Würde das Land besser regiert, wenn mehr Manager und Unternehmer politische Ämter übernähmen? Die Frage ist aktuell, seit Horst Köhler, ein Finanzfachmann ersten Rangs, vom Amt des Bundespräsidenten zurückgetreten ist – vom politischen Betrieb zutiefst angeekelt und zermürbt.
Roland Koch, wie kaum ein Zweiter in Auseinandersetzungen gestählt, spricht in dieser Zeitschrift davon, wie schwer das „völlige Bloßlegen“ der eigenen Persönlichkeit und des Familienlebens zu ertragen sei. Privatheit geben Politiker beim Betreten des Parlaments an der Garderobe ab und tauchen in einen mäßig bezahlten Beruf ab, bei dem die Mitnahme der Ehefrau im eigenen Dienstwagen zu einem Wochenendtermin zu Amts- und Ehrverlust führen kann. Ein Betroffener nennt es „emotionale Prostitution“. Mitleid ist nicht angebracht, denn um ein Amt bewirbt man sich freiwillig. Der körperliche und geistige Zustand eines Spitzenpolitikers entscheidet im Extremfall über Krieg und Frieden oder zumindest über Inflation und Verschuldung der Nation. Deswegen glaubt die Öffentlichkeit, sie habe ein Recht zu erfahren, wie die Abfuhr von Körperflüssigkeit des Finanzministers läuft. Erstaunlich ist es nicht, wenn kaum mehr jemand, der in einem Beruf Erfolg hat, für diese Art von Jobs gewonnen werden kann.
Die ungeheure Brutalität des Politikbetriebs ist derzeit im sich beschleunigenden Alterungsprozess des Spitzenpersonals abzulesen. Guido Westerwelle – zum innerlich gebrochen wirkenden Darsteller früherer Selbstherrlichkeit reduziert. Gesundheitsminister Philipp Rösler hat sein jungenhaftes Lachen verloren. Kein Wunder: Da unternimmt er einen Canossagang nach München, nur um schon auf dem Rückweg nach Berlin die öffentliche Verhöhnung auf allen Kanälen („gesundheitspolitische Gurkentruppe“) zu erfahren. Oder Wirtschaftsminister Rainer Brüderle: Da macht er endlich mal den Guttenberg und wehrt sich gegen Milliarden für Opel, nur um noch am selben Abend dafür von der Bundeskanzlerin abgekanzelt zu werden. Dass er sich doch dagegen stur durchgesetzt hat – Chapeau.
Abgebrühtheit ist alles, Sensibilität Totalversagen. Nur Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg steckt Beleidigungen („Rumpelstilzchen“) durch Parteifreunde lächelnd weg – für so viel Chuzpe braucht man vermutlich ein in 850 Jahren angesammeltes Erbe an Selbstbewusstsein. Es sind ja heute weniger die Medien, die jede Gesichtsfalte ins grelle Scheinwerferlicht rücken – die Medien sind nur die Transportkanäle für eine merkwürdige Selbstzerfleischung des schwarz-gelben Spitzenpersonals.
Es ist ein so entfesseltes Schauspiel von gegenseitigen Beleidigungen, Verleumdungen und Ehrabschneiderei zum allseitigen Schaden, dass schon richtige Verschwörungstheorien zur Erklärung des Irrsinns herangezogen werden. Eigentlich wolle die Union schon lange fort aus der ursprünglichen Traumkoalition mit der FDP. Weil das aber den eigenen, konservativ-bürgerlichen Wählern nicht vermittelbar ist, muss ein Trennungsanlass erzeugt werden. Die FDP soll so lange provoziert und gedemütigt werden, bis sie von sich aus aussteigt oder einen plausiblen, „verkaufbaren“ Anlass bietet, sie „aus nationaler Verantwortung“, wie es dann heißt, zugunsten der SPD auszubooten. Ob das stimmt? Die FDP wiederum erträgt die Rolle des geprügelten Hundes, weil ihr beim derzeitigen Umfragetief gar nichts anderes übrig bleibt.
Saarlands Ministerpräsident Peter Müller erklärt Politik so: Ihre Aufgabe sei es, die Wahrheit mit der Mehrheit zu versöhnen. Leider entscheidet sie sich dann doch bloß für die falsche Mehrheit.
(Erschienen am 12.06.2010 auf Wiwo.de)
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