dieser Zeit auffallend viele Staatsanleihen im Wert von mehreren hundert Milliarden Euro gekauft. Da liegt der Verdacht nahe, es könnte sich um eine monetäre Staatsfinanzierung handeln.
Ob dieser Verdacht berechtigt ist, darüber streiten sich die Geister. Die Verteidiger der Anleihenkläufe verweisen auf ein altes Abkommen namens Anfa (Agreement on net-financial assets), was so viel bedeutet wie: Übereinkommen zu den Grenzen, innerhalb derer nationalen Notenbanken erlaubt sein soll, Anleihen (speziell Staatsanleihen) zu kaufen. Der Knackpunkt: Anfa ist nicht öffentlich. Nationale Notenbanken wie die Banque der France oder die Banca d’Italia können also relativ frei bestimmen, wann sie wie viele Anleihen kaufen, und sie dürfen das Volumen der Käufe in ihren Bilanzen unter allgemeinen Posten wie „andere Wertpapiere“ oder „Sonstiges“ ausweisen. Dadurch bleibt geheim, was geheim gehalten werden soll – ein unhaltbarer Zustand, der den Verdacht nährt, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht. Diesen Verdacht äußerten bereits auch verschiedene Politiker. Und die Bundesbank fordert aus gutem Grund, mit dem Versteckspiel aufzuhören. Die Reaktion der EZB: Eine Mitteilung vom 10. Dezember, in der am eigentlichen Thema vorbei wortreich beschrieben wird, wie Anfa funktioniert.
Geheimnistuerei nährt den Verdacht auf Schummelei
Vermutlich hätte Hoffmanns Doktorarbeit allein nicht ausgereicht, um das Trommelfeuer auf Mario Draghi auszulösen. Doch als dieser in der EZB-Pressekonferenz am 3. Dezember auf die Frage nach Anfa besonders nervös reagierte – noch nervöser als sonst, wenn er mit unangenehmen Fragen konfrontiert wird –, schürte er geradezu den Verdacht, mit dem Geheimabkommen könnte etwas nicht in Ordnung sein. So nimmt die Geschichte ihren Lauf durch Medien und Politik. Und weil Frankreich wie auch Italien längst im Verdacht stehen, ihre Staatskassen überzustrapazieren, wird die EZB und werden die Pappenheimer unter den nationalen Notenbanken weiter öffentlicher Kritik ausgesetzt sein, bis geklärt ist, ob monetäre Staatsfinanzierung vorliegt oder nicht.
Diese Geschichte ist ein weiterer Beleg dafür, wie bereits bei der Etablierung des Eurosystems Fehler gemacht wurden: Die nationalen Notenbanken erhielten viel zu viel Spielraum für ihre Eskapaden in Sachen Staatsfinanzierung. Dazu die Geheimnistuerei beim Ausweis des Staatsanleihen-Volumens. Solange diese Banken sich auf Anfa berufen und an denselben Anleihemärkten agieren dürfen wie die EZB, wird der Verdacht auf monetäre Staatsfinanzierung bestehen bleiben. Insofern kann man Draghi fast schon wieder dankbar sein, weil er mit seiner nervösen Reaktion vom 3. Dezember die breite Öffentlichkeit erst so richtig auf das Geheimabkommen aufmerksam gemacht hat.
Ein furchtbar komplexes Gebilde namens Eurosystem
Es lohnt sich, in diesem Zusammenhang einen Blick auf die Konstruktion des Eurosystems zu werfen. Zwar wird die Geldpolitik im EZB-Rat entschieden, aber ihre Ausführung obliegt überwiegend den nationalen Notenbanken. Bei diesen unterhalten die Geschäftsbanken EZB-Konten und die sogenannte Mindestreserve. Die Aktivitäten der nationalen Notenbanken erstrecken sich bis zu Offenmarktgeschäften und zu weiteren geldpolitischen Aufgaben. Die EZB darf nur ausnahmsweise Geldmarktgeschäfte bilateral betreiben, und das lediglich mit besonderen Geschäftspartnern. Dabei nutzt sie das Know-how sowie die technische und organisatorische Infrastruktur der nationalen Notenbanken.
Aus dem Eurosystem-Konstrukt wird erkennbar, dass diese die Geldpolitik ganz gehörig mitbestimmen. Unter ihnen auch die Bundesbank, von der allerdings nicht bekannt ist, dass sie im Verdacht stehe, monetäre Staatsfinanzierung betrieben zu haben oder zu betreiben. Im Gegenteil, sie betont ausdrücklich, das Eurosystem sei „unabhängig von politischen Weisungen und darf keine öffentlichen Haushaltsdefizite finanzieren“. Franzosen, Italiener, aber auch Griechen, Belgier und Iren sehen das offenbar anders.
Die Schattenregierung von Frankfurt
Dass nationale Notenbanken dank Anfa Staatsanleihen kaufen können, steht in einem gewissen Widerspruch zur Unabhängigkeit von politischen Weisungen. Jedenfalls dann, wenn es dadurch zur monetären Staatsfinanzierung kommt. Nur ist diese nicht direkt nachweisbar, solange alles geheim bleibt. Immerhin hat Hoffmann mit seiner Doktorarbeit dafür gesorgt, dass es zu einer umfangreichen Diskussion über die Anfa-Folgen gekommen ist. Und die Bundesbank hat bereits dafür plädiert, dass das Geheimnis gelüftet wird. Ob sich die Schwestern im Eurosystem diesem Plädoyer anschließen, bleibt vorerst im Dunkeln.
Geldpolitik ist nicht gerade ein Metier, an dem die Bevölkerung besonders interessiert wäre. Wenn sie irgendwann für Schlagzeilen sorgt, was selten genug vorkommt, dann eher nach der Veröffentlichung von Inflationsdaten oder, wie im vergangenen Sommer, als Chaoten in Frankfurt rund um die EZB Anschläge auf Polizisten verübten und Autos in Brand steckten. Das allgemeine Desinteresse ermöglicht es dem Eurosystem, mit EZB-Chef Draghi an der Spitze eine Art europäische Schattenregierung zu bilden und brisante Aktionen geheim zu halten. Wenn wir nicht aufpassen, wird diese Regierung uns am Ende hoch verschuldete Euroländer hinterlassen. Die Regierungen in Berlin, Paris, Rom usw. werden nichts dagegen unternehmen. Warum sollten sie auch? Schließlich leben sie ja von den hohen Schulden.
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